Irrsinn Industriestrompreis - Deutschlands Energiepolitik ist am Ende

Erst wird Strom mutwillig verknappt, dann sollen Milliardenzuschüsse zum Stromverbrauch die energieintensive Industrie im Land halten. Was soll dieser Irrsinn? Das Scheitern der Energiewende kann nicht länger verdeckt werden.

Das Kohlekraftwerk Boxberg in der Lausitz / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Das ZDF-„Politbarometer“ wollte mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern herausfinden, welchen Parteien die dortigen Wähler in bestimmten Politikfeldern die höchste Kompetenz zusprechen. Eine der von der Forschungsgruppe Wahlen gestellten Fragen lautete: „Und welche Partei kann am ehesten eine Energiepolitik in Hessen (Bayern) machen, die in Ihrem Sinn ist?“ In beiden Ländern landeten die Grünen bei dieser Frage auf Platz eins. Mit jeweils 30 Prozent, gefolgt von der CDU in Hessen (21 Prozent) und der CSU in Bayern (28 Prozent).

Das ist erstaunlich. Denn spätestens seitdem Robert Habeck das Bundeswirtschaftsministerium zur Kommandozentrale der Wind-und-Sonne-Utopisten umgebaut und den Atomausstieg trotz Energiekrise durchgezogen hat, ist für jedermann klar erkennbar, dass die Energiepolitik der Grünen weder für Hessen noch für Bayern gut ist, sondern ein Desaster für ganz Deutschland. Denn sie führt zu hohen Strompreisen bei zunehmender Unsicherheit der Versorgung.

Selbst für den Rest der Welt, deren Rettung die deutsche Energiewende angeblich dient, bewirkt sie nichts Gutes. Denn Deutschland hat, obwohl es inzwischen mit Windkraftanlagen übersät ist, einen viel zu hohen CO2-Ausstoß bei der Stromerzeugung. Kein Wunder. Der von den Grünen in einem jahrzehntelangen Kampf durchgesetzte Abschied von der klimafreundlichen Kernkraft hat dazu geführt, dass wir jetzt mehr Kohlekraftwerke brauchen, um die Stromversorgung sicherzustellen. Wetterabhängige Erzeugung kann das schlicht nicht leisten.

Dringender Aufruf zum Stromsparen

Diesen Dienstag warnte der baden-württembergische Stromnetzbetreiber und -überwacher TransnetBW zum wiederholten Mal vor einer angespannten Lage im Südwesten. Er forderte die Baden-Württemberger auf, am Vormittag zwischen 10 und 12 Uhr möglichst wenig Strom zu verbrauchen:   

Stromabschaltungen seien zwar nicht zu befürchten, hieß es zu Beruhigung. Allerdings müsse TransnetBW mehr als gewöhnlich dafür tun, das Netz stabil zu halten.

Ein Akt der Zerstörung

TransnetBW ist eine Tochter des staatlichen Energieversorgers EnBW, der unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann vom Kernkraft- zum Energiewendekonzern umgebaut wurde. Ingenieure, die bei TransnetBW für die Stabilität des gesamten baden-württembergischen Stromnetzes verantwortlich sind, fragten sich schon lange vor dem Ukrainekrieg, ob es wirklich eine gute Idee ist, die letzten beiden EnBW-Atomkraftwerke aus rein politischen Gründen abzuschalten.

Philippsburg 2 (bei Karlsruhe) ging Anfang 2020 vom Netz. Kurz darauf, im Mai, ließ der von Kretschmanns Kabinett kontrollierte Eigentümer die Kühltürme in die Luft jagen. Ein Zerstörungsakt, der ehemaligen Mitarbeitern Tränen in die Augen trieb.

Neckarwestheim 2 (bei Heilbronn) lief bis zuletzt, stabilisierte das Stromnetz im windarmen Südwesten noch durch den ersten Winter des Ukrainekriegs hindurch, bis es im April 2023 der rot-grünen Anti-Atom-Politik zu Opfer fiel, die der Koalitionspartner FDP nur halbherzig aufzuhalten versuchte.

Jetzt zeigen sich die Probleme, vor denen Fachleute schon lange gewarnt haben. Dass eines der (noch) weltweit führenden Industrieländer die Einwohner einer seiner wohlhabendsten und wirtschaftsstärksten Regionen dazu auffordern muss, die Wäsche erst am Nachmittag zu waschen und statt zu kochen lieber ein kaltes Vesper als Mittagessen zu servieren, weil im Norden zu viel Wind weht, wäre Stoff für Satiren. In Deutschland 2023 ist es die Realität.

