Donald Tusk - Kapitän Rauhbein ist zurück

Auf Polens neuen Regierungschef Donald Tusk dürften schwere politische Kämpfe zukommen. Gut für ihn, dass er zuletzt Steherqualitäten beweisen konnte. Außerdem hat er wegen seiner einstigen „Desertion nach Brüssel“ noch etwas gutzumachen.

Donald Tusk bei seiner Inauguration / dpa
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Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Die wüste antisemitische Attacke eines rechtsextremen Abgeordneten auf die kleine Feier der jüdischen Gemeinde in der Eingangshalle des Sejms aus Anlass des Lichterfestes Chanukka dominiert an diesem Mittwoch die Berichterstattung der internationalen Presse aus Polen, nicht aber der Amtsantritt der neuen proeuropäischen Regierung unter Donald Tusk. 

Instrument der Provokation war ein Feuerlöscher, mit dem der auf der Liste der nationalistischen Konfederacja ins Parlament gewählte Regisseur Grzegorz Braun die Kerzen eines großen Chanukka-Leuchters auslöschte. Der Tumult im Parlament überschattete den ersten Tag des neuen Kabinetts, dem 248 der insgesamt 460 Abgeordneten das Vertrauen aussprachen. An diesem Mittwoch stand die Vereidigung Tusks und seines Kabinetts durch Staatspräsident Andrzej Duda auf dem Programm.

Sprecher aller Parteien, auch der Konfederacja, verurteilten den Vandalenakt Brauns, dieser hatte zudem den Schlauch des Feuerlöschers auf eine Vertreterin der jüdischen Gemeinde gerichtet, die sich ihm entgegenstellt hatte. Das vom Sejm-Marschall Szymon Hołownia einberufene Parlamentspräsidium beschloss, Braun für ein halbes Jahr die Abgeordnetenbezüge zu streichen und ihn von den Sitzungen auszuschließen. Überdies wurde er bei der Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung und seiner Attacke auf religiöse Symbole angezeigt, Hołownia zeigte sich zuversichtlich, dass das Plenum der Aufhebung der Immunität Brauns zustimmt.

Bild einer polnisch-jüdischen Opfergemeinschaft

Braun hatte bereits im Mai mit einem Auftritt im Deutschen Historischen Institut in Warschau für Schlagzeilen gesorgt. Bei einem Vortrag über die Beteiligung polnischer Bauern am Holocaust krakeelte er im Publikum und zerstörte schließlich das Mikrofon. Für diese Aktion bekam er viel Beifall aus der nationalistischen Presse, die generell den Deutschen unterstellt, die Polen zu Mittätern bei der Judenverfolgung zu machen, weil dadurch die deutsche Schuld relativiert werde.
 

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Doch nun übte der bisherige Kulturminister Piotr Gliński im Namen der nationalpopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) scharfe Kritik an Braun. Es gehört zweifellos zu den Verdiensten des PiS-Chefs Jarosław Kaczyński und seines 2010 beim Flugzeugabsturz von Smolensk umgekommen Zwillingsbruders Lech, dem traditionellen Antisemitismus der polnischen Rechten den Kampf angesagt zu haben. Beide wurden von der jüdischen Gemeinde in Warschau deshalb hoch geschätzt, Lech Kaczyński wurde als „Freund Israels“ ausgezeichnet. Allerdings entwarfen die Zwillinge das Bild einer polnisch-jüdischen Opfergemeinschaft unter deutscher Besatzung, was jüdische Institutionen entschieden zurückwiesen.

Gegen die neue Mehrheit im Sejm

Als im weiteren Verlauf des Abends das Kabinett Tusk erwartungsgemäß die Vertrauensabstimmung überstand, blieb Jarosław Kaczyński wie versteinert sitzen. Er wirkte schwer angeschlagen, mit dem Gang in die Opposition hatte er wohl nicht gerechnet. Ein weiteres Mal dokumentierten er und seine Gefolgsleute, dass sie schlechte Verlierer sind: Keiner der PiS-Vertreter gratulierte Tusk. Stattdessen gaben sie die Parole aus, sie würden die Verfassung und die „freien Medien“ gegen die neue Mehrheit im Sejm energisch verteidigen.

