Die teuersten Bilder der Welt

Der Kunstmarkt boomt. Immer wieder erreichen die großen Auktionshäuser neue Preisrekorde. Warum eigentlich?Ein Blick hinter die Kulissen des internationalen Kunsthandels

Der Höhepunkt, sagt Tobias Meyer, sei noch nicht erreicht. Die 135 Millionen Dollar, die der New Yorker Kosmetikerbe Ronald S. Lauder angeblich für Gustav Klimts „Porträt Adele Bloch-Bauer I“ bezahlt haben soll, könnten jederzeit übertroffen werden – wenn das richtige Bild auf den Markt komme. Ein wichtiger Pollock zum Beispiel, Raffaels seit dem Krieg verschwundenes „Bildnis des Grafen Czartoryski“ oder das „Selbstbildnis mit verbundenem Ohr“ von van Gogh, das zurzeit als Leihgabe der Erben von Stavros Niarchos im Kunsthaus Zürich hängt. Meyer weiß, wovon er spricht: Zwei der drei teuersten Kunstwerke der Welt hat er an den jetzigen Besitzer versteigert. Seitdem ist der Starauktionator des Hauses Sotheby’s einer von nur einer Handvoll Menschen weltweit, die wissen, wo Picassos für 104 Millionen Dollar zugeschlagenes „Garçon à la pipe“ seit zwei Jahren hängt. Meyer kennt auch den Mann, der im vergangenen Mai Picassos „Dora Maar au Chat“ für 95,3 Millionen Dollar erwarb. Nennen würde er beide Namen nie. Nicht einmal die Vermutung, die beiden Picassos seien nach Russland gegangen, bestätigt der schlanke Kunsthändler mit dem jungenhaften Charme. Diskretion ist in seinem Geschäft das oberste Gebot. „Auf der Käuferseite wird momentan so viel Geld gemacht“, bekräftigt Meyer aber, „dass 300 Millionen Dollar für bestimmte Menschen kein Geld sind. Für sie ändert sich nichts im Leben, wenn sie dieses Geld für ein Bild ausgeben. Jeder Markt ist zyklisch, auch der Kunstmarkt. Wir erleben aber gerade eine Zeit der unglaublichen Geld-anhäufung. Das ist vergleichbar mit dem Jahrzehnt zwischen 1900 und 1910, in dem in Amerika ungeheure Vermögen aufgebaut wurden.“ Es sind Ikonen der klassischen Moderne, für die diese Sammler seit knapp 20 Jahren beinahe jeden Preis zu bezahlen bereit sind. Gemälde, mit denen selbst Laien sofort etwas verbinden. Und Bilder von berückender Schönheit: Klimts Porträt der Industriellengattin Adele Bloch-Bauer wirkt in seiner verklärten Wiedergabe ihrer weltentrückten Person, vor allem aber durch die zahlreichen Goldtöne wie ein modernes Heiligenbild. Und auch die übrigen Werke in der aktuellen Liste der zehn teuersten Kunstwerke der Welt haben beinahe religiöse Dimensionen: Picassos junger Mann in blauer Kleidung trägt statt der Dornenkrone einen Blütenkranz im Haar. Van Gogh, dessen letztes Selbstbildnis vor dem Freitod 1998 bei Christie’s 91,5 Millionen Dollar erzielte, wurde von dem populären Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe bereits kurz nach 1900 zu einem modernen Christus stilisiert. Seine grabweißen Iris-Lilien, die im November 1987 für 53,9 Millionen Dollar bei Sotheby’s den Besitzer wechselten, sind nur wenige Wochen vor dem letzten Selbstbildnis entstanden. Beinahe paradiesisch mutet auch Renoirs lichtdurchflutetes „Au Moulin de la Galette“, ein Ausflugslokal am Wasser bei Paris an, für das 1990 78,1 Millionen Dollar bezahlt wurden. Vor allem solche Motive sind es, die kunstsammelnde Milliardäre einen Preis zahlen lassen, der alle Limits sprengt. „Was ein Gemälde zu einem Weltrekordbild macht, ist ganz einfach zu erklären“, erläutert Tobias Meyer lächelnd: „Es muss so einzigartig sein, dass es mindestens zwei Menschen unbedingt haben wollen.