Deutschland und Israel - Sorge um die Demokratie - anderswo

In der Diskussion über die Flugblatt-Affäre war vielfach zu hören, sie schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Doch in Wahrheit interessiert sich nicht einmal Israel für den Fall Aiwanger. Und was unser Ansehen im Ausland angeht, gibt es ganz andere Baustellen.

Abendspaziergang am Strand von Tel Aviv / picture alliance
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Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

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Wieder einmal steht das Ansehen Deutschlands auf dem Spiel. Das befürchten jedenfalls zahlreiche Stimmen aus Politik und Medien, darunter SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken, und es geht natürlich um den Skandal um das rechtsradikale Flugblatt, das vor 36 Jahren im Schulranzen des heutigen Freie-Wähler-Chefs Hubert Aiwanger gefunden worden war.

„Der Schaden für Bayern und für Deutschland ist immens“, klagte Esken auf einer Pressekonferenz, denn „das Ausland“ beobachte die Aiwanger-Affäre sehr genau. Auf einmal war es wichtig, was das Ausland über Deutschland denkt – etwas, das der Ampel-Regierung angesichts politischer Entscheidungen, die tatsächlich Auswirkungen über die deutschen Grenzen hinaus haben, von der erratischen Flüchtlingspolitik über die Abschaltung der Atomkraftwerke bis zu einer Anti-Wirtschaftspolitik, die auch Teile der EU mit in den Abgrund zu reißen droht, herzlich egal zu sein scheint.

Der Eindruck drängt sich jedenfalls auf, „das Ausland“ werde immer dann als Popanz ins Spiel gebracht, wenn innenpolitisch ein Punkt gemacht werden soll. Dabei überschätzt man hierzulande doch gewaltig, wie sehr man sich andernorts mit unseren internen Angelegenheiten beschäftigt. Wenn Deutschland unangenehm auffällt, dann wohl eher deswegen, weil es sich nicht darauf beschränkt, sich um letztere zu kümmern, sondern mit seiner „werteorientierten Außenpolitik“ dem Rest der Welt auf die Nerven geht.

Empörte Kommentare gab es keine

Wenn man, wie ich, die letzten Wochen im Ausland, nämlich in Israel, verbracht und die Geschehnisse daheim vom Rande aus betrachtet hat, wunderte man sich nicht schlecht darüber, was die Landsleute wieder einmal umtreibt. Nach meiner Rückkehr aus Israel wollten die Kollegen von mir wissen, wie man denn dort über den Fall Aiwanger diskutiert, und waren bass erstaunt über die Antwort: gar nicht. Zwar kam die Geschichte in israelischen Print- und Online-Medien als Meldung vor, schaffte es aber nicht auf die Titelseiten und sorgte auch nicht für Aufregung. Empörte Kommentare gab es keine, und auch keine mahnenden Worte der israelischen Regierung in Richtung der Deutschen.

Israel hat nämlich, man mag es kaum glauben, seine eigenen Probleme. Nach wie vor protestieren jede Woche Hunderttausende in Tel Aviv gegen die umstrittene Justizreform der Regierung. Die Gegner der Reform befürchten durch die Schwächung des Obersten Gerichts autokratische und theokratische Verhältnisse, sehen gar eine Diktatur heraufziehen; die Befürworter sehen darin lediglich eine notwendige Korrektur der Macht des Obersten Gerichts, das bisher Beschlüsse der Regierung einfach für ungültig erklären konnte – da Israel keine geschriebene Verfassung hat, lediglich mit dem Hinweis auf deren „Unangemessenheit“; und was unangemessen sei, entschieden die Richter nach politischem Gusto.

In der Tat hat die Polarisierung in der israelischen Gesellschaft im Streit um die Justizreform erheblich zugenommen. Doch ist dies eben eine innenpolitische Angelegenheit, und man darf den Israelis getrost zutrauen, diesen Streit selbst zu lösen. Dennoch mischte sich der Rest der Welt umgehend ein und forderte die Regierung in Jerusalem auf, von der geplanten Justizreform abzusehen – von den USA über die Vereinten Nationen bis zur Europäischen Union. Ganz besonders laut war auch die Bundesregierung bei dem Thema, natürlich aus reiner Sorge um die israelische Demokratie.

Gefährdung der Gewaltenteilung

Ende Juli, als die Knesset, das israelische Parlament, mit einfacher Mehrheit beschloss, die „Unabhängigkeits“-Klausel abzuschaffen, hieß es etwa aus Annalena Baerbocks Auswärtigem Amt: „Aus tiefer Verbundenheit mit Israel und seinen Menschen blicken wir mit großer Sorge auf die sich vertiefenden Spannungen in der israelischen Gesellschaft. Gerade nach der heutigen Verabschiedung des ersten Teils des geplanten Justizumbaus bleibt es wichtig, dass einer breiten gesellschaftlichen Debatte ausreichend Zeit und Raum gegeben wird, um einen neuen Konsens zu ermöglichen.“ Und Justizminister Marco Buschmann (FDP) warnte vor einer Gefährdung der Gewaltenteilung in Israel.