In der Tat dürften auf Tusk schwere politische Kämpfe zukommen. Allerdings hat er in diesem Jahr bewiesen, dass er Steherqualitäten hat: Noch vor wenigen Monaten schien das von ihm geschmiedete Dreierbündnis aus der liberalkonservativen Bürgerkoalition (PO), dem Wahlblock Dritter Weg, zu dem sich die christlich-demokratische Gruppierung Polska 2050 Hołownias und die traditionsreiche Bauernpartei (PSL) zusammengeschlossen haben, sowie aus der Neuen Linken chancenlos zu sein, alle Umfragen sahen die PiS deutlich vorn. Doch Tusk hat einen Wahlkampfmarathon mit Hunderten von Auftritten in allen Ecken des Landes absolviert. 

„Desertion nach Brüssel“

Ihm ist wohl klar, dass er bei seinen Anhängern wieder etwas gutzumachen hat: 2014 gab er überraschend ein Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode sein Amt als Premierminister auf, um an die Spitze des Europäischen Rats in Brüssel zu wechseln. Doch hatte er seine Nachfolge nicht geregelt, seine Gefolgsleute rieben sich in Diadochenkämpfen auf, von denen die PiS bei den Wahlen 2015 profitierte. Tusk wurde seitdem immer wieder der Vorwurf gemacht, seine „Desertion nach Brüssel“ habe seinem Erzfeind Kaczyński den Weg an die Macht geebnet, die dieser nutzte, um die gesamte öffentliche Verwaltung sowie die staatlichen Medien unter Kontrolle der PiS zu bringen.

Nun muss Tusk eine sehr heterogene Koalition zusammenhalten. Er ist kein großer Diplomat, sondern eher ein politisches Rauhbein, das in der Vergangenheit auch vor Beleidigungen der politischen Gegner nicht zurückgeschreckt hat. Dass nun ein rotes Herz das Logo seiner Gruppierung ziert, halten ihm seine Kritiker als Zynismus vor. Er muss nun die politische Blockaden überwinden, die die PiS noch nach ihrer Abwahl für die neue Regierung errichtet hat: Eine Änderung des Statuts des Staatssenders TVP soll dort die Dominanz der PiS sichern. Dessen Kommentatoren pöbeln nach wie vor gegen Tusk und seine Verbündeten, so als hätte es die PiS-Niederlage bei den Wahlen am 15. Oktober nicht gegeben. 

Säuberung des diplomatischen Dienstes

Ebenso steht der neue Justizminister Adam Bodnar, der als Sprecher für Bürgerrechte immer gegen die Rechtsbrüche der PiS-Regierung protestiert hat, vor kaum lösbaren Problemen. Das neue Kabinett verfügt nämlich nicht über Instrumente, die von der PiS eingesetzten Obersten Richter und Kammervorsitzenden abzulösen. Überdies hat das Verfassungsgericht klargestellt, dass es das Kabinett Tusk nach Kräften einschränken will. Es entschied nun, dass die vom Europäischen Gerichtshof auferlegten Strafen für Polen wegen der Verletzung der Gewaltenteilung nicht im Einklang mit der polnischen Verfassung stehen und deshalb ignoriert werden können. Auch der Staatspräsident hat bereits erkennen lassen, dass er die neue Regierung im Sinne der PiS nach Kräften blockieren möchte.

Einfacher als Bodnar wird es Radek Sikorski haben, der erneut das Außenamt übernimmt. Aus seiner Umgebung wurde bereits eine Säuberung des diplomatischen Dienstes angekündigt. Sikorski ist für die PiS eine Hassfigur: Zum einen gilt er als Deserteur, weil er im ersten PiS-Kabinett 2005 Verteidigungsminister war, dann aber zu Tusk gewechselt ist. Zum anderen belegte er bei den Umfragen über die größten Rüpel in der Politik neben Tusk stets einen Spitzenplatz. Beide sind alles andere als Brückenbauer. Die Chancen, dass die neue Regierung einen großen Beitrag zur Überwindung der tiefen Gräben durch die polnische Gesellschaft leisten kann, stehen also nicht besonders gut.

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