“ Natürlich spielt der psychologische Faktor eine entscheidende Rolle, aber dennoch gibt es eine Reihe von rein sachlichen Kriterien, die ein Kunstwerk einzigartig machen. Sein Platz in der Kunstgeschichte zum Beispiel: Adele Bloch-Bauer ist die Verkörperung von Fin-de-Siècle und Jugendstil par excellence. Der Mythos, der das Bild umgibt: Van Goghs Sonnenblumen kennt jedes Kind. Die außerordentliche Rolle eines Künstlers: Niemand war so wandlungsfähig und doch in allen Stilen so einfallsreich und perfekt wie Picasso. Und seine vermeintliche Unerreichbarkeit: Wer hätte erahnen können, dass die britischen Erben des New Yorker Kupfermoguls Chester Beatty sich jemals von ihren „Sonnenblumen“ trennen würden. Kommt ein solches Jahrtausendbild dann aber auf den Markt und gibt es Liebhaber, die es unbedingt besitzen wollen, kann beinahe jeder Preis zustande kommen. Bereits im Vorfeld solch einer Konstellation verstehen es die großen Auktionshäuser geschickt, ihre finanzstärksten Kunden zum Kauf zu animieren. Gerne senden sie das Kunstwerk dem potenziellen Käufer zum Probehängen nach Hause, wo ihm dann finanzielle Vorteile eingeräumt werden, auf die spätere Interessenten nicht hoffen dürfen. Ab einem bestimmten Preisniveau zeigen sich Unternehmen wie Sotheby’s, Christie’s und Philipps bereit, auf einen Teil ihrer Kommission zu verzichten; auf jenen Aufschlag auf den eigentlichen Kaufpreis also, von dem die Auktionshäuser leben. Aber nicht nur dem Käufer, auch dem Verkäufer solcher Werke werden besondere Privilegien eingeräumt, etwa durch Zusicherung eines Garantiepreises, unter dem sein Bild nicht verkauft werden wird. Zahlen müssen die Kunsthäuser, die diese Garantien vor allem Anfang der neunziger Jahre in unvernünftige Höhen steigerten, in jedem Fall – auch dann, wenn sich kein Käufer für das Werk findet. Dass damit faktisch das Auktionshaus selbst der Käufer war, wurde der Öffentlichkeit nicht immer mitgeteilt. Der hohe Preis dagegen schon. Heftige Kritik handelten sich die Auktionshäuser auch dafür ein, dass sie ihren Kunden inoffizielle Kredite einräumen. Mindestens einmal führte dieses Verhalten zu einem Rekordpreis, der gar keiner war. Im November 1987 verkündete das Auktionshaus Sotheby’s stolz, es habe van Goghs Blumenbild „Irisblüten“ für 53,9 Millionen Dollar an einen unbekannten Sammler verkauft. Damit schien der Weltrekordpreis von umgerechnet 40 Millionen Dollar überholt, den acht Monate zuvor der japanische Versicherungskonzern Yasuda für van Goghs „Sonnenblumen“ geboten hatte. Schon bald wurde aber bekannt, dass der Käufer der „Irisblüten“ der Brauereiunternehmer Alan Bond aus Perth in Australien war. Ihm hatte Sotheby’s einen Kredit über fünfzig Prozent des Kaufpreises eingeräumt. Bonds Geschäfte allerdings gingen schlecht, und er war nicht in der Lage, das Geld zu überweisen. Das Gemälde ging an Sotheby’s zurück und wurde später, zu einem ungenannten Preis, an das Getty Museum in Kalifornien verkauft. Ob also der Iris-Rekord jemals einer war, ist mehr als fraglich – wie auch der Kaufpreis von 136 Millionen Dollar für Klimts Adele-Porträt bislang offiziell weder bestätigt