Ähnlich äußerten sich der Vorsitzende der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe, Christoph Ploß (CDU) („Eine funktionierende Gewaltenteilung ist in einer Demokratie unabdingbar“), und der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Thomas Erndl (CSU) („Durch die Justizreform geraten die ,Checks and Balances‘ in Israel in Schieflage.“). Auch die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang gab ihren Senf hinzu: Die Justizreform sei „ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Gerichte und damit natürlich auch auf die Gewaltenteilung in der Demokratie“. Das sage sie „gerade als Freundin Israels“.

 

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Die besondere Ironie ihrer Worte blieb den Damen und Herren anscheinend verborgen. Von einem Verfassungsgericht, das so unabhängig und regierungsfern ist wie das Oberste Gericht in Israel, können die Deutschen nämlich nur träumen. In der Corona-Zeit hat sich gezeigt, was die Gewaltenteilung bei uns wert ist, als das Bundesverfassungsgericht unter Stephan Harbarth noch jede freiheitsfeindliche Maßnahme der Bundesregierung – Lockdown, Bundesnotbremse, einrichtungsbezogene Impfpflicht, 2G-Regeln usw. – durchwinkte und Klagen von Bürgern regelmäßig abschmetterte. Auch die berüchtigte Klimaschutz-Entscheidung des Gerichts ist kaum geeignet, die Rechte der Bürger gegenüber dem Staat zu stärken, indem sie jede kommende Regierung auf Klimaziele festnagelt, die nur durch erhebliche freiheitseinschränkende Maßnahmen erreicht werden können. Und so weiter.

Falls die israelischen Gegner der Justizreform also einfach nur verhindern wollen, dass in ihr System der Gewalteinteilung solche deutschen Verhältnisse einkehren, haben sie meine volle Sympathie. Aber warum gerade deutsche Politiker sich mit ihnen solidarisieren, wird deren Geheimnis bleiben. Was sich ihnen in Israel als Demokratiebewegung darbietet, gälte ihnen, fände es in Deutschland statt, als gefährliches rechtspopulistisches Schwurblertum, das mit aller Härte zu bekämpfen wäre. Und es war gerade die Äußerung Hubert Aiwangers auf der Heizungsdemo in Erding, die Bürger sollten sich die Demokratie zurückholen, die die politische Klasse paradoxerweise als Angriff auf die Demokratie interpretierte. So war es denn auch unter anderem genau dieses Zitat, das die Süddeutsche Zeitung dazu bewog, in Aiwangers Vergangenheit nach Kompromat zu wühlen.

Zeichen für eine vitale Gesellschaft

Die israelische Regierung ignoriert die Ermahnungen aus Deutschland ebenso souverän, wie sie davon absieht, nun ihrerseits deutsche Politiker zum Rücktritt aufzufordern. Man weiß eben in Jerusalem auch zu unterscheiden, ob jemand ein ehemaliges SA-Mitglied war, wie Kurt Waldheim, oder ein möglicherweise ideologisch verblendeter 17-Jähriger in den späten 80er Jahren. Redet man mit ganz normalen Israelis über Deutschland, so schütteln sie eher den Kopf, wenn man versucht, ihnen die deutsche Migrations- oder Energiepolitik zu erklären, als darüber, wie ein bayerischer Landespolitiker mit seiner Vergangenheit umgeht.

Und was die Auseinandersetzung um die Justizreform betrifft, ist es eher ein Zeichen für eine vitale Gesellschaft, dass sie sich um die Zukunft ihrer Demokratie zu streiten imstande ist, als die Situation hierzulande, wo jeder Streit, jeder Dissens, jede Kritik als Angriff auf die Demokratie gesehen wird. Überhaupt macht Israel, jedenfalls von Sderot aus gesehen, einer 35.000-Einwohner-Stadt in der sogenannten Peripherie des Landes, in der ich mich die meiste Zeit aufhielt, einen durchaus vitalen Eindruck.

Die zahlreichen Neubauprojekte mit bezahlbaren Wohnungen für die Mittelschicht und die großen und gepflegten Spielplätze in fast jeder Straße lassen auf eine Gesellschaft schließen, die eine lebenswerte Zukunft für sich und ihre Familien sieht, in die es sich zu investieren lohnt. Während in Deutschland allenfalls am Bestand herumgeflickt wird, um den weiteren Verfall wenigstens abzubremsen. Von einem solchen Deutschland braucht niemand Belehrungen. Und was das Ansehen im Ausland angeht, gibt es da ganz andere Baustellen als den Fall Aiwanger.

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