Sinkende Lebensmittelpreise - „Hoffnung, dass das Kaufverhalten wieder Fahrt aufnimmt“

Die Inflation scheint zurückzugehen, die Preise für Lebensmittel nähern sich langsam wieder dem vorherigen Niveau an. Der Verbraucherforscher Thomas Els spricht im Cicero-Interview über die Gründe für den Rückgang und über die Frage, ob das veränderte Konsumentenverhalten langfristige Auswirkungen hat.

Der „nachhaltige Konsum“ hat unter der Inflation am meisten gelitten / dpa
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Shantanu Patni studiert Osteuropa-Studien an der Freien Universität Berlin. 

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Thomas Els ist Marktanalyst und Verbraucherforscher bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI).

Herr Els, die Inflation scheint sich stabilisiert zu haben. Beim Einkaufen hat man zum ersten Mal seit anderthalb Jahren das Gefühl, dass die Preise nicht immer weiter steigen. Woher kommt das?

Wir haben diesen Rückgang der Inflation schon seit dem Frühjahr, wenn wir auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes achten. Im März 2023 hatten wir den Höhepunkt, was die Inflationsrate für Nahrungsmittel und den Verbraucherpreisindex betrifft. Seitdem haben sich die Preise moderat nach unten bewegt. Die Teuerungsrate ist entsprechend deutlicher heruntergegangen. Aber das sind in erster Linie Basiseffekte. Das heißt, wir vergleichen die aktuellen Preise mit dem sehr hohen Niveau aus dem Vorjahr. Es sind nicht zwingend echte Preisrückgänge. Hinzu kommen jetzt Preisrückgänge, die im Oktober kommuniziert wurden, im Bereich Fleisch, Käse und Mehl.

Was wir aber auch haben, sind die Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten, die bis Mitte dieses Jahres hinein für kräftige Preissteigerungen gesorgt haben und die nun auch an der einen oder anderen Stelle sukzessive wieder zurückgehen. Das erste Beispiel wäre die Milch, die sich bis Ende November 2022 sehr kräftig entwickelt hat. Die Erzeugerpreise für Milch sind bis auf 60 Cent pro Kilogramm gestiegen, und damit wurden auch die Preise für Milcherzeugnisse, wie Butter und Käse, auf Verbraucherebene in die Höhe getrieben. Seit dem November ist der Preis dann bis in den Sommer deutlich zurückgegangen, etwa ein Drittel nach unten. Das bietet den Raum für den Preisrückgang, den wir jetzt zum Beispiel bei Käse erleben.

Was ist aber der Grund für diesen Rückgang?

Fangen wir erst einmal mit dem Preisanstieg an. Ich denke, wir hatten einfach einen knapp versorgten Markt. Und da geht es nicht allein um die Verbrauchernachfrage, die ist nicht der maßgebliche Punkt, um Märkte zu bewegen, gerade für Milch oder tierische Produkte. Aber wenn da eine Verwertung zum Beispiel in Richtung Industrie oder ausländische Märkte möglich ist, dann wirkt sich das auch auf die vorgelagerten Stufen aus und schlägt auf die Verbraucherebene zurück. Das heißt, hier gab es entsprechende Möglichkeiten in der Vermarktung, die mit höheren Erzeugerpreisen einherging. In dem Augenblick, in dem die Marktsituation sich verändert, weil das Angebot ausgeweitet wird, aber die Nachfrage sich angesichts hoher Preise abschwächt, führt das dazu, dass die Preise wieder rutschen. Erst einmal auf der vorgelagerten Stufe, also bei den Erzeugern angefangen, dann auf den Verarbeitungsstufen und am Ende aber auch beim Verbraucher.

Laut den Marktforschern der GfK gab gut die Hälfte der Menschen an, dass die steigenden Preise ihr Einkaufsverhalten beeinflussen. Tritt das Preisbewusstsein im Zeichen der Inflation in den Vordergrund?

