Europa und der Ukrainekrieg, Teil 4 - Griechenland: Im Land der Skeptiker

Wie wird in verschiedenen europäischen Ländern über den Ukrainekrieg, Waffenlieferungen und mögliche Friedensverhandlungen debattiert? Während sich das politische Griechenland schnell ins pro-ukrainische Lager eingereiht hat, zeigt sich die Bevölkerung zunehmend besorgt über den Krieg.

Protest der Kommunistischen Partei Griechenlands vor der Akropolis gegen eine indirekte Kriegsbeteiligung Griechenlands im Mai 2022 / dpa, Montage: Dominik Herrmann
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Alkyone Karamanolis ist freie Journalistin und auf das Thema Griechenland spezialisiert.

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Ein kleines gelb-blaues Rechteck, an die Fassade des griechischen Parlamentsgebäudes projiziert, war die einzige öffentliche Solidaritätsbekundung Griechenlands mit der Ukraine kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ex-Sowjetrepublik im Februar vergangenen Jahres. Keine in den ukrainischen Nationalfarben lackierten Züge, keine Plakate im öffentlichen Raum, keine „I stand with Ukraine“-Aushänge in den Geschäften. 

Die griechische Bevölkerung war von Anfang an skeptisch. Zwar verurteilten 71 Prozent der Befragten in einer ersten repräsentativen Umfrage kurz nach Kriegsbeginn die russische Invasion. Gleichzeitig wünschten sich aber fast ebenso viele, nämlich 65 Prozent der Befragten, Griechenland möge Neutralität wahren. 86 Prozent waren bereits zu diesem Zeitpunkt gegen griechische Waffenlieferungen an die Ukraine. Dagegen sprachen sich 91 Prozent der Befragten dafür aus, den Menschen in der Ukraine humanitäre Hilfe zu gewähren.

Selenskyjs PR-Abteilung unterlief ein grober Fauxpas

Dann unterlief Wolodymyr Selenskyjs PR-Abteilung auch noch ein grober Fauxpas in Zusammenhang mit seiner Videobotschaft im griechischen Parlament. Offenbar im Versuch, den Schulterschluss mit der griechischen Bevölkerung zu provozieren, präsentierte der ukrainische Präsident zwei Kämpfer aus Mariupol mit griechischen Wurzeln. Einer der beiden gab sich allerdings als Angehöriger des in Griechenland eindeutig als faschistisch identifizierten Azov-Regiments aus. 

Es kam zum Eklat. Selbst die konservative Regierungspartei kam nicht umhin, den Auftritt des Azov-Kämpfers im Nachgang zu verurteilen. Dabei hatte der als eingeschworener Atlantiker bekannte griechische Premier Mitsotakis zu diesem Zeitpunkt bereits Waffen an die Ukraine geliefert – als erster in der gesamten EU, an seiner eigenen Partei und an der Opposition vorbei und sogar, ohne den Generalstab der griechischen Streitkräfte zu informieren. 

 

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Seitdem ist das Thema Ukraine mal mehr mal weniger präsent im öffentlichen Dialog. Und obwohl die griechischen Medien fast einhellig den Standpunkt verbreiten, die EU verteidige in der Ukraine die europäischen Grundwerte, ohne dabei allerdings die Rolle der USA beim Regime-Change 2014 und die Nato-Kandidatur der Ukraine zu thematisieren, ist der öffentliche Diskurs durchaus breit gefächert.

In linken wie rechten Zeitungen ist in Leserkommentaren die Rede von Griechenland als „Protektorat der USA“ und vom Ukraine-Krieg als einem Stellvertreterkrieg. Da werden Selenskyjs Forderungen an den Westen als „unverschämt" und Selenskyj selbst als „Bidens Marionette“ charakterisiert. 

Angst vor einer Ausweitung des Krieges wächst

Auch kann man sich in Griechenland im Gespräch durchaus gegen den Krieg positionieren, der in Griechenland noch ganz „altmodisch“ als Krieg in der Ukraine und nicht als Krieg gegen die Ukraine firmiert, ohne ins gesellschaftliche Abseits gedrängt zu werden. In der deutschen Presse wird das in einem Anflug von Kulturchauvinismus gerne als orthodoxe Russophilie wegerklärt.

Doch es gibt auch eine andere Erklärung: Als Einwohner eines kleinen Landes, das in der Geschichte oft zum politischen Spielball anderer Mächte wurde, sind die Menschen in Griechenland weithin kritisch gegenüber den Diskursen der Macht. Auch gehören geopolitische Analysen zum politischen Einmaleins

Das führt einerseits zu einer differenzierteren Interpretation der russischen Invasion der Ukraine und lässt gleichzeitig das Risiko, in Griechenland zwischen die Fronten Russlands, der Türkei und des Westens zu geraten, deutlicher hervortreten. Entsprechend wenig Überzeugungskraft entwickeln in Griechenland polierte PR-Phrasen à la „Waffen retten Leben“. Vielmehr wächst die Angst vor einer Ausweitung des Kriegs.

Menschen nach zehn Jahren Krise ausgelaugt

Zwar sind größere Friedensdemonstrationen wie noch beim Irakkrieg ausgeblieben. Nach zehn Jahren Krise und drei Jahren Corona-Maßnahmen sind die Menschen in Griechenland ausgelaugt. Dennoch sind laut dem jüngsten Eurobarometer nirgendwo so viele Bürger mit der Ukraine-Politik der Europäischen Union unzufrieden wie in Griechenland. Auch was die Vorbehalte gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine angeht, ist Griechenland europaweit ganz vorne. Nur was humanitäre Hilfe angeht, gehört Griechenland weiterhin zu größten Befürwortern innerhalb der EU. 

Diese Kriegsskepsis der griechischen Bevölkerung ist inzwischen auch bei der skandalgebeutelten konservativen Regierung angekommen. Trotz wiederholter Forderungen hat sie nun klargemacht, dass sie keine Panzer an die Ukraine liefern wird.

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