noch dementiert wurde. Auch der japanische Papierindustrielle Ryoei Saito hatte nicht viel Freude an seinen Rekordbildern. Im Mai 1990 ersteigerte der Tokioter Galerist Hideto Kobayashi für ihn bei Christie’s in New York aufgeregt das wenige Wochen vor dem Tod des Malers entstandene „Porträt des Dr. Gachet“ von Vincent van Gogh für unglaubliche 82,5 Millionen Dollar. Wenig später mussten seine Unternehmen Konkurs anmelden, und Saito wurde wegen Bestechlichkeit im Zusammenhang mit dem Bau einer Golfanlage zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Wo sich das einstmals teuerste Kunstwerk der Welt heute befindet, weiß außer den Beteiligten niemand. Das „Porträt des Dr. Gachet“ teilt damit das Schicksal vieler Rekordbilder. Nur die wenigsten von ihnen fanden, wie Ronald Lauders Klimt-Ikone, van Goghs Iris-Bild oder Cézannes „Stilleben mit Krug und Obstsschale“ ihren Weg in öffentliche Sammlungen. Wo Picassos „Garçon à la pipe“, seine „Dora Maar au Chat“ und die „Frau mit verschränkten Armen“ heute sind, darüber rätselt die Kunstwelt ebenso wie über den Verbleib von van Goghs letztem Selbstporträt. Es gibt Mutmaßungen darüber, wer sie gekauft haben könnte: Der Name des italienischen Nudelproduzenten Guido Barilla wird ebenso häufig genannt wie der der in Monte Carlo lebenden Bankierswitwe Lily Safra und diverser Bewohner des Apartmenthauses an der Park Avenue Nummer 740 in Manhattan. Hier lebten und leben jene, die in den USA das Geld und das Sagen haben: die Bancrofts und die Bouviers zum Beispiel, deren Tochter Jackie einmal Mrs. Kennedy werden sollte. 740 Park Avenue war die New Yorker Adresse der Rockefellers und der Vanderbilts, von Onassis und Niarchos, von Henry Kravis und Ronald Lauder. Groß und repräsentativ müssen die Bilder sein – und auf jeden Fall teurer als das Gemälde, das der Nachbar zuletzt gekauft hat. 740 Park Avenue ist das unbekannteste Museum der Welt mit den teuersten Kunstwerken. Zurzeit allerdings sind weniger die Amerikaner und Europäer als vielmehr Käufer aus Russland und aus China auf dem Vormarsch, wie Sotheby’s-Auktionator Tobias Meyer bestätigt: „Einer meiner wichtigsten Kunden sitzt in Taipeh. Ihm verkaufe ich Bilder aus dem 20.Jahrhundert, und er sagt, es sei ihm egal, was sie kosten. Was er haben möchte, kauft er. Und noch etwas unterscheidet die Gegenwart von der Bubble Era der Achtziger, an deren Ende der Kunstmarkt zusammenbrach. Damals waren es häufig japanische Banken, die gegen die Bilder, die sie kauften, wieder Geld liehen. Die Werke waren Spekulationsobjekte und landeten nie bei einem Sammler. Die Bilder, die wir heute verkaufen, gehen dagegen an Endverbraucher und werden an Wänden hängen.“ So hat die Jagd nach neuen Rekordbildern längst begonnen: nach der letzten Fassung von Edvard Munchs berühmtem „Schrei“, der sich nach wie vor in der Sammlung des Reedererben Petter Olsen in Oslo befindet. Nach Cézannes monumentalen „Kartenspielern“ aus der Sammlung der in Genf lebenden Reederdynastie Embiricos oder nach jener Vase mit drei Sonnenblumen von van Gogh, die angeblich vor einigen Jahren aus den USA in den Nahen Osten verkauft wurde. Sollten diese Bilder jemals verfügbar werden, wären auch 150 Millionen nur noch eine Frage der Zeit.

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