Definitiv. Wir können sehen, dass auf günstigere Alternativen ausgewichen wurde. Es gibt auch die Entwicklung – da ist die GfK wieder die Quelle –, dass mehr Eigenmarken gekauft wurden. Im Gegenzug mussten die Herstellermarken stärker einbüßen. Auch Discounter mussten weniger einbüßen, im Vergleich zu anderen Einkaufsstätten, die aus Sicht des Verbrauchers eher mit höheren Preisen verbunden sind, wie eben das Ernährungshandwerk, die Direktvermarktung oder auch der Onlinehandel. Das sind Kategorien und Absatzkanäle, die überdurchschnittlich eingebüßt haben. Daran liest man ab, wie der Verbraucher versucht hat, die Preissteigerung in irgendeiner Form abzufangen oder zumindest abzumildern. Sicherlich wurde auch weniger gekauft, wo auch immer das möglich ist. Sehen Sie zum Beispiel die Kampagne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, „Zu gut für die Tonne“. Es wurde darauf Wert gelegt, dass bewusster gekauft und gewirtschaftet wird. Alles Aspekte, die vor dem Hintergrund der steigenden Preise eine Rolle gespielt haben.

Und was ist mit moralisch-ethischen Kriterien wie Nachhaltigkeit, Regionalität, Tierwohl?

Spannend ist es zum Beispiel beim Thema Nachhaltigkeit. Der Bio-Markt ist längst keine Nische mehr. Er hatte sich in den letzten zwei bis zweieinhalb Jahrzehnten stetig entwickelt, gemessen an dem Ausgaben-Anteil für ökologisch erzeugte Lebensmittel. Bis ins Frühjahr 2022 hatte der Verbraucher Wert darauf gelegt, nachhaltig einzukaufen. Jetzt vor dem Hintergrund der Inflation hat er sich doch zurückgehalten, weil der Konsum mit höheren Preisen verbunden war. Ich spreche von „dem Verbraucher“. Das sind 82 Millionen Menschen, und natürlich gilt es nicht für alle. Aber wenn ein Teil sich zurückhält, ist das Ganze im Markt natürlich sichtbar. Aufgrund der kräftigen Preissteigerungen der letzten anderthalb Jahre ist also der Ausgaben-Anteil für ökologisch erzeugte Lebensmittel erstmalig zurückgegangen. Ob „der Verbraucher“ also wieder bereit ist, für nachhaltigere Produkte mehr auszugeben, ist die Frage, die man zurzeit so nicht beantworten kann. Aber wie gesagt, die Hoffnung ist, dass das Kaufverhalten wieder Fahrt aufnimmt. Unsere Zahlen deuten an, dass diese Delle sich wieder auflösen wird. Bio ist als ein Indikator interessant, um zu messen, wie das Thema nachhaltiger Konsum wieder aufgegriffen wird.

Ich habe das am eigenen Kaufverhalten gemerkt, dass ich eher zu den hauseigenen Marken greife als zu den Herstellermarken, um den einen oder anderen Euro zu sparen. Der Einzelhandel musste leiden. Dort wurde im ersten Halbjahr 4,5 Prozent weniger Umsatz gemeldet. Ist nun mit dem Rückgang der Inflation zu erwarten, dass es in den kommenden Monaten einen Aufschwung gibt?

Ja, das ist zumindest die Erwartung. Anfangs hatten die Preissteigerungen die Einkommensentwicklung ein Stück weit wieder aufgefressen. Aber mit dem Abflauen der Inflation einerseits und entsprechenden Kaufkraftzuwächsen andererseits steht wieder mehr Realeinkommen zur Verfügung. Die Hoffnung ist also schon da, dass der private Konsum wieder zulegt. Das Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsinstitute erwartet für das vierte Quartal, dass hier nennenswerte Zuwächse realisiert werden können. Und mit Blick auf 2024, dass der private Konsum in Summe kräftiger zulegt. Das wäre dann der Treiber für ein wenn auch nur moderates Wirtschaftswachstum.

Hat auch der Fachkräftemangel in der Inflation eine Rolle gespielt?

Auf Erzeugerseite ist das Thema Lohnentwicklung sicherlich ein Aspekt, ob Mindestlohn oder Tarifabschlüsse. Überall wo auf Erntehelfer und auf sonstigen Arbeitskräfte gesetzt wird, spielt das im Preis mit. Der Fachkräftemangel als solcher ist allerdings schwer zu quantifizieren. Letztlich ist er auch ein mittelbarer Kostentreiber. Insofern der Einsatz von Arbeitskräften wirklich produktionswirksam ist und die Arbeitskraft ausfällt, leidet das Angebot natürlich darunter. Aber quantifizieren lässt sich so etwas nicht.

Das Gespräch führte Shantanu Patni.

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