
- „Das stinkt zum Himmel“
Wie schon im Herbst 2020 mehren sich derzeit die Meldungen, nach denen die Intensivstationen allmählich an ihre Grenzen stoßen. Damals hat der Gesundheitsökonom Matthias Schrappe errechnet, dass die Datengrundlage für diese Behauptung fehlerhaft ist – ein Vorwurf, der später auch vom Bundesrechnungshof erhoben wurde. Wie also ist die aktuelle Lage tatsächlich einzuschätzen? Cicero traf Schrappe zum Interview.
Professor Dr. med. Matthias Schrappe ist Internist und Gesundheitsökonom. Neben zahlreichen Lehraufträgen in Köln, Marburg und Trier war er unter anderem Hauptamtlicher Ärztlicher Direktor des Marburger Universitätsklinikums sowie wissenschaftlicher Geschäftsführer der Medizinischen Fakultät der Universität Witten/Herdecke. Schrappe war Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Zusammen mit einer Autorengruppe hat er in den letzten Monaten zahlreiche Stellungnahmen zur Corona-Pandemie veröffentlicht und unter anderem den sogenannten DIVIgate-Skandal ins Rollen gebracht.
Herr Schrappe, eine alte Baderegel unter Schwimmern besagt, dass man niemals um Hilfe rufen soll, wenn man keine Hilfe benötigt. Nun haben Krankenhäuser und Intensivmediziner im letzten Corona-Winter immer wieder mal lautstark um Hilfe gerufen, weil ihrer Einschätzung nach die Intensivstationen vollliefen und die Krankenhäuser an ihr Limit kämen. Sie, und später auch der Bundesrechnungshof, haben indes nachgewiesen, dass die Daten, auf denen der damalige Alarmismus fußte, lückenhaft, ja in Teilen sogar falsch waren. Nun beginnt erneut der Herbst, und es wird abermals laut gerufen. Wie glaubhaft ist das alles?
Das ist überhaupt nicht glaubhaft. Die Verbände und diejenigen, die da unentwegt rufen, sollte man lieber mal an ihren eigentlichen Auftrag erinnern. Und die Krankenhausträger wiederum sollte man verpflichten, ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen.
Der Bundesrechnungshof hat damals unter anderem darauf hingewiesen, dass der Bund bereits im Februar 2020 gut 14.200 Beatmungsgeräte zusätzlich besorgt habe. Davon seien aber lediglich 4.500 tatsächlich von den Krankenhäusern abgerufen worden. Wo sind denn all die anderen Beatmungsgeräte hin?
Das ist eine von vielen interessanten Fragen. Ebenso wurden ja auch 600 Millionen Euro für die Neuanschaffung von Intensivbetten bereitgestellt, die anschließend von den Krankenhäusern vereinnahmt worden sind. Diese Betten aber sind gar nicht da, oder sie sind noch immer eingepackt. Warum also, so muss man sich fragen, wird das Geld nicht zurückgezahlt?
Weil der Kollaps ja immer noch kommen könnte.
Wir, wie auch der Bundesrechnungshof, haben gezeigt, dass die Auslastung der Intensivbetten von 2019 auf 2020 um ein Prozent gesunken ist. Und auch danach hat es keinen Anstieg der Belegungen gegeben. Es waren also während der gesamten Krise immerzu Intensivbetten frei.
Und es gab keine Überlastung?