Rückbau des Gasnetzes - Habecks Kriegslist heißt Verunsicherung

Der Wirtschaftsminister deutet den bevorstehenden Wegfall des Gasnetzes an. So will er Heizungsbesitzer durch Angst zum Umstieg drängen – und alle Skeptiker seiner Wunschwirtschaft überrumpeln.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Bundestag, 11.04.2024 / dpa
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Hans Martin Esser ist Diplom-Ökonom und Publizist. Im März 2023 erscheint sein Buch „Polemik. Ein philosophischer Beipackzettel“.

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Wirtschaftliche Entwicklungen bestehen zu großen Teilen aus Erwartungsprozessen. Nun ist es das dritte Frühjahr, dass Bundesklimaminister Habeck Erwartungshaltungen in der deutschen Immobilienwirtschaft disruptiv ins Wanken bringt. Seit er also im Amt ist, wird wie in einem Frühjahrsputz die Agenda des ganzen Jahres vorweg und allein durch Maßnahmen bestimmt, die grünen Erwartungshaltungen entsprechen. Die Koalitionspartner leiden darunter, da durch dieses Agenda-Setting die Kernklientel von Sozialdemokraten und Liberalen Reißaus von ihren Parteien nimmt, die sich unterpflügen lassen von Habecks Vorstößen.

Im Jahr 2022 infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine wurde zunehmend klar, dass Russland als Gaslieferant kurz- und mittelfristig ausfallen dürfte. Daher erklärte Habeck in verschiedenen Schritten man hatte die Logik der Stufenwarnungen durch die Coronapandemie noch verinnerlicht eine Gasmangellage. 

Gas, immerhin Rückgrat des deutschen Heizungswesens, wurde im Jahr 2022 einerseits knapp, aber andererseits ganz in Habecks Sinne als moralisch verwerflich aufgeladen. Hinsichtlich der Emission stellt es jedoch im Unterschied zu Öl und Kohle die CO2-mildeste Alternative unter den fossilen Brennstoffen dar. Während des Jahres 2022 jedenfalls bemühte sich der Vizekanzler um Flüssiggas-Deals, um den eigenen Diensteifer für die deutsche Volkswirtschaft zu dokumentieren.

 

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Die Mengen jedoch waren enttäuschend gering – und das nicht zufällig. Es wurden keine wirklich langfristigen Deals, sondern eher geringe Quantitäten vonseiten des Ministeriums angepeilt. Deals mit ausländischen Partnern blieben insofern zu lange fraglich. Ängste vor Gas-Rationierungen sind insofern 2022 erstmals eingeübt worden, nicht zufällig im ersten Regierungsjahr der Ampel.

Räsonieren über den Rückbau des Gasnetzes

2023 begann ebenfalls im Frühjahr die Diskussion des sogenannten Heizungsgesetzes, das übrigens gegen die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages bereits zum 1.1.2024 gelten sollte und nicht erst zum 1.1.2025. Während des gesamten Jahres wurde darüber gestritten, sodass die AfD massiv zulasten der SPD und FDP gewinnen konnte. Letztendlich warnten besonders Politiker der Grünen vor dem Einbau von Gasheizungen, wovon sich viele Eigentümer aber nicht abhalten ließen, sodass im Jahr 2023 knapp an die 800.000 Heizkessel mit Gasbetrieb eingerichtet wurden.

Nun bereits wieder im März 2024 ließ das BMWK ein Papier lancieren, in dem darüber räsoniert wird, inwieweit man das Gasnetz nicht zurückbauen kann. Es wird dabei im Sinne der sich selbst erfüllenden Prophezeiung festgelegt, dass im Lauf der kommenden Jahre bereits die Wartung der Gasnetze (rund 500.000 Kilometer lang in Deutschland) für die dann schrumpfende verbliebene Nachfragerschaft zu teuer würde und diese dann überfordert wäre. Alles ohne Anlass und Beleg, wie man vonseiten vieler Gasnetzbetreiber heute vernehmen kann. Unerwähnt bleiben die volkswirtschaftlichen Verluste durch überteuerte Hausdämmungen und den Abriss funktionierender Infrastrukturen. Habeck nutzt insofern nicht allein das Ordnungsrecht, sondern die Strategie der Verunsicherung. Er redet ein funktionierendes System kaputt.