Mantrahaft wiederholte Milchmädchenrechnung

Gleichzeitig zerbricht man sich in der Hauptstadt dieses (noch) führenden Industrielandes den Kopf darüber, wie man das zweite Problem der von grünen Utopisten erdachten Energiewende lösen kann: Der Strom wird zu teuer. Zwar stimmt es, dass Wind- und Sonnenenergie nicht mehr viel kosten, wenn die Anlagen einmal errichtet sind. Doch die enormen Folgekosten eines auf wetterabhängiger Stromerzeugung basierenden Energiesystems werden bei dieser mantrahaft wiederholten Milchmädchenrechnung einfach ausgeblendet.
 

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Der Ausbau des Stromnetzes, der erforderlich ist, um die dezentrale und stark schwankende Erzeugung mit dem Verbrauch in Einklang zu bringen, verschlingt Milliarden. Backup-Kraftwerke, ob mit Erdgas oder irgendwann einmal mit Wasserstoff betrieben, die dann anspringen sollen, wenn nicht genug Wind weht und Sonne scheint, müssen bezahlt werden. Und auch die Stromproduzenten im umliegenden Ausland, die mit ihren Atomkraft- oder Kohlekraftwerken dafür sorgen, dass während der Mangellagen in Deutschland die Lichter nicht ausgehen, lassen sich dies gut vergüten.

Strommangel mit Milliardensubventionen kaschieren

Doch anstatt das Problem an der Wurzel zu packen, den mutwillig herbeigeführten Mangel zu beseitigen und das Angebot an zuverlässiger, planbarer Stromerzeugung im eigenen Land schnellstmöglich auszuweiten, diskutiert die Ampelkoalition darüber, wie sie die schädlichen Auswirkungen dieses Mangels notdürftig kaschieren kann: Ein heruntersubventionierter Industriestrompreis soll energieintensive Großbetriebe in Deutschland halten.

Der Vorschlag stammt von Robert Habeck, der noch im vergangenen Jahr stets behauptete, Deutschland habe kein Strom-, sondern ein Gasproblem. SPD-Bundestagsfraktion und Gewerkschaften sind für den Industriestrompreis, der Kanzler und sein Finanzminister (FDP) haben noch Bauchschmerzen. Die neueste Idee, um diese zu lindern, lautet: Ran an den „Klima- und Transformationsfonds“.

Das ist ein aus den Erlösen des CO2-Emissionshandels gespeister Milliardentopf, aus dem eigentlich der Umbau des Landes zur Klimaneutralität finanziert werden soll. Jetzt wird also überlegt, mit diesen Mitteln den Kohlestrom für die Großindustrie billiger zu machen. Während das Klimageld, das die Bundesregierung jedem Bürger auszahlen wollte, um ihn für die steigenden Kosten seines direkt oder indirekt verursachten CO2-Ausstoßes zu entschädigen, in immer weitere Ferne rückt. Die ohnehin schwindende Zustimmung zum Klimafetisch der Ampelkoalition wird so sicher nicht gestärkt.

Die Grünen haben immerhin ein Konzept

Woher das Geld kommen soll, ob aus Christians Lindners Bundeshaushalt oder aus Robert Habecks Transformationsfonds, ist letztlich eine Detailfrage. Der eigentliche Irrsinn ist die Grundidee, das Scheitern der Milliarden verschlingenden „Energiewende“ mit weiteren Milliarden vertuschen zu wollen. Das kann nicht gut gehen. 

Kurzum: Die gesamte deutsche Energiepolitik, wie sie von Grünen erdacht, von Angela Merkel befördert und von Robert Habeck vollendet wurde, ist am Ende. Wie kann es dann sein, dass die Grünen beim ZDF-„Politbarometer“ nach wie vor als kompetenteste Partei in diesem für eine Industrienation grundlegendem Feld abschneiden?

Es liegt vermutlich daran, dass die anderen Parteien ihnen dieses Feld komplett überlassen haben. Die Grünen haben ein energiepolitisches Konzept und setzen sich seit Jahrzehnten strategisch geschickt für dessen Umsetzung ein. Nun wird zwar deutlich, dass dieses Konzept nicht funktioniert, aber weder CDU/CSU noch SPD oder FDP haben ihnen etwas entgegenzusetzen. Sie sind energiepolitisch blank. Und damit das ganze Land.   

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