Olaf Scholz bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen - Eine verpuffte Rede

Die mit Spannung erwartete Rede von Olaf Scholz bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen brachte keinerlei Impulse für die Lösung der Ukraine-Krise und die Gestaltung des künftigen Verhältnisses zu Russland. Nicht auf der internationalen Bühne oder dem Schlachtfeld lässt sich der furchtbare Krieg einhegen, sondern in den Wohnzimmern Russlands, schreibt Cicero-Autor Mathias Brodkorb.

Olaf Schulz hält bei seiner Rede demonstrativ die UN-Charta in die Höhe. / picture alliance
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Mit viel Spannung wurde sie zumindest in Deutschland erwartet, die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Lage in der Ukraine. Zweierlei war sie dabei ohne Zweifel: souverän vorgetragen und ganz dem Wertekosmos der internationalen Gemeinschaft verpflichtet. Scholz hielt sogar demonstrativ die UN-Charta in die Höhe, um seinen Worten noch mehr Pathos zu verleihen.

Der Mechanismus der Rede ist dabei einfach zu entschlüsseln: Scholz appellierte an die Weltgemeinschaft, und zwar mit besonderem Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer, die „regelbasierte Ordnung“ konsequent zu verteidigen, um Frieden und Fortschritt in der Welt zu wahren. Und er kritisierte auf öffentlicher Bühne Russland und Putin scharf.

Was dieser treibe, sei „blanker Imperialismus“. Er zerstöre dadurch nicht nur die Ukraine, sondern ruiniere auch Russland und beschädige die in Jahrzehnten aufgebaute internationale Ordnung. Wenn dem nicht Einhalt geboten werde, drohe nicht „regelloses Chaos“, sondern die Wiederkehr des Rechts des Stärkeren. Einem russischen „Diktatfrieden“ erteilte Scholz folgerichtig eine ebenso klare Absage wie der Anerkennung der angekündigten Referenden in Donezk und Luhansk.

„Die Mörder werden wir zur Rechenschaft ziehen“

Scholz begründete dabei seine Haltung mit nichts geringerem als der deutschen Geschichte. Der an den Juden verübte „Zivilisationsbruch“, der welthistorisch „keinerlei Vergleich“ dulde, habe die „Brüchigkeit unserer Zivilisation“ gezeigt. Um so wichtiger sei es, die auf diesen Trümmern errichtete internationale Ordnung konsequent zu verteidigen. Und als Drohung schickte er unmissverständlich hinterher: „Die Mörder werden wir zur Rechenschaft ziehen.“

Gemeinsam mit den Entwicklungs- und Schwellenländern also soll der Westen Putin in die Knie zwingen. Um dieses Ziel zu erreichen verwies Scholz nicht nur auf milliardenschwere Investitions- und Entwicklungsprogramme. Er versprach den Ländern des globalen Südens zugleich, als ihr Anwalt bei der Reform der Institutionen der UN aufzutreten.

Im Gegenzug zum Kampf gegen Putins Russland sollen sie, wenn es nach ihm geht, künftig im UN-Sicherheitsrat eine relevante Rolle spielen. Überflüssig zu betonen, dass Scholz dies auch mit der Idee zu einem Gegengeschäft verband: Er lud die Länder des globalen Südens umgekehrt dazu ein, Deutschland dabei zu unterstützen, ständiges Mitglied im Sicherheitsrat zu werden.

Putin kann sich eine Niederlage nicht erlauben

Allerdings ist Scholz’ Rede schon wieder Geschichte, kaum dass sie gehalten wurde. Nur wenige Tage nach der Ankündigung von Anschlussreferenden in den Gebieten Donezk und Luhansk und nur wenige Stunden nach der Verkündigung einer Teilmobilmachung der russischen Streitkräfte stehen alle Zeichen auf eine deutliche Eskalation im Ukraine-Krieg.

Überraschen kann das indes nicht. Seit Monaten verweisen viel gescholtene Kritiker des Kurses der deutschen Regierung auf die „Eskalationsdominanz“ der Russen und Putins persönlich verzwickte Lage. Er hat sich mit dem Einmarsch in die Ukraine gleich dreifach verkalkuliert: im Hinblick auf die Stärke seiner Armee, die Reaktionen des Westens und die Wehrbereitschaft der ukrainischen Truppen.