Kriegslist gegen die Koalitionspartner

Das Habeck-Ministerium schürt damit offenbar bewusst die Unsicherheit, die Investitionen strukturell bereits in den vergangenen zwei Jahren in den Standort Deutschland gehemmt hatten. Somit erscheint das jährliche Lancieren wie eine Kriegslist, wie man sie in den spieltheoretischen Betrachtungen von Christian Riecks Vlog kennt. Es scheint so, als befänden sich die Grünen im Krieg mit ihren eigenen Koalitionspartnern, denn weder die sozialdemokratischen Wähler mit geringem Einkommen noch die unternehmerische Klientel der FDP kann mit den Habeck-Plänen etwas anfangen, sodass einzig die Grünen ihre Umfragewerte seit zwei Jahren stabil halten können.

Industriebetriebe, die das können, verlegen Investitionen in Länder, die ihrer Wirtschaft mehr Freiheitsgrade gewähren. Immobilieneigentümer jedoch können dies nicht. Was nützt eine Gasheizung, wenn das komplementäre Netz, welches die Wohnungen bisher zuverlässig versorgt hatte, wegfällt? Habecks Kriegslist ist die der Ankündigung, sodass er gar nicht warten muss, ob FDP und SPD mitmachen – eine Strategie der Überrumpelung und der bewussten Missverständnisse, die Verunsicherung schürt. 

Der angedeutete Wegfall des Gasnetzes liegt ganz klar im Interesse der Grünen. Ihre Wählerschaft, oft in den urbanen Zentren ans Fernwärmenetz angeschlossen, hat keine Nachteile zu fürchten und gewichtet Klimaneutralität höher als der Rest der Bevölkerung und den Verlust von wirtschaftlicher Potenz dagegen umso geringer. 

Die erste Stadt kündigte bereits

Augsburg, so wurde medienwirksam aufgegriffen, sei die erste Großstadt in Deutschland, die ihren Kunden Kündigungen des Gasvertrages zum Jahr 2034 zugesandt habe, so berichteten Bild und Handelsblatt Ende März. Der zuständige Vertriebsleiter der Augsburger Stadtwerke Längle wurde in diesem Zusammenhang zitiert. Er hoffe auf ein flankierendes Gesetz aus dem Bundeswirtschaftsministerium, das den Stadtwerken Sicherheit gebe. 

Fernwärme und Wasserstoff könnten aber so die allgemeine Einschätzung nur rund 70 Prozent der Kunden versorgen. Per Wärmepumpen, Pellets und dergleichen müsste der Rest sich neu orientieren.

Man konnte aus der Berichterstattung schließen, dass dementsprechend 30 Prozent der bisherigen Kunden sich unfreiwillig mittelfristig selbst versorgen müssten und entsprechend teure Pelletheizungen (für Einfamilienhäuser rund dreimal so teuer in der Anschaffung wie Gasbrennwertthermen) oder eben Wärmepumpen (doppelt bis dreimal so teuer, hinzu kommen Dämmung und die Installation von Fußbodenheizungen sowie neue Fenster). Dies wäre ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden, zumal das Thema Klimaneutralität infolge von Inflation ein zunehmend ansteigendes Preisschild hat, aber in der öffentlichen Bereitschaft, dafür Geld auszugeben, nach hinten gerückt ist als Relikt der fetten 2010er Jahre.

Habecks Salamitaktik

Gegenüber heise.de äußerte sich das Bundeswirtschaftsministerium am 10.04.2024, dass das Gasnetz weiterhin versorgungssicher sein müsse und werde, bis Alternativen hinreichend vorhanden seien. Man arbeite dabei intensiv mit den Versorgern zusammen und sei derzeit im Beratungen. 

