Nach dem Wahlsieg der Postfaschisten - Die Ruhe vor dem Sturm

Die designierte italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat nur wenig Zeit, aus ihrem diffusen Wahlbündnis eine geschlossen auftretende Regierung zu formieren und einen konsensfähigen Haushaltsentwurf vorzulegen. Auf die Euphorie der letzten Tage droht sonst ein heftiger Kater zu folgen.

Giorgia Meloni bedankt sich bei ihren Wählern / picture alliance
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Julius Müller-Meiningen arbeitet seit 2008 als freier Journalist in Rom. Er berichtet auf seiner Homepage 
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Die Wahlsiegerin macht sich rar. Am Montag und Dienstag tauchte Giorgia Meloni überhaupt nicht in der Öffentlichkeit auf. Die ganze Welt will von der 45-jährigen Römerin wissen, wie es nach der Parlamentswahl am Sonntag in Italien weitergeht. Welches sind die ersten Projekte der erst noch zu bildenden neuen Rechts-Regierung unter Führung der Fratelli d'Italia („Brüder Italiens“)? Wer bekommt welchen Posten? Meloni ließ die beiden Fraktionsvorsitzenden in Senat und Abgeordnetenhaus auf einer Pressekonferenz für sich sprechen. Klare Antworten gab es da nicht.

Sicherheitspolitik ist den Postfaschisten wichtig, konnte man erfahren. Das Haushaltsgesetz für 2023 steht gleich nach der Regierungsbildung an. Fraktionschef Francesco Lollobrigida, der als Regionalpolitiker 2012 in der Nähe von Rom noch ein Kriegerdenkmal für den faschistischen Kriegsverbrecher Rodolfo Graziani durchgeboxt hatte, gestand auch die Pläne zur Verfassungsänderung ein. Die Rechtskoalition mit Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia hatte sich im Wahlkampf für die Direktwahl des Staatspräsidenten ausgesprochen. „Die Verfassung ist schön, aber auch schon 70 Jahre alt“, sagte Lollobrigida. „Lollo“, wie er im engen Kreis um Meloni genannt wird, ist Melonis Schwager.

Keine Siegesfeiern nach der Wahl

Auf diese Weise bekam die Welt immerhin einmal andere Gesichter der „Brüder Italiens“ zu sehen, die am Sonntag 26 Prozent der Stimmen erreichten und nun aufgerufen sind, das Land in schweren Zeiten zu führen. Meloni selbst brachte unterdessen ihre sechsjährige Tochter zur Schule und postete auf Facebook ein rührendes Zettelchen, das ihr die Tochter geschrieben hatte. „Liebe Mamma! Ich bin so froh, dass du gewonnen hast. Ich liebe dich sehr!“, war darauf zu lesen. So etwas bringt Sympathiepunkte, die noch notwendig werden könnten angesichts der großen Herausforderungen.

Ins Fitnessstudio soll die Wahlsiegerin auch gegangen sein, wissen die Gazetten. Meloni sei erschöpft, heißt es außerdem – und sie wolle „absolute Seriosität“ vermitteln, ist aus ihrem Umfeld zu erfahren. Lieber erst einmal keine öffentlichen Auftritte und schon gar keine Siegesfeiern. Auch in der Wahlnacht, bei ihrem bislang letzten Auftritt, legte Meloni wert auf moderate Töne: „Dies ist die Zeit der Verantwortung“, sagte sie.

Im Parteiemblem brennt die Flamme des Faschismus

Natürlich ist die mutmaßlich künftige Regierungschefin längst auch mit inhaltlicher Arbeit beschäftigt. Denn die Zeit ist extrem knapp. Am 13. Oktober tritt das neu gewählte Parlament erstmals zusammen, die Vorsitzenden müssen gewählt werden. Erst dann beginnen die Konsultationen mit Staatspräsident Sergio Mattarella. Auch das ist eine Ironie des Schicksals: Die Holocaust-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit, Liliana Segre, 92 Jahre alt, wird als Altersvorsitzende die erste Sitzung des Senats leiten, der fortan von den Erben des faschistischen Diktators Benito Mussolini geprägt wird. Im Parteiemblem der Fratelli d'Italia brennt weiter die Flamme, die den Geist des „Duce“ symbolisiert.