 

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Während die einen hierin Anzeichen für eine langfristige Niederlage Putins sehen, befürchten die anderen, dass er zur Rettung seines eigenen Schopfes gar nicht anders könne, als jeden militärischen Erfolg der Ukraine oder jede weitere Verschärfung von Sanktionen gegen Russland notfalls auch mit einer Eskalation der Gewalt zu beantworten. Eines jedenfalls kann sich Putin auf keinen Fall erlauben: eine Niederlage. Dann nämlich dürfte der gute alte Grundsatz wieder greifen, dass man den Kreml nur auf eine Weise verlässt: in der Horizontalen.

Russland reagiert mit neuen Schachzügen

Während Scholz vor den UN die Gemeinschaft der Völker und eine „regelbasierte internationale Ordnung“ beschwor, unternahm Putin also den nächsten Schachzug. Dass das Datum hierfür mit Bedacht gewählt wurde, darf dabei als gesichert gelten. Die Botschaft an die internationale Gemeinschaft ist eindeutig: Wer Russland an die Wand drücken will, wird mit den Folgen leben müssen.

Bereits gestern hatte der Buchautor und Freund Alexei Nawalnys, Leonid Wolkow, bei Markus Lanz jene düstere Prognose abgegeben, die nun Wirklichkeit geworden ist. Erst jüngst nämlich hätten sich die Haftbedingungen des Dissidenten Nawalnys ohne erkennbaren Grund deutlich verschärft. Wolkow wertete dies als den Versuch, jegliche Oppositionsmöglichkeiten in Russland zu unterbinden. Er konnte sich dies alles nur so erklären, dass Putin in ein paar Tagen wohl die Mobilmachung auslösen werde. Aus ein paar Tagen wurden dann nur wenige Stunden.

Für Wolkow allerdings ändert dies Putins innenpolitisches Standing möglicherweise gravierend. Bisher nämlich sei der öffentliche Protest gegen Putins Politik aus einem Nutzenkalkül heraus beschränkt. Jeder müsse sich eben fragen, ob ihm eine kritische Äußerung 15 Jahre Zuchthaus wert sei. Mit der Mobilmachung jedoch verschöbe sich das „Risikoprofil“. Von nun an müssten junge Männer zwischen 15 Jahren Zuchthaus und ihrem möglichen Tode abwägen.

Vielleicht leitet Putin selbst sein politisches Ende ein

Vielleicht also liegt die größte Chance zur Einhegung des Krieges nicht auf den Schlachtfeldern der Ukraine und der internationalen politischen Bühne, sondern in den Wohnzimmern russischer Familien. Vielleicht also ist es Putin selbst, der durch den nächsten Schritt der Eskalation sein politisches Ende einleitet. Die Chancen hierfür sind denkbar gering, derzeit scheinen sie aber größer als die Möglichkeiten der großen Politik.

Die beste Unterstützung für eine solche Option hätte allerdings in der Botschaft Scholz’ vor den UN bestanden, das russische Volk nicht auf ewig zu verdammen und politische wie wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland nicht auf Dauer auszuschließen, wie es führende Politiker der Bundesrepublik in den letzten Wochen ein ums andere Mal getan und damit das russische Volk symbolisch an Putin gekettet haben. Auch wirksame Außenpolitik kann dem Grundsatz des „divide et impera“ nicht entsagen.

Gerade Scholz hätte dabei als Deutscher eine solche Botschaft authentisch verkörpern können. Immerhin war und ist es das Volk, dem er selbst angehört, das nach dem Zweiten Weltkrieg und nach Hitler von der internationalen Gemeinschaft selbst eine zweite Chance erhalten hat.

Indes gibt es da ein Problem: Man kann einen skrupellosen Menschen nicht dadurch zum Nachgeben bringen, dass man seine eigenen Skrupel wie eine Monstranz vor sich herträgt. Auch die entschlossenste Rede eines deutschen Bundeskanzlers verpufft, wenn ihr nicht so recht Taten folgen wollen. Spätestens nach der Mobilmachung der russischen Streitkräfte wird die Lieferung schwerer Waffen auch durch Deutschland daher wieder auf der Tagesordnung stehen.

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