Klage gegen Wirtschaftsministerium - Einsicht in Habecks Atom-Akten: Gericht lehnt Eilantrag ab

Robert Habeck und seine Führungsspitze im Wirtschaftsministerium haben die Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke verschleppt und behindert. Weil wir herausfinden wollen, was dabei hinter den Kulissen vor sich ging, klagt Cicero auf Akteneinsicht. Doch Geduld ist gefragt. Denn das Gerichtsverfahren zieht sich in die Länge.

Kein Interesse an Transparenz: Wirtschaftsminister Habeck (r.) mit seinem Energie-Staatssekretär Patrick Graichen / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Staatssekretär Patrick Graichen ist eine Schlüsselfigur, wenn es um das Schicksal des Industriestandorts Deutschland geht. Robert Habeck holte ihn von der Lobbyorganisation „Agora Energiewende“ ins Wirtschaftsministerium und machte ihn dort zu seinem einflussreichsten Berater. 

Graichen ist für alle drei energiepolitisch relevanten Abteilungen des Ministeriums zuständig: Klimaschutz, Wärme/Wasserstoff und Strom. Auch die Unterabteilung Energiesicherheit in der Anfang Oktober neu eingerichteten Abteilung „Energiesicherheit und Wirtschaftsstabilisierung“ ist Staatssekretär Graichen unterstellt.

Wie Deutschland durch die Energiekrise kommt, ob jene Deindustrialisierung eintritt, vor der manche Ökonomen und einige Wirtschaftsverbände warnen, hängt damit auch von Graichens Agieren ab. Und was bisher darüber bekannt geworden ist, gibt Anlass genug, genauer hinzuschauen. Das allerdings wollen der Ex-Lobbyist und sein Chef Robert Habeck verhindern.

Auf Parteilinie

Konkret geht es um das monatelange Herumgeeiere bei der Frage, ob es nach Putins Überfall auf die Ukraine bei dem 2011 überstürzt beschlossenen Atomausstieg bleiben kann. Innerhalb des Wirtschaftsministeriums gab es darüber seit Beginn des Krieges offenbar unterschiedliche Auffassungen. Was offiziell nach außen gedrungen ist, war jedoch stets stramm auf Parteilinie der Grünen, die Kernkraft nach wie vor als „Hochrisikotechnologie“ sehen und sogar ihre Klimaschutzziele opfern, um am Atomausstieg festzuhalten. Mit Mühe und Not konnte sich die Bundesregierung dazu durchringen, ihn um dreieinhalb Monate zu verschieben.

Wie diese Entscheidung zustande kam, was Fachleute in Habecks Ministerium davon hielten und welche Rolle Energiewende-Staatssekretär Graichen dabei spielte, sind Recherchefragen, denen Cicero seit Monaten hartnäckig nachgeht. Bereits im Juli stellten wir deshalb einen gleichlautenden Antrag auf Akteneinsicht beim Bundesumwelt- und beim Wirtschaftsministerium.

Wirtschaftsministerium spielt auf Zeit

Das von der Grünen-Politikerin Steffi Lemke geführte Umweltministerium gab daraufhin einen wesentlichen Teil seiner AKW-Akten heraus. Darunter waren auch einige E-Mails, die zwischen ihrem Ministerium und dem von Habeck hin und her gingen. An entscheidender Position war dort diesen Akten zufolge Patrick Graichen. Und es wird deutlich: An einer ergebnisoffen Prüfung, ob und wie eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke bei der Überwindung der Energiekrise helfen kann, hatte niemand der Beteiligten Interesse

Während Lemkes Ministerium seinen im Umweltinformationsgesetz geregelten Transparenzpflichten nachkam, spielt man im Wirtschaftsministerium auf Zeit. Unser Antrag auf Akteneinsicht wurde erst beantwortet, nachdem die gesetzlich vorgeschriebene Frist längst verstrichen war und wir eine Untätigkeitsklage samt Eilantrag bei Gericht eingereicht hatten.

