Vorschlag der EU-Kommission zur Grünen Gentechnik - „Greenpeace bringt die gleichen Argumente wie vor 30 Jahren“ 

Die EU-Kommission möchte die Kennzeichnungspflicht bei Zuchtmethoden der Grünen Gentechnik lockern. Für den Agrarökonomen Matin Qaim bietet die neue Technik Lösungen für den nachhaltigen Ackerbau sowie für globale Ernährungsprobleme.

Grüne Gentechnik ist wichtig für die Welternährung, sagt Matin Qaim / dpa
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Matin Qaim ist Professor für Agrarökonomie und Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn.  

Herr Qaim, hatten Sie schon einmal Pflanzen auf dem Teller, bei deren Zucht die sogenannte Grüne Gentechnik angewendet wurde?  

Ja, denn in den USA ist das ja weitverbreitet. Vor allem gentechnisch veränderte Mais- und Sojapflanzen werden dort seit fast 30 Jahren im Lebensmittelsektor verwendet. Bei uns in Europa werden importierte gentechnisch veränderte Pflanzen bisher fast nur in der Tierfütterung eingesetzt. 

Die EU-Kommission hat ja nun Deregulierungen in dem Bereich vorgeschlagen. Einige Skeptiker der Grünen Gentechnik sagen, sie seien durchaus offen für die neue Technik. Diese sollte jedoch aus Gründen der Transparenz für die Verbraucher gekennzeichnet sein, entgegen dem, was die Kommission vorschlägt. Diese möchte einige Anwendungen der Grünen Gentechnik aus der Kennzeichnungspflicht herausnehmen. Sollte die Kennzeichnung nun wegfallen oder nicht? Was wäre so schlimm an einer Kennzeichnung? 

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass der vorgeschlagene Wegfall der Kennzeichnungspflicht sich nur auf ganz bestimmte Formen der neuen Gentechnik bezieht, nämlich auf Pflanzen mit nur geringfügigen genetischen Veränderungen, bei denen kein artfremdes Erbmaterial eingebracht wurde. Es handelt sich hierbei um sogenannte Punktmutationen, die durch Geneditierung erreicht werden, die aber prinzipiell auch in der Natur oder durch klassische Mutationszüchtung entstehen können. Man kann in der Pflanze am Ende zwar die Mutation nachweisen, aber nicht, durch welche Züchtungsmethode sie entstanden ist. Und wenn man die Methode im Produkt nicht nachweisen kann, ist eine Kennzeichnung nur möglich, wenn man völlig getrennte Vermarktungskanäle hätte und diese umfassend dokumentieren würde. Das wäre sehr ineffizient und teuer.

Der Transparenz wäre damit auch nicht wirklich gedient, weil eine Kennzeichnung die Stigmatisierung der Gentechnik als möglicherweise gefährlich aufrechterhalten würde, obwohl geneditierte Pflanzen mindestens ebenso sicher sind wie klassisch gezüchtete. Was wir brauchen, ist mehr Transparenz und Objektivität in der öffentlichen Diskussion, um die ungerechtfertigten Vorurteile gegen die Technik schrittweise abzubauen.  

Viele aus der Landwirtschaft stehen der Technik offen gegenüber. In der Biolandwirtschaft gibt es aber Vorbehalte. Diese besagen zum Beispiel, es würden Probleme entstehen, wenn der Landwirt auf dem Acker nebenan mit grüner Gentechnik arbeitet und die eigenen Pflanzen dann durch den Pollenflug mit den genveränderten Pflanzen in Kontakt kommen. Den Biobauern zufolge würde das dann bei den eigenen Pflanzen den Nachweis erschweren, dass nicht mit Gentechnik gearbeitet wurde. Können Sie dieser Argumentation folgen, dass es deswegen einer Kennzeichnung bedarf? 

Matin Qaim / Universität Bonn

Der Biobauer hätte nur dann ein Problem, wenn er seine Produkte nicht mehr als Bio verkaufen könnte. Das wird aber nicht der Fall sein. Geneditierte Pflanzen ohne artfremde Gene wären konventionellen Pflanzen gleichgestellt. Es gibt auch heute Pollenflug zwischen konventionellen Feldern und Biofeldern, ohne dass dies die Vermarktung der Biowaren in irgendeiner Weise einschränkt. Übrigens sieht der Vorschlag der Kommission vor, dass das Saatgut der geneditierten Pflanzen gekennzeichnet werden muss. Das ist als Kompromiss auch sinnvoll, denn dadurch können Biobauern entscheiden, diese Sorten selbst nicht zu verwenden.