Das mag auf den ersten Blick beruhigend klingen. Dennoch wirkt Habecks Politik wie Waterboarding. Es wird bewusst etwas für den Verbraucher extrem Kostspieliges in die Welt gesetzt, um es dann wieder teilweise zu dementieren. Per Salamitaktik stellt sich zwischenzeitliche Erleichterung ein, bevor dann im nächsten Schritt (Frühjahr 2025 dann wohl) weiter eskaliert wird in einem benachbarten Feld. 

Auch dies sollte man nicht als Dilettantismus verstehen, sondern als Kriegslist. Deutschland ist mentalitätsmäßig ein Land, in welchem Sicherheit und Kontinuität hoch angesiedelt sind. Wer also weiterhin seine vier Wände wärmen will, soll durch die disruptive Politik des BMWK zum Handeln bewegt werden und vorsorglich selbst aktiv werden im Sinn der guten Sache, ohne zu sehr auf die Installationskosten zu blicken, allein aus Angst, sonst unbeheizt im Kalten vegetieren zu müssen.

In einer Folge der Fernsehserie „Stromberg“ wird der Angestellten Erika Burstedt eine Kündigung ausgesprochen. Im Nachgang bezeichnet Stromberg das nur als Spaß, der aber gut sei, seine Mannschaft mit derlei Scheinhinrichtungen stets auf Trab zu halten. So wird die Strategie des Ministeriums klar. Vor dem Dialog mit den 700 Stadtwerken des Landes wird also Unsicherheit geschürt, bevor diese nicht durchweg vernetzten Player etwas anderes vorschlagen könnten als das, was Habeck in seinen verbliebenen Monaten, höchstens anderthalb Jahren, als Minister noch vorhat, wenn es zu Wahlen kommen wird und er sein Amt verliert. 

Die Stadtwerke, deren Umsatz bisher zu 20 bis 60 Prozent vom Gasverkauf abhingen, wird es nicht sonderlich freuen, ihr überragendes Geschäftsfeld zu verlieren, ohne ein weiteres zu eröffnen.

Bis zum Ende der Legislatur möchte Habeck offenkundig durchregieren. Mit Merz, der dann vielleicht nicht mit den Grünen, sondern mit der SPD ins Koalitionsbett gehen wird, kann er wohl nicht so umspringen wie zurzeit mit einem Kanzler, der kaum mehr Wähler hinter sich versammeln kann, als die Grünen es tun. 

Die CDU weicht dem Thema aus

Andererseits: Die CDU, selbst wenn sie am Wahltag im Herbst 2024 oder spätestens 2025 über 30 Prozent auf sich wird vereinen können, hat aber einerseits durch die Brandmauer zur AfD, andererseits durch die überhastete Aktion aus dem Wahljahr 2021, als man beschloss, bereits 2045 klimaneutral zu werden, sich selbst den Möglichkeitsraum verbaut und überlässt wohl allzu gern den Grünen die Drecksarbeit. 

So kommt aus der CDU-Parteizentrale auch nur Ausweichendes und Allgemeines zum Thema Gasnetze: Die Grünen hätten wieder nicht gelernt aus dem Heizungsgesetz-Desaster. Abermals würden Millionen Heizungsbesitzer verunsichert, man komme mit Plänen, etwas stillzulegen, ohne etwas Neues anzubieten oder klarzumachen, wie die Lücke zu füllen sei. So werde das nicht funktionieren. 

Ein klares Bekenntnis zum Gasnetz sieht anders aus. Ohne so ein Bekenntnis wird aber kein Geldgeber mehr in den Netzausbau investieren noch die bisherige Struktur erhalten wollen, und dies wäre nötig, um sichere Versorgung zu garantieren. Die CDU macht sich einen schlanken Fuß und lässt die bürgerlichen Wähler so im Stich.
 

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