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Die chinesischen Bevölkerung übt Kritik / picture alliance

Chinas Regierung und das Coronavirus - Kränkelndes System

Das Coronavirus greift nicht nur die globale Gesundheit an. In China reagiert die Bevölkerung heftig auf das Missmanagement der Kommunistischen Partei. Die Kritik ist nicht nur Ausdruck von Angst und Frustration, sondern setzt auch die Regierung zunehmend unter Druck.

Autoreninfo

Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Inhaber des dortigen Lehrstuhls Moderne Chinastudien.

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Der Tod des Arztes Li Wenliang, der Ende Dezember die Öffentlichkeit vor einem mysteriösen Virus warnen wollte und dafür von der chinesischen Regierung am 30.12.2019 mit einer Ordnungsstrafe belegt wurde, löst eine Art Online-Revolte in China aus. Vermutlich aufgrund der verzögerten Reaktion der Regierung hat die Krankheit Hunderte von Menschen in China getötet, Zehntausende infiziert und die Führung gezwungen, ganze Städte unter Quarantäne zu stellen.

Laute Kritik an der Politik

Das Verhalten der chinesischen Regierung wirkt vor diesem Hintergrund als Rückfall in eingewurzelte autoritäre Instinkte. Das tragische Schicksal des jungen sympathischen Arztes symbolisiert in den Augen der chinesischen Netizens die Prioritäten der Partei, für die der Machterhalt Vorrang vor dem Wohlergehen des Volkes hat. Eine chinesische Geschichts-Professorin forderte in einem offenen Brief im Internet: Stellt eine Bronze-Statue auf vor dem Krankenhaus mit einer Tafel, auf der geschrieben steht: „Gerüchtemacher“.

Berichte über Informationsunterdrückung und allgemeine Misswirtschaft durch die Stadtverwaltung von Wuhan zirkulieren seit über einer Woche im chinesischen Internet. Unverkennbar ist das Ausmaß und die Intensität der Ängste, die vor alllem von unverhohlener Skepsis gegenüber staatlichen Aktivitäten geleitet sind. Selbst ein flüchtiger Blick auf das chinesische Twitter „Weibo“ offenbart ein unglaubliches Ausmaß an Kritik an der offiziellen Politik – sowohl verschleiert als auch völlig unverholen.

Zwischen Zensur und Apathie

Personen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund, darunter Verwaltungsbeamte, prominente Geschäftsleute und normale Online-Nutzer, haben mutig kritische Nachrichten veröffentlicht, in denen sie ihre Trauer über den Tod des Arztes und ihre Wut über das Schweigen der Polizei zum Ausdruck bringen. Verglichen mit anderen politischen Herausforderungen, die in den letzten zwei Jahren große internationale Aufmerksamkeit hervorgerufen haben – angefangen von den Verfassungsänderungen 2018 bis hin zu den Krisen in Xinjiang und Hongkong – stellt die aktuelle Situation eine weitaus ernstere Bedrohung für die Legitimität des Parteistaats dar.

Die Coronavirus-Epidemie hat zu einer weit verbreiteten Stimmung von Wut und Frustration geführt, die in den letzten Jahren in der stark zensierten Welt des chinesischen Internets nur sehr selten zum Ausdruck kam.

Die Konfliktbereitschaft wächst

Die Welt bewundert zwar die Schnelligkeit und den Erfolg von Chinas „Wirtschaftswunder“ oder ist besorgt über Chinas rapiden Aufstieg. Aber wie die jüngste Krise zeigt, ist die Situation in China sehr fragil. Die Tatsache, dass eine solche Krise aller Zensur zum Trotz eine Vielzahl von Protesten und kritisch-satirischen Äußerungen auslöst, weist auf eine wachsende öffentliche Unzufriedenheit und Konfliktbereitschaft hin.

In einer Gesellschaft, die insbesondere durch Mobilität und Mediennutzung gekennzeichnet ist, zeigen die Bürger ein erhöhtes Bewusstsein für korrupte und ineffiziente Praktiken der Regierung. Es gibt immer wieder Unruhen, Ärger über strukturelle Ungerechtigkeiten und schlechte Regierungsführung sowie eine rastlose Suche nach neuen Formen der Spiritualität und Moral, um die zusammenbrechende Ordnung zu ersetzen.

Die Starrheit der politischen Macht

Das chinesische Internet ist dominiert von den Sorgen, Frustrationen und der Kritik der Menschen an verschiedene Beeinträchtigungen des sozialen Lebens. Bei einer Krise wie jetzt kommen die Gefühle der Unsicherheit und Enttäuschung in den Medien explosionsartig zum Ausdruck.

Die Epidemie in China zeigt, dass es längst ein landesweites Nachdenken über die Grenzen und Schwächen der autoritären chinesischen Regierung gibt, die keinen Dissens zulässt. Diese Bedenken haben ihre Ursache zum größten Teil in dem ungeklärten politischen System Chinas. Während das wirtschaftliche System laufend reformiert wurde und heute zu den effizientesten der Welt gehört, beruht das politische System, von kleinen Modifikationen abgesehen, weiterhin auf der Alleinherrschaft einer leninistischen Kaderpartei. Das Dilemma der Gleichzeitigkeit einer mobilen Gesellschaft und innovativen Wirtschaft auf der einen Seite und eines starren politischen Systems auf der anderen Seite schafft ein durchdringendes Gefühl der Unruhe und Verletzlichkeit.

Keine nachhaltige Lösung in Sicht

Das Fehlen von demokratischen Prozessen erhöht paradoxerweise die Dringlichkeit, mit der öffentliche Krisen und politische Herausforderungen diskutiert werden. Sorgen über Epidemien, aber auch andere Skandale wie fehlende Nahrungsmittelsicherheit oder Umweltverschmutzung lösen massive Proteste aus, die die Regierung bedrohen. Aus diesem Grund ist sie gezwungen, schnell auf die Probleme einzugehen, indem sie die Verantwortlichen findet, Beamte verhaftet, drakonische Maßnahmen ergreift und Schadensersatz zahlt. Das demokratische Defizit setzt die Regierung unter enormen Druck, Lösungen zu finden. Die Führung muss unter Einsatz aller erdenklicher Mittel (Bau eines Krankenhauses in zwei Wochen, Abriegelung von Millionenstädten, Quarantäne, Kontrollen, Strafen) proaktiv die Ursachen angehen. Aber das zugrundeliegende fundamentale Dilemma wird dadurch nicht nachhaltig gelöst und die Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft bleibt bestehen oder wird verstärkt.

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