Es ist auch wichtig zu wissen, dass die klassische Mutationszüchtung, die seit über 60 Jahren angewendet wird, vom Europäischen Gerichtshof in seinem Urteil von 2018 auch als Gentechnik eingestuft, dann im Annex des Gesetzes aber von der Gentechnikkennzeichnung wieder ausgenommen wurde. Dagegen gibt es keinerlei Protest, auch nicht bei Biobauern. Es ist also ist nicht klar, warum es jetzt so viel Aufregung um die geneditierten Punktmutationen gibt, die ja am Ende viel präziser sind. Vermutlich vor allem aufgrund von Missverständnissen. Viele sind einfach aus Prinzip gegen Gentechnik und wollen die Details der heutigen Regelungen und der Vorschläge zur Reform gar nicht wirklich verstehen, insbesondere dann nicht, wenn das tiefsitzende Vorurteile ins Wanken bringen könnte. 

Redet man mit Biologen oder Personen aus dem Biotechbereich, begrüßen viele die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission. Gibt es einen einheitlichen Konsens in der Wissenschaftscommunity bezüglich der Grünen Gentechnik? 

Ja, es gibt einen Konsens darüber, dass die Risiken dieser Techniken nicht anders sind als die Risiken konventioneller Züchtungsverfahren. Dazu gibt es auch zahlreiche und sehr eindeutige Statements aller großen Wissenschaftsorganisationen. Konsens bedeutet nicht, dass 100% das gleiche sagen. Es gibt vereinzelte Stimmen, die Bedenken äußern, was in der Wissenschaft normal ist. Es gibt auch nach wie vor einzelne Kollegen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen. Aber trotzdem müssen wir uns doch an die Evidenz halten. Über 99% der Wissenschaftler in relevanten Bereichen erkennen an, dass inzwischen mehr als 30 Jahre Risikoforschung zur Grünen Gentechnik nicht zu unerwarteten Effekten für Umwelt und menschliche Gesundheit geführt haben. Vor dem Hintergrund wäre es sehr unklug, die Technologie weiter zu tabuisieren. Trotzdem müssen wir natürlich weiter forschen und auch darüber nachdenken, wie wir die Technik nutzen und wie sie am besten zur Nachhaltigkeit beitragen kann. Dazu gehören auch Fragen der Patentierbarkeit und dazu, wie Marktmacht einzelner Firmen verhindert werden kann. 

Auch das wird von kritischen Stimmen oft aufgeführt, dass die Anwendung von grünen Gentechnikverfahren nur großen Konzernen in der Praxis zur Verfügung stehe. Stimmt es also, dass mittlere und kleinere Betriebe davon nichts hätten? 

CRISPR/Cas ist eine günstige Technologie, die auch von kleinen Labors angewendet werden kann. Durch die aktuellen Regulierungshürden ist es aber unendlich teuer, Produkte zugelassen zu bekommen und auf den Markt zu bringen. Das können sich nur die großen Firmen leisten, kleine Labors werden dadurch aus dem Markt gedrängt. Doch wenn wir mit der Regulierung effizienter werden, können auch kleinere Unternehmen und öffentliche Einrichtungen mitmischen, dadurch würden Wettbewerb und Vielfalt gefördert. Bei den Produkten, die derzeit mit CRISPR/Cas entwickelt werden, gibt es superinteressante Sachen, die auch für Kleinbauern in Ländern des globalen Südens sehr interessant sein werden. Zum Beispiel Trocken- und Hitzetoleranzen, Pilzresistenzen oder Bakterienresistenzen an Pflanzen wie Bananen und Maniok, die mit konventioneller Züchtung gar nicht ohne weiteres zu bearbeiten sind.  

 

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Kritiker, wie der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik, sagen, es brauche mehr natürliche Landwirtschaft, und dass diese weit mehr bringen würde als Gentechnikverfahren. Wie sehen Sie das? 

Was genau natürliche Landwirtschaft sein soll, bliebe zu definieren. Grundsätzlich sollten aber die Gentechnik und verbesserte Sorten allgemein nicht als Ersatz für andere wichtige ackerbauliche Maßnahmen gesehen werden, wie Fruchtfolgenvielfalt und Humus aufbauende Praktiken. Es gibt nicht das eine Allheilmittel. Aber warum nicht Humus aufbauende Praktiken fördern und das mit verbessertem Saatgut für viele verschiedene Kulturarten und anderen Techniken sinnvoll kombinieren? Denn die Herausforderungen sind groß: Wir müssen mit knappen Ressourcen und vor dem Hintergrund des Klimawandels heute acht Milliarden und in Zukunft zehn Milliarden Menschen ernähren.

