Taiwans Halbleiter-Industrie - Auf dem Trockenen

Taiwan ist der weltweit wichtigste Standort für die Produktion von Halbleitern. Aber nicht nur die geopolitische Situation rund um China bedroht die Industrie, sondern auch der Klimawandel. Das Wasser wird knapp. Und das führt zu neuen Verteilungskonflikten.

Orientierung ins Ausland: Geplante Chipfabrik des taiwanesischen Herstellers TSMC in Phoenix/Arizona / dpa
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Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

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In Taiwan macht sich gerade eine seltsame Sorge breit: „Es wird wahrscheinlich weniger Taifune geben“, erklärte ein Nachrichtensprecher des Fernsehsenders Formosa TV im Mai eine Prognose für den Rest des Jahres. „Die Trockenperiode könnte sogar bis in den kommenden Frühling reichen.“ Und das bedeute nichts Gutes. Wenn die starken Winde zwischen Mai und November normalerweise die Insel erreichen, kann es zwar schnell zu Straßenblockaden, Erdrutschen und anderen Gefahren kommen. Aber die Stürme hätte man in Taiwan trotzdem gern.

Seit drei Jahren hat kein Auge eines Taifuns mehr Taiwan erreicht. Was auch heißt: Die Niederschläge, die damit einhergehen würden, nehmen ab, sodass es seit Monaten tendenziell an Wasser mangelt. Und das wiederum könnte noch für eine nationale Katastrophe sorgen. In Taiwan, einem wohlhabenden Industriestaat, führt Wassermangel zwar nicht gleich zu Hungersnöten wie in einigen afrikanischen Ländern. Aber existenziell bedrohlich könnte das Ganze trotzdem noch werden. Denn ohne genügend Wasser trocknet die hier bedeutendste Industrie aus: die Chipproduktion.

Halbleiter, auch Mikrochips genannt, werden heutzutage für jedes anspruchsvollere Elektroprodukt benötigt – von Kühlschränken über Laptops und Smartphones bis zu Autos und Kampfflugzeugen. Und auf der 24-Millionen-Insel Taiwan haben sich über die vergangenen Jahrzehnte mehrere Unternehmen auf die komplizierte Herstellung spezialisiert, für die bisweilen teure, große Fabriken notwendig sind: Taiwans Weltmarktanteil liegt bei 60 Prozent, bei den diffizilsten Chips sogar bei 90 Prozent der globalen Fertigung. Die Weltwirtschaft ist auf Taiwan also angewiesen, und Taiwan liefert.

Bisher jedenfalls. Ungewiss ist aber, wie lange noch. Denn der Durst, den die riesigen Fabriken nach Wasser haben, lässt sich womöglich nicht ewig löschen. Einerseits benötigen die Fertigungsstätten, von denen laufend neue errichtet werden, tendenziell umso mehr Wasser, je anspruchsvoller die Chips werden. Andererseits sorgt der Klimawandel für neue Wetterrealitäten. Im Süden des Landes, wo viele Fabriken stehen, erreichten die Niederschläge zuletzt nur noch 40 Prozent sonst typischer Jahre – und damit die niedrigsten Werte der letzten drei Jahrzehnte.

Die letzte Chipkrise ist noch in schmerzlicher Erinnerung

Bis der Halbleiterindustrie das Wasser ausgeht, ist bis auf weiteres eine Frage der Zeit. Und wie groß das Krisenbewusstsein in Taiwan schon ist, lässt sich an Äußerungen diverser hoher Offizieller erkennen. So erklärte Lai Chien-hsin, Generaldirektor der taiwanischen Wasserressourcenagentur, vor kurzem: „Bereits im August letzten Jahres haben wir begonnen, Notfallpläne aufzustellen.“ Präsidentin Tsai Ing-wen versprach schon vor zwei Jahren, dass ihre Regierung Unternehmen, die unter Wassermangel leiden, unterstützen werde.

Die Weltwirtschaft freut sich über solche Versprechen, denn die letzte Chipkrise ist noch in schmerzlicher Erinnerung. Als im Jahr 2021 zur Pandemie auch noch eine Dürre in Taiwan kam, riss die globale Wertschöpfungskette, Lieferungen von Elektroprodukten verzögerten sich um Wochen, teils gar um Monate. Die globale Autoproduktion brach damals um ein Viertel ein, in der EU beklagte ein Viertel der herstellenden Betriebe akuten Materialmangel. In Taiwan dagegen sprudelten die Gewinne, und es wurden Hunderte Milliarden Euro in neue Fabriken investiert.