Im Oktober läuft bereits die Frist aus für die Vorlage des Haushaltsgesetzes 2023, eine Unmöglichkeit für die erst noch zu bildende Regierung. Doch im Haushaltsgesetz werden die Staatsausgaben für das kommende Jahr bestimmt, seine Formulierung ist also eine hochpolitische Angelegenheit. Die Arbeit muss deshalb schon hinter den Kulissen beginnen.

 

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Die Abstimmung mit der noch amtierenden Regierung von Mario Draghi ist notwendig, auch die künftigen Koalitionspartner müssen berücksichtig werden. All das bedeutet: Meloni muss ein inoffizielles Regierungsprogramm aus dem Boden stampfen und die angesichts von Inflation und drohender Rezession nicht gerade üppigen Geldflüsse lenken. „Für das neue Kabinett ist das wie ein Aufstieg auf den Mount Everest ohne Sauerstoffflaschen“, schreibt der Corriere della Sera.

Keine einfache Kabinettsbildung

Eine der Fragen, mit der die Wahlsiegerin sich schon jetzt beschäftigen muss, ist, wie die Wahlversprechen, etwa Steuersenkungen für Arbeitnehmer und Betriebe, finanziert werden sollen. Wagt Meloni den Kraftakt und tastet wie versprochen die von der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführte, milliardenschwere Sozialhilfe namens Bürgereinkommen an und bringt damit halb Süditalien gegen sich auf? Soziale Spannungen sind das letzte, was die designierte Ministerpräsidentin gebrauchen kann. 

Zudem wird auch die Kabinettsbildung nicht simpel. Meloni plant mit einem Technokraten im Finanzministerium, um die EU und die Finanzmärkte zu beruhigen. Der ehemalige Chef der italienischen Zentralbank und Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB), Fabio Panetta, soll ihr Kandidat gewesen sein. Er hat aber offenbar abgesagt.

Welche Pläne hat Meloni mit Matteo Salvini?

Und dann wäre da noch das Problem Salvini. Lega-Chef Matteo Salvini hatte in der Wahlnacht noch selbst Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten. Seine Zeit als Innenminister beendete er 2019 selbst, als er die Regierung mit der Fünf-Sterne-Bewegung platzen ließ, auf Neuwahlen hoffte und „die ganze Macht“ von den Italienerinnen und Italienern forderte. Staatspräsident Mattarella bildete stattdessen eine Linksregierung aus „Grillini“ und Sozialdemokraten.

Salvini wurde nun durch das schlechte Ergebnis der Lega (9 Prozent) retraumatisiert. Der Ex-Innenminister, der nun wenigstens zurück in sein altes Amt möchte, muss sich auf eine Absage Melonis gefasst machen. Erstens rumort es in der Lega und erste Rücktrittsforderungen wurden am Montag laut. Aber vor allem will Meloni zweitens nicht den Fehler von Ex-Premier Giuseppe Conte begehen, im Schatten des Anti-Migranten-Ministers zu stehen und dessen populäre Sicherheitsdekrete unterschreiben zu müssen. Wohin also mit Salvini?

Etwas leichter scheint der Umgang mit Silvio Berlusconi zu werden. Ein Posten im Kabinett oder institutionelle Ämter wie der Vorsitz im Senat scheinen nicht mehr zu den Forderungen des bald 86-Jährigen zu zählen, der bei öffentlichen Auftritten stark gealtert wirkt. Doch Giorgia Meloni weiß auch: Ohne Lega und Forza Italia hat ihre Regierung keine Mehrheit. Er sei sich sicher, dass er nie mit dem Koalitionsaustritt werde drohen müssen, um den Populismus zu stoppen, sagte Berlusconi in einem Interview mit dem Corriere della Sera am Dienstag. „Wenn es eine populistische Gefahr gäbe, dann hätten wir uns nie mit den anderen beiden Parteien zusammengetan.“

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