Wir wollen auch zunehmend nachwachsende Rohstoffe vom Acker verwenden, um auf Kreislaufwirtschaft umzustellen. Das kriegen wir mit romantischen Vorstellungen von Landwirtschaft und alten Sorten, die nur ein Viertel der Erntemengen bringen, nicht hin. Bei niedrigen Erträgen müssten wir auch noch die verbleibenden Wälder auf unserem Planeten roden und alle Moore trockenlegen. Das wäre für Klima und Umwelt eine Katastrophe. Wir müssen uns innerhalb der planetaren Grenzen bewegen und Innovationen vorantreiben, die uns dabei helfen, Wälder und Biodiversität zu erhalten. Klar gehört dazu auch soziale Innovation, um unsere verschwenderischen Konsummuster in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu verändern. 

Gegner der Grünen Gentechnik sagen auch, es gebe bisher wenig Ergebnisse in der Praxis und außerhalb der Labore. Stimmt das so?  

Es gibt seit Mitte der 1990er Jahre in vielen Ländern gentechnisch veränderte Pflanzen, die zu höheren Erträgen und zum Teil auch zu verringertem Pestizideinsatz geführt haben. Aber die Zahl der unterschiedlichen Pflanzen ist tatsächlich noch nicht sehr groß. Das hat mit den Regulierungshürden zu tun, die vor allem in der EU einem Verbot der Gentechnik gleichkommen. Es wird den Forschenden unglaublich schwer bis unmöglich gemacht, gentechnisch veränderte Pflanzen auch nur im Rahmen von Feldversuchen zu testen, geschweige denn sie auf den Markt zu bringen.

In Europa wurde nur einmal eine gentechnisch veränderte Pflanze längerfristig zum Anbau zugelassen, und das war insektenresistenter Mais im Jahr 1998. Vieles andere wurde beantragt und von den Behörden als sicher eingestuft, aber wegen politischer und gesellschaftlicher Ablehnung nicht zugelassen. Ist es vor dem Hintergrund nicht zynisch zu behaupten, dass die Gentechnik wenig Ergebnisse bringt und alles nur leere Versprechungen seien? Sehr viele interessante Anwendungen sind in der Pipeline und kommen in anderen Teilen der Welt schrittweise auf den Markt. Da ist eine große Dynamik drin, die wir in Europa momentan ausbremsen und verschlafen. 

Der Eindruck entsteht, dass hinter der abwehrenden Haltung gegen die Gentechnik viel politische Motivation und auch unterschiedliche wirtschaftliche Interessen stecken. Von Aktivisten und NGOs ist zudem oft die Parole „Follow the Science“ zu hören, die aber anscheinend nicht für Gentechnik gilt. Steck dahinter auch ein jahrzehntelanger, tief verankerter Dogmatismus?  

Ja, das ist so. Aber wie ist es dazu gekommen? Wenn wir mal in die frühen 1990er Jahre zurückspulen, als die öffentlichen Diskussionen begannen ... damals war Gentechnik an Pflanzen noch recht neu. Bei neuen Entwicklungen tut man auch in der Wissenschaft gut daran, vorsichtig zu sein und sehr umfangreich zu testen. Aber jetzt haben wir 30 Jahre Erfahrung mit den Risikotests und auch mit der praktischen Nutzung in vielen anderen Teilen der Welt, wo Gentechnik auf fast 200 Millionen Hektar Ackerland jährlich angewendet wird. 30 Jahre Erfahrung, in denen keine unerwarteten Effekte und keine Anhaltspunkte für neue Risiken aufgetreten sind. Doch diese 30 Jahre zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse haben in der politischen und öffentlichen Debatte in Europa kaum Beachtung gefunden.

Das liegt zum einen daran, dass etwas, das einmal als gefährlich und böse eingestuft wurde, von diesem Image nicht so leicht wieder loskommt. Festgefahrene Meinungen sind schwer zu ändern, vor allem wenn es um komplexe Themen geht, die man als Laie technisch kaum verstehen kann. Zum anderen wurde das Negativbild von einigen Interessengruppen durch eigene Narrative weiter gepflegt, nicht der wissenschaftlichen Evidenz entsprechend, aber dennoch wirkungsvoll in der Meinungsmache. Wirkungsvoll sind diese Narrative vor allem deswegen, weil sie von Umweltgruppen kommen, die in der Öffentlichkeit eine große Glaubwürdigkeit genießen.