Denn für die ostasiatische Insel geht es um mehr als sehr viel Geld. Die Halbleiter dienen Taiwan auch als so etwas wie eine Existenzversicherung – gegenüber einem Angriff des großen Nachbarn. Das von Peking aus regierte Festlandchina reklamiert Taiwan als Teil seines eigenen Territoriums und hat über die vergangenen Jahre immer wieder damit gedroht, die Insel notfalls unter Zwang zu erobern. Für den Fall einer Invasion haben die USA sowie andere liberal eingestellte Staaten zu verstehen gegeben, dass sie Taiwan verteidigen würden. Es bestünde also Kriegsgefahr.

Dabei wirkt schon die Existenz der Halbleiterindustrie – mit ihrer starken Konzentration auf den Standort Taiwan – wie die beste Verteidigung. Als „Schutzschild aus Silizium“ nennen Politiker wie Akademiker die Branche: Im Fall eines bewaffneten Konflikts würden die Halbleiterfabriken kaum reibungslos weiterlaufen, da sie wohl entweder beschädigt würden oder die dort beschäftigten Arbeitskräfte das Land verteidigen müssten. Ein Kollaps des wichtigsten Produktionsstandorts für Halbleiter wäre sowohl für die USA als auch für China ein wohl inakzeptables ökonomisches Desaster.

De größten Betriebe orientieren sich vermehrt ins Ausland

Nur ist das Kriegsszenario längst nicht mehr die einzige Bedrohung für die Branche und damit indirekt für ganz Taiwan. Der Klimawandel könnte die noch viel größere Herausforderung werden. Mikrochips werden in höchster Präzision hergestellt, wofür sie in Reinräumen je rund 100-mal einen Spülungsprozess durchlaufen. Hierfür ist sehr reine Flüssigkeit nötig, die sich maßgeblich aus Regenwasser speist. Aber die Reservoirs, in denen dies bisher aufgefangen wurde, sind längst nicht mehr so gut gefüllt wie früher.

Im Frühjahr waren die wichtigsten taiwanischen Reservoirs laut der Wasserressourcenagentur nur zwischen elf und 41 Prozent ihrer Kapazitäten gefüllt. So treffen die Chiphersteller nun selbst erste Vorkehrungen. Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation (TSMC), der weltweit größte Fertigungskonzern, hat erklärt, konkrete Sparmaßnahmen eingeleitet zu haben und fortan mehr genutztes Wasser zu recyceln. Der Konkurrent UMC hat nach eigenen Angaben schon im Januar mit Sparmaßnahmen begonnen – und kam damit einem entsprechenden Appell der Regierung zuvor.

 

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Zugleich orientieren sich die größten Betriebe vermehrt ins Ausland – wenngleich sie hierzu auch wegen der geopolitischen Risiken des Standorts Taiwan gedrängt werden. TSMC hat seit der weltweiten Chipkrise im Jahr 2021 den Bau neuer Fabriken in den USA sowie in Japan verkündet. Auch in Dresden soll bald der Beginn einer neuen Fertigungsstätte beginnen. Andere Hersteller aus Taiwan schauen ebenfalls über die eigene Landesgrenze.

Damit es nicht zu einem Exodus kommt, versucht der Staat, seiner Schlüsselbranche unter die Arme zu greifen. Seitens der Wasserressourcenagentur hieß es im Frühjahr auch vor diesem Hintergrund: „Wir werden 54 neue Brunnen bohren.“ Nun sollen damit landesweit 136.000 Tonnen pro Tag zusätzlich zur Verfügung stehen. Aber während dies in absoluten Zahlen riesige Wassermengen sind, ist es wenig im Verhältnis zu dem, was die Branche benötigt. TSMC allein verbraucht in seinen Fabriken im Southern Taiwan Science Park täglich 99.000 Tonnen.

