Trump-Anklägerin Tanya Chutkan - Der Prozess ihres Lebens

Ex-Präsident Donald Trump muss sich wegen Aufstachelung eines Mobs vor Gericht verantworten – sein Schicksal liegt in den Händen von Richterin Tanya Chutkan.

Tanya Chutkan wird über den Ex-Präsidenten Donald Trump richten / dpa
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Stephan Bierling lehrt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Soeben erschien von ihm „America First – Donald Trump im Weißen Haus“ (C. H. Beck).

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Es wird eng für Donald Trump, juristisch zumindest. Als Immobilienmogul kam er bei Hunderten Gerichtsprozessen fast immer ungeschoren davon, indem er sie bis zur Verjährung verzögerte oder sich als Opfer inszenierte und mit Gegenklagen günstige Vergleiche erzwang. Als Präsident überlebte er gleich zwei Amtsenthebungsverfahren, weil ihm genügend republikanische Parteifreunde im Senat in Nibelungentreue zur Seite standen.

Auch als Ex-Präsident dürften ihm zwei laufende Anklagen keine schlaflosen Nächte bereiten: das Fälschen von Geschäftsunterlagen, weil er Schweigegeld an die Pornodarstellerin Stephanie Gregory Clifford („Stormy Daniels“) im Wahlkampf 2016 als Honorar für seinen Anwalt deklarierte. Und das Entwenden von Hunderten Geheimdokumenten sowie das Verschleiern ihres Besitzes. Beides ist, falls nachweisbar, rechtswidrig, aber eher Kleinkram.

„Präsidenten sind keine Könige“

Im dritten Verfahren hingegen liegt Trumps Kopf auf dem Schafott. Am 1. August klagte ihn Sonderermittler Jack Smith des Schlimmsten an, was man Amtsinhabern in einer Demokratie vorwerfen kann: nach einer Wahlniederlage die ordentliche Übergabe der Macht durch Aufstacheln eines Mobs sabotiert zu haben. So etwas gab es noch nie in der bald 250-jährigen Geschichte der USA.

Trump lässt die Anklage nicht unbeeindruckt. „Wenn ihr mich verfolgt, dann werde ich euch verfolgen“, wütete er auf der Online-Plattform Truth Social. Die Vorwürfe nannte er „Bullshit“. Sein Wahlkampfteam verglich den Prozess gegen ihn gleich mal mit Nachstellungen in Nazideutschland. Der Ex-Präsident schlägt auch deshalb verbal um sich, weil er weiß, wer das Schwert über seinem Haupt hält: Bundesrichterin Tanya Chutkan. Sie hat ihm schon einmal die Grenzen aufgezeigt; vor zwei Jahren wies sie seine Forderung ab, Aufzeichnungen aus dem Weißen Haus nicht dem Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses zu übergeben. „Präsidenten sind keine Könige“, schrieb sie damals in ihrer Urteilsbegründung, „und der Kläger ist nicht Präsident.“ Das saß.

Chutkan hatte schon früher mit Aufständischen zu tun, die am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmten und verwüsteten, um die Bestätigung von Joe Bidens Wahlsieg zu verhindern. Mehrere verurteilte sie zu harten Strafen, und sie ging bisweilen sogar über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. So etwas, sagte Chutkan, „muss Folgen haben“.

Wie Trump mit Schmutz wirft

Wann der Aufstachler des Mobs vor ihr erscheinen muss, steht noch nicht fest, aber es wird wohl erst im Frühsommer 2024 so weit sein. Einen Spaziergang hat Trump jedenfalls nicht zu erwarten. Chutkan, in Jamaica geboren und an amerikanischen Spitzenuniversitäten ausgebildet, hat enorme Erfahrung mit Strafprozessen. Als Pflichtverteidigerin in Washington hatte sie mit Schwerverbrechern zu tun, als Anwältin einer renommierten Kanzlei mit Kartellrechtsklagen und Wirtschaftskriminalität. 

Nominiert für ihr jetziges Amt wurde Chutkan 2014 von Barack Obama. Das ließ Trump gleich davon sprechen, ein faires Verfahren könne er nicht erwarten – und ihre Abberufung fordern. Dabei hatte es beim Votum im Senat keine einzige Stimme gegen ihre Ernennung gegeben – selbst von Republikanern nicht. Dass ausgerechnet sie erneut über Trump richtet, ist dessen Pech: Chutkan erhielt das Verfahren zugelost.

 

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Für Trump geht es um alles. Wird er verurteilt, droht ihm Gefängnis. Seinen Wahlkampf könnte er allerdings selbst von dort aus fortsetzen. Die Verfassung schreibt nur vor, dass Kandidaten mindestens 35 Jahre alt und in den USA geboren sein und die zurückliegenden 14 Jahre dort gelebt haben müssen. Schon einmal, 1920, trat mit dem Sozialisten Eugene Debs ein Häftling an – und holte 3 Prozent der Stimmen. Aber noch nie nominierte eine der beiden großen Parteien einen einsitzenden Kriminellen als ihren Präsidentschaftsbewerber.

Für alle geht es um alles

Trump könnte also ein weiteres Tabu brechen. Ob es dazu kommt, ist selbst bei einer Verurteilung fraglich. Schließlich hat jeder Ex-Präsident Anspruch auf lebenslangen Personenschutz. Und welche Sicherheitsleute würden sich schon freiwillig mit dem Boss ins Kittchen begeben?

Sogar irre Wendungen sind in einem Zeitalter vorstellbar, in dem ein Reality-­TV-Star das Weiße Haus erobern und alle geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der amerikanischen Demokratie brechen kann. Sollte Trump tatsächlich erneut gewählt werden, dürfte er versuchen, sich selbst zu begnadigen. Mit dem Gedanken spielte er am Ende seiner Präsidentschaft schon einmal. Ob das zulässig ist, weiß niemand, dafür gibt es keinen Präzedenzfall. Wahrscheinlich müsste das Oberste Gericht entscheiden. 

Doch eines ist jetzt schon klar: Für Trump wie Chutkan wird es der Prozess ihres Lebens.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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