Magere Antwort

Die Antwort fiel allerdings mager aus. Das Wirtschaftsministerium stellte uns nur wenige, kaum aussagekräftige Unterlagen zur Verfügung. Die wirklich interessanten Dokumente aus seinen AKW-Akten, Stellungnahmen der Fachabteilungen etwa, will Robert Habeck weiterhin geheimhalten. Dagegen wehren wir uns auf juristischem Weg und halten an unserer Klage fest.

 

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Bis diese Klage entschieden ist, kann es aber noch einige Zeit dauern. Denn unser Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde in erster Instanz abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Berlin sah keinen Grund dafür, sofort darüber zu entscheiden, welcher Teil von Habecks Atom-Akten öffentlich gemacht werden muss und welcher geheim bleiben darf. Dies muss nun im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Einen Termin dafür gibt es noch nicht.

Der Transparenz-Verhinderer

Was durch das Gerichtsverfahren aber schon ans Licht kam: Der Transparenz-Verhinderer im Wirtschaftsministerium heißt Patrick Graichen. Das Ministerium musste gegenüber dem Verwaltungsgericht offenlegen, wie es mit unserem Antrag auf Akteneinsicht intern umgegangen ist.

Und dabei kam heraus, dass die zuständige Fachabteilung uns ursprünglich deutlich mehr Unterlagen herausgeben wollte, dann aber von Staatssekretär Graichen ausgebremst wurde. Unter den Dokumenten, die Graichen zurückhalten ließ, sind E-Mails von ihm und an ihn.

Merkwürdiger Vermerk der Netzagentur

Eine andere Schlüsselfigur für die aktuelle Energiepolitik ist Klaus Müller. Habeck machte den früheren Grünen-Politiker zum Chef der Bundesnetzagentur. Eine dem Wirtschaftsministerium unterstellte Behörde, die den Strom- und Gasmarkt reguliert und im Ernstfall weitreichende Entscheidungen treffen muss, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Auch Müller – das geht aus den bisher zugänglich gemachten AKW-Akten hervor – war an den Versuchen beteiligt, die zu Beginn des Ukraine-Kriegs aufgekommene Laufzeitverlängerungsdebatte zu beenden. In einem Vermerk der Bundesnetzagentur kommt er zu merkwürdigen Ergebnissen.

Sechs Kernkraftwerke

Der Vermerk stammt von Anfang März. Drei der letzten sechs deutschen Kernkraftwerke waren damals erst vor drei Monaten stillgelegt worden. Wäre die Bundesregierung angesichts des Ukraine-Kriegs auf die Betreiber zugegangen, hätte man sicher einen Weg gefunden, die Anlagen bis zum Winter wieder in Betrieb zu nehmen.

Doch Müller behauptete als Präsident der Bundesnetzagentur in seinem Vermerk: „Es ist davon auszugehen, dass diese drei Blöcke technisch und personell nicht reaktiviert werden können.“ Ohne weitere Begründung und offenbar ohne mit den Betreibern ernsthaft darüber gesprochen zu haben.

Netzsicherheit spielt keine Rolle

Und auch was die damals (und heute) noch laufenden drei Kernkraftwerke angeht, will Müller keine Vorteile eines längeren Betriebs erkennen. Er behauptet in dem Vermerk: Ob ein Weiterbetrieb der AKW zur Stabilität des Stromnetzes beitrage, lasse sich nicht beurteilen, da „keine Erfahrungswerte über die Erzeugungsstrukturen unter Rohstoffknappheit und mit fundamental veränderten Brennstoffpreisen vorliegen“. Er kommt daher zu dem Ergebnis: „Folglich wird empfohlen, diesen Aspekt nicht zu bewerten.“

Das ist erstaunlich. Denn das wesentliche Argument für die AKW-Laufzeitverlängerung ist ihr Beitrag zur Stabilität der Stromversorgung. Robert Habeck hat nach monatelangem Verzögern und Taktieren genau mit diesem Argument der Mini-Verlängerung um dreieinhalb Monate zugestimmt. Doch Netzagentur-Chef Müller wollte darüber, zumindest Anfang März, einfach nicht reden.

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