Ganz besonders bemerkt man die Krise in der Landwirtschaft

Die geringen Wasserstände in den Reservoirs werden zudem zu einer Art Reinigung genutzt. Experten tragen nun Sandschichten an den Böden ab, damit fortan mehr Wasser konserviert werden kann. Zudem befindet sich derzeit eine Pipeline in Bau, die Wasser aus dem Norden, wo sich die Hauptstadt Taipeh befindet, in den Süden leiten soll, wo der Durst nach Reinigungswasser am größten ist. Die Arbeiten laufen unter Hochdruck, aber vor 2026 dürfte die Pipeline nicht fertig werden.

Und zumindest bis dahin wird Wasser ein knappes Gut bleiben. „Der Klimawandel ist ein echtes Problem, wir beobachten dramatische Schwankungen der Niederschläge von Jahr zu Jahr“, sagte Wu Ray-shyan, Hydrologieexperte und Vizepräsident der National Central University im nördlich gelegenen Taoyuan, im April gegenüber der Wirtschaftszeitung Nikkei. „Der Druck, den Taiwan in Sachen Wasser und Energie verspürt, ist heute viel höher als noch vor einigen Jahren.“ Ironischerweise mache der Erfolg der Halbleiterindustrie das Problem nur noch größer.

Das spürt man längst nicht mehr nur im Halbleiterbusiness. Gerade dort, wo die meisten Fabriken Chips herstellen, ist der Rest der Wirtschaft mitunter von Beschränkungen betroffen. Im März etwa ließ sich dies am vierstufigen Wasserwarnsystem ablesen. Die südtaiwanische Hafenstadt Kaohsiung wurde von Grün, dem niedrigsten Niveau, auf Gelb heraufgestuft, womit der Wasserdruck abends abgesenkt und der Verbrauch gesenkt wird. Tainan wurde auf Orange gehoben, die zweithöchste Stufe, was teilweise Wasserrationierungen bedeutet.

Schon vor zwei Jahren, als die Regierung ähnliche Beschränkungen einführte, waren rund eine Million Menschen betroffen. Ganz besonders bemerkt man die Krise aber in der Landwirtschaft. Denn Reisbauern in der Region werden nunmehr im dritten Jahr dazu angehalten, ihre Felder nicht mehr zu bewässern. Schließlich ist neben der Chipherstellung auch der Anbau von Reis, dem nationalen Grundnahrungsmittel in diversen asiatischen Ländern, sehr wasserintensiv.

Bei einer Seeblockade durch China helfen auch die Halbleiter nicht

Von staatlicher Seite werden die Maßnahmen damit gerechtfertigt, die Niederschläge seien derart gering, dass es auch mit manueller Bewässerung nicht zu guten Ernten reichen würde. Unter den Landwirten aber besteht mittlerweile grundsätzlicher Unmut. „Die Regierung nutzt ihr Geld, damit wir Ruhe geben“, sagte kürzlich Chuang Cheng-deng, ein Reisbauer, der ein Feld in unmittelbarer Nähe einer TSMC-Fabrik besitzt, gegenüber Journalisten. Ein anderer Bauer sagt zum Wassermangel und dem Umgang damit: „TSMC und die anderen Halbleiterleute müssen davon gar nichts spüren.“

Für ihre Ernteausfälle werden landwirtschaftliche Betriebe vom Staat entschädigt. Aber die Sorge ist viel größer: Je länger die Landwirte nichts produzieren können, desto größer wird für sie das Risiko, dass sich ihre Abnehmer auch mittel- und langfristig andere Lieferanten von Reis und weiteren landwirtschaftlichen Erzeugnissen suchen. Schließlich interessieren sich die meisten Kunden vor allem für ein attraktives Verhältnis zwischen Kosten und Qualität, womit grundsätzlich auch Nahrungsmittelimporte aus Niedriglohnländern in Südostasien in Frage kommen.

Für die Regierung dürfte dies aber eigentlich nicht akzeptabel sein. Seit Jahren analysieren Sicherheitsexperten das Risiko einer Seeblockade durch China, sofern es Taiwan irgendwann tatsächlich einzunehmen versuchen sollte. Je stärker die Insel dann von Importen existenziell wichtiger Güter wie Nahrungsmitteln abhängig ist, desto verwundbarer wäre Taiwan für so einen Angriff. Dann helfen auch die Halbleiter, auf die die ganze Welt angewiesen ist, nur noch bedingt.

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