Deutsche Nahost-Diplomatie - Solidaritätsbesuche reichen nicht

Russland und der Iran sehen den Krieg zwischen der Hamas und Israel als Gelegenheit, die regionale Ordnung mit Gewalt umzustürzen. Die Bundesregierung sollte es deshalb nicht bei Solidaritätsbesuchen in der Region belassen, sondern endlich ernsthaft an einer neuen Nahostpolitik arbeiten.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Benjamin Netanjahu (r.), Ministerpräsident von Israel / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober war Bundeskanzler Scholz der erste Regierungschef, der Israel besuchte, um seine Solidarität auszudrücken. Dafür hatte er gute Gründe. Denn erstens wird die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson angesehen, auch wenn die Bundesregierung nie definiert hat, was das bedeutet.

Zweitens wollte er nicht noch einmal gedrängt werden, einem angegriffenen Staat zumindest diplomatisch beizustehen. Das lange Warten auf seinen Besuch in Kiew 2022 hatte ihm geschadet. Drittens mag man im Bundeskanzleramt bedacht haben, dass das öffentliche Auftreten mit Ministerpräsident Netanjahu mit der Zeit kontroverser betrachtet werden würde. Denn dass die öffentliche Solidarisierung mit Israel durch dessen Verteidigung gegen die Hamas Schaden nehmen würde, war abzusehen. 

Bundeskanzler Scholz besucht Israel und Ägypten

Seinem Besuch in Israel schloss Scholz ein Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten an. So war die Reise gut ausbalanciert. Die Themenschwerpunkte waren unterschiedlich gesetzt. Das Recht auf Verteidigung stand in Israel im Vordergrund, freilich verbunden mit dem Hinweis auf die Zivilbevölkerung in Gaza, die dann in Kairo im Mittelpunkt stand, insbesondere die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten. Die Befreiung der Geiseln war professionell in den Hintergrund gerückt worden. Darüber schweigt man öffentlich. 

Parallel hatte auch Außenministerin Baerbock Reisen in den Nahen Osten unternommen und blieb in diesem Fall zumindest öffentlich auf einer Linie mit dem Bundeskanzler. Das Gipfeltreffen in Kairo, etwas hochgegriffen als Friedensgipfel tituliert, nahm sie zum Anlass, Israels Recht auf Verteidigung in einem Rahmen anzusprechen, der durch den jordanischen König ganz anders ausgerichtet war. Kriegsverbrechen warf er Israel vor und gab damit dem Druck nach, den die Demonstrationen in Jordanien aufgebaut hatten.

 

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Doch welchen Einfluss hat Deutschland auf den Nahen Osten? Was bewirkt das Engagement? Die kurze Antwort lautet: vor Ort nicht viel, in der EU schon mehr. Denn es gibt derzeit nur einen Staat, der im Nahen Osten über ausreichend Autorität gegenüber Israel und ausreichend Macht gegenüber dem Iran verfügt, um Einfluss nehmen zu können. Das sind die USA, die sogleich auf beide Staaten einwirkten. Auf den Iran und die Phalanx seiner Terrororganisationen durch Abschreckung, die zwei Flugzeugträger und Begleitschiffe herstellten. Auf Israel, indem die amerikanische Regierung die Fragen stellte, die Israel von raschem, nicht zu Ende durchdachtem Verhalten abhielt.  

Auf dieser Ebene kann die Bundesregierung nicht mitreden. Ihr mangelt es an militärischen und diplomatischen Fähigkeiten. Die einzige außenpolitisch einsetzbare Ressource – Geld – wurde für die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza mobilisiert. Diplomatische Unterstützung für Israel gibt es von Deutschland in den Vereinten Nationen und in der EU. Das ist nicht ganz unwichtig, bleibt aber hinter den Herausforderungen, denen sich die EU gegenübersieht, weit zurück.

Blickradius sollte über den Nahen Osten hinausreichen

Dabei sollte der Blickradius Deutschlands über den Nahen Osten hinausreichen. Denn erst vor kurzem gaben einige EU-Staaten dem Druck Russlands und einigen Putschregierungen in Nordafrika nach und beendeten ihren Einsatz gegen islamistische Terroristen dort. Ein anderer Blick muss nach Katar gehen, dessen weitverzweigter wirtschaftlicher Einfluss – nicht nur aufgrund der Gasexporte, sondern auch der Unternehmensbeteiligungen – mit der Unterstützung von nichtstaatlichen Gewaltakteuren kombiniert wird. Schließlich sind die nordafrikanischen Staaten zur Regulierung der Migration von Bedeutung.  

Die Bundesregierung mag für den Moment erleichtert sein, dass niemand nach einem ernsthaften, tragfähigen und realitätstüchtigen Konzept für die Gegenküste der EU von der Türkei bis nach Marokko fragt. Sie mag erleichtert sein, dass die Öffentlichkeit bei der Benennung der „Zweistaatenlösung“ im Nahen Osten innerlich nickt, ohne zu fragen, was das denn bedeutet. Zwei Jahrzehnte konnte man den Begriff wie eine Monstranz vor sich hertragen, warum soll es nicht so weitergehen? 

Günstige Situation für Russland und Iran

Weil rund um Europa ein Kampf um die Vorherrschaft autoritärer Regime ausgebrochen ist, die Europas selbstverschuldete Handlungsunfähigkeit und die inneren Verwerfungen der USA meinen ausnutzen zu können, um ihr Einflussgebiet zu erweitern. Das verbindet den Krieg im Osten – Russlands Angriff auf die Ukraine – mit dem Krieg in Israel. Russland und der Iran sehen die Situation als günstig an, die regionale Ordnung mit Gewalt umzustürzen. Denn in der internationalen Politik provoziert Schwäche die Aggression der autoritären Staaten.  

Die Bundesregierung sollte es deshalb nicht bei Solidaritätsbesuchen in der Region belassen, sondern endlich ernsthaft an einer Politik arbeiten, wie das regionale Umfeld der EU ihren Interessen nicht diametral entgegenläuft. Wenn jetzt Europa nach außen stärker abgeschirmt wird, ist das auch Folge einer Politik, die sich nie ernsthaft um die Gestaltung der Nachbarregionen bemüht hat. Und die darauf verzichtet hat, sich für eine international effektive Einflussnahme auszurüsten.  

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