Eckpunkte zur Einwanderung von Arbeitskräften - Vermintes Terrain

Deutschland benötigt dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland, und das Bundeskabinett hat jetzt ein entsprechendes Maßnahmenpaket vorgestellt. Es geht in die richtige Richtung, aber die Art der Debatte zeigt auch: Gravierende migrationspolitische Fehler der Vergangenheit haben dazu geführt, dass kaum noch sachlich über das Thema Zuwanderung gesprochen werden kann.

Baustelle in Berlin / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien heißt es: „Der Mangel an qualifizierten Fachkräften in vielen Branchen kann eines der größten Hindernisse für Wirtschaftswachstum, für die Sicherung von Wohlstand, eine hohe Qualität in Gesundheit, Pflege, Betreuung und Bildung sowie für das Gelingen der Transformation in Deutschland sein“. Schon als das Dokument vor exakt einem Jahr bei einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert wurde, war klar: Der Fachkräftemangel kann nicht nur ein Problem sein für die deutsche Wirtschaft, er ist es schon längst. Das gilt für den Handwerksbetrieb genauso wie für den Industriekonzern; für Krankenhäuser genauso wie für Dienstleister jeglicher Art. 

Insofern kommt der heute vom Kabinett verabschiedete Eckpunkte-Plan sogar reichlich spät. Denn jeder, der auch nur ansatzweise Kontakt zum Alltagsleben in der Bundesrepublik hat, weiß um die Defizite des deutschen Arbeitsmarkts und seiner Zugangshürden. Jener kasachische Gefäßchirurg, der bis zur Anerkennung seines Abschlusses jahrelang als Krankenpfleger in Deutschland arbeiten muss (und dem in dieser Zeit seine fachliche Qualifikation langsam abhandenkommt), ist durchaus real.

Kanada lässt grüßen

„Neben dem bestehenden Einwanderungsrecht werden wir mit der Einführung einer Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems eine zweite Säule etablieren, um Arbeitskräften zur Jobsuche den gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen“: Auch dieser Satz stammt aus dem rot-grün-gelben „Mehr Fortschritt wagen“-Vertrag vom 29. November vorigen Jahres – und nun haben sich diese Worte konkretisiert.
 

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Demnach soll die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen erleichtert werden; anerkannte ausländische Fachkräfte sollen künftig auch in Berufen arbeiten können, die mit ihrer Ausbildung nichts oder nur wenig zu tun haben. Vor allem aber: Nicht-EU-Ausländer sollen über ein Punktesystem die Möglichkeit erhalten, zur Jobsuche nach Deutschland umzusiedeln – als Auswahlkriterien gelten Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter. Das kanadische System lässt grüßen, jetzt wird es darum gehen, die Details auszubuchstabieren und schwammige Begriffe wie „Deutschlandbezug“ zu konkretisieren. Der Normenkontrollrat mahnt bereits an, alte bürokratische Hürden jetzt nicht einfach durch neue zu ersetzen.

Eine missliche Situation 

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz legte im „Morgenmagazin“ des ZDF denn auch gleich seinen Finger in die Wunde und machte darauf aufmerksam, dass trotz der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU zu wenig Fachkräfte in die Bundesrepublik kämen, weil „die Bedingungen in Deutschland einfach nicht gut genug sind“, die Bürokratie „furchtbar“ sei und das Steuerniveau generell zu hoch. Und mit Blick auf die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse gab Merz zu bedenken, zahlreiche Zugewanderte hätten überhaupt keinen Abschluss: „Wir haben viele Menschen hier, die im Arbeitsmarkt in Deutschland einfach nicht verwendbar sind“. 

​​​Dass diese missliche Situation eine Folge von 16 unionsregierten Jahren mit einer Bundeskanzlerin Merkel an der Regierungsspitze ist, ließ der CDU-Chef wohlweislich unter den Tisch fallen. Und dass die Ampel-Regierung den von ihm beklagten Zustand offensichtlich ändern will, ebenfalls. Wenn praktisch alle wichtigen deutschen Wirtschafts- und Industrieverbände die angepeilten Maßnahmen lautstark begrüßen, muss man sich schon fragen, wie es um die ökonomische Kompetenz der oppositionellen Christdemokraten eigentlich bestellt ist.

Vorbehalte beim Thema Migration

Das eigentliche Problem hinter der mehr emotional denn rational geführten Debatte um die Arbeitskräftezuwanderung ist ein anderes, und auch daran hat die einstige Merkel-CDU einen erheblichen Anteil: Spätestens mit der sogenannten Flüchtlingskrise vom Herbst 2015 an entstand bei weiten Teilen der Bevölkerung notwendigerweise der Eindruck, dass Deutschland die Zuwanderung schlicht nicht unter Kontrolle hat. Schon damals wurde – auch aus dem Kanzleramt heraus – argumentiert, der plötzliche Zustrom hunderttausender Menschen wäre eigentlich ein Glücksfall für den deutschen Arbeitsmarkt.
 

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In Wahrheit waren (und sind es oftmals immer noch) die meisten von ihnen Fälle für den deutschen Sozialstaat. Insofern ist es durchaus verständlich, wenn viele Bundesbürger jetzt beim Thema Arbeitsmigration verhalten bis skeptisch reagieren. Dieses Gefühl vor dem Hintergrund eines hoffentlich bald regelbasierten Verfahrens zu bewirtschaften, zeugt aber nicht gerade von großem Verantwortungsbewusstsein einer bürgerlichen Partei. Hier müsste es zum Wohle des Landes tatsächlich um konkrete Verbesserungsvorschläge gehen.

Wer kommt, kann bleiben

Dass beim Thema Einbürgerung und doppelte Staatsangehörigkeit sogar die Ampel-Partner von der FDP erkennbar auf der Bremse stehen, ist übrigens exakt den in der Bevölkerung verbreiteten Vorbehalten gegenüber Migration ganz allgemein geschuldet. Denn solange klar ist, dass jeder, der, aus welchen Gründen auch immer, zu uns kommt, faktisch bis zum Sankt Nimmerleinstag auch hier bleiben kann (und zwar sogar dann, wenn diese Person die herrschenden Regeln sträflich missachtet), ist eine sachliche Herangehensweise an den Komplex „Arbeitskräftezuwanderung“ schwer möglich. Insofern haben die Liberalen völlig recht: Es bedarf eines migrationspolitischen Gesamtpakets, um dieses verminte Terrain endlich zu befrieden. 

Denn Fakt ist: Deutschland braucht Zuwanderung – aber zu unseren Bedingungen und zu unserem Nutzen. Alles andere führt in die ökonomische Sackgasse und zu gesellschaftlicher Polarisierung. Wer in diesem Zusammenhang auch noch davon spricht, jetzt müsse endlich der „konservative Muff“ abgeschüttelt werden, wie die SPD-Vorsitzende Saskia Esken es soeben getan hat, trägt nur weiter bei zur Verhärtung der Fronten. Das ist mindestens ebenso wenig klug wie das erkennbar taktische Herumkritteln eines Friedrich Merz.

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