Greenpeace und der BUND bringen heute noch immer die gleichen Argumente wie vor 30 Jahren. Die Medien haben dabei auch eine Rolle gespielt, indem sie allen Meinungen um die Gentechnik den gleichen Raum geben, egal wie der wissenschaftliche Konsens dazu aussieht. Das erzeugt in der Öffentlichkeit natürlich ein bestimmtes Bild: Entweder ist die Technologie gefährlich oder zumindest weiß man es nicht so genau, wodurch sich die meisten in ihrer grundsätzlichen Skepsis bestätigt sehen. Ich verspüre aktuell aber ein wenig Bewegung in der Debatte. Aufgrund der zunehmend für alle deutlich werdenden Herausforderungen mit Blick auf Ernährungssicherung, Klimawandel, Schutz der Umwelt und andere Krisen beginnen einige, ihre Positionen zu überdenken und offener für neue Agrartechnologien zu werden. 

In Ländern wie China, Brasilien oder den USA finden solche Techniken in der Zucht ihre Anwendung. Zudem nimmt das Thema Ernährungsversorgung auch geopolitische Dimensionen an. Läuft man in Deutschland und in der EU Gefahr, in Abhängigkeiten zu geraten, weil man sich gegen bestimmte Technologien stemmt? 

Tatsächlich haben wir in Europa aufgrund von Überregulierung einen Wettbewerbsnachteil – sowohl in der Landwirtschaft als auch vor allem in der Züchtungsforschung. Der Rest der Welt verwendet zunehmend neue Züchtungsgentechniken, was die Landwirtschaft effizienter und nachhaltiger machen kann. Wir im Gegenzug müssen mehr Agrarprodukte importieren und werden zukünftig auch kaum mehr sicherstellen können, dass diese Importe nicht mit neuen Gentechniken hergestellt wurden.

Ich mache mir keine Sorgen darum, dass wir in Europa Hunger leiden werden. Wir sind recht reich und werden uns auch durch mehr Importe versorgen können, selbst wenn die etwas teurer werden. Aber wir verspielen technologische Chancen und werden unserer internationalen Verantwortung nicht gerecht, wenn wir neue Züchtungstechnologien für die Landwirtschaft nicht weiterentwickeln und nutzen. Wir haben in Europa gute Standorte für Landwirtschaft, auf denen wir mit mehr Technologieoffenheit effizienter und umweltfreundlicher produzieren könnten. Damit könnten wir zu einer weltweit verbesserten Versorgungslage beitragen und auch dazu, dass nicht immer mehr Regenwald in anderen Teilen der Welt für unsere Importe gerodet werden muss. 

Denken Sie, dass es nun mit dem Vorschlag der EU-Kommission zu einem Umdenken in der Politik kommen wird? 

Bisher ist das tatsächlich nur ein Vorschlag der Kommission. Dieser Vorschlag wird jetzt auf Ebene der EU-Mitgliedsländer diskutiert. Am Ende müssen sowohl das EU-Parlament als auch die Mitgliedsländer darüber entscheiden, ob der Vorschlag umgesetzt wird. In Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedsländern ist das noch lange nicht ausgemacht. Sollte dieser Vorschlag nicht angenommen werden, würde es beim strengen Gentechnikrecht bleiben, was de facto ein Verbot der Anwendung auch der neuen Geneditierungsverfahren bedeutet. Ich hoffe sehr auf die Umsetzung des Kommissionsvorschlags, weil es allerhöchste Zeit für eine wissenschaftsbasierte Reform des Gentechnikgesetzes ist.

Der Kommissionsvorschlag ist ein guter Kompromiss, der sowohl die wissenschaftliche Evidenz berücksichtigt als auch einigen der tiefsitzenden Vorurteile in der Gesellschaft Rechnung trägt. Transgene Pflanzen sollen nach dem Vorschlag der Kommission weiterhin streng reguliert bleiben. Ich habe einen gewissen Optimismus, dass sich politische Mehrheiten in der EU dazu finden lassen. In der deutschen Bundesregierung ist die FDP eindeutig für den Kommissionsvorschlag. Bei den Grünen gibt es unterschiedliche Positionen, aber längst sind nicht alle Grünenpolitiker dagegen. Auch bei der SPD gibt es keine einheitliche Position.

Ein bisschen Zeit muss man dem Ganzen noch geben. Es finden in allen Parteien Diskussionen zum Thema statt Deswegen ist es gut, dass das Thema auch medial schrittweise mit stärkerem Wissenschaftsbezug diskutiert wird. Das könnte helfen, dass einige festgefahrene Sichtweisen sich schrittweise vielleicht doch noch verändern.  

Das Gespräch führte Alexandre Kintzinger.

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