Leopard und Marder für die Ukraine - Der Kanzler und die Panzer

Der Druck auf die Bundesregierung, Panzer westlicher Bauart an die Ukraine zu liefern, steigt. Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigt sich mit dem Argument, in Abstimmung mit den Partnern zu agieren. Steckt dahinter eine Strategie der graduellen Eskalation?

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht Ende August mit Generalleutnant Carsten Breuer auf dem Truppenübungsplatz Putlos / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Bundeskanzler Olaf Scholz bekam dieser Tage die Forderungen der Ukrainer mal wieder direkt von der Bühne zu hören. Wladimir Klitschko, Bruder des Kiewer Bürgermeisters, nahm in Potsdam im Namen des ukrainischen Volkes den „M100 Media Award“ entgegen, und wählte in der Orangerie des Potsdamer Schlosses Sanssouci klare Worte.

Klitschko sagte: „Ich bin beeindruckt von Ihrer Rede. Aber ich möchte nicht nur Worte, sondern Taten. Nur mit modernen Waffen können wir uns verteidigen, können wir euch verteidigen. Wir brauchen schwere Waffen, in großen Mengen, um unser Land zu verteidigen und zu befreien. Natürlich, die Bundeswehr braucht Leopard-Panzer und Marder. Aber ich will daran erinnern: Die Frontlinie verläuft nicht hier, sondern in der Ukraine.“

Der Kanzler saß unten in der ersten Reihe und hörte sich das an, was er schon seit Wochen von allen führenden ukrainischen Politikern der Ukraine zu hören bekommt – und nun auch immer stärker aus der deutschen Politik und den Medien: Die Ukraine braucht Panzer westlicher Bauart, um die Offensive gegen die russische Armee mit Erfolg fortzusetzen. Nach ihrem jüngsten Besuch in Kiew schloss sich auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den Forderungen an, und sogar EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen sagte: „Wenn sie sagen, sie brauchen Kampfpanzer, dann sollten wir das ernst nehmen und sollten ihnen das liefern.“ 

Baerbock und von der Leyen für Lieferung von Kampfpanzern

Doch Scholz zeigt sich bisher kaum beeindruckt von den Forderungen, die auf ihn einprasseln. Was den einen wie Verrat an den Ukrainern erscheint, erscheint bei Scholz wie ein gut durchdachter und abgestimmter Plan. Wie ein Mantra wiederholt er – so auch an diesem Abend in Potsdam –, dass die militärische Hilfe für die Ukraine „verlässlich und so lange wie nötig“ erfolgen werde, und „in enger Abstimmung mit den europäischen und westlichen Partnern.“

Aber ist dem wirklich so? Gerade aus den USA kamen in den letzten Wochen immer wieder Signale, dass man eigenen Entscheidungen der Europäer nicht im Wege stehen würde, quasi eine Aufforderung an Deutschland, voranzugehen und eben nicht auf die Amerikaner zu warten. So ließ die amerikanische Botschafterin Amy Gutmann Mitte September auf Twitter: „Die Entscheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei jedem Land selbst.“ Zugleich zeigt sich der US-Präsident Joe Biden selbst zögerlich bei der Frage, amerikanische Kampfpanzer zu liefern – auch wenn er mit derartigen Forderungen von Seiten der Republikaner konfrontiert ist.
 

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Immer wieder werden technische Gründe angeführt, warum die Lieferung westlicher Kampfpanzer noch nicht erfolgt ist: Ukrainer müssten an diesem Gerät zunächst ausgebildet werden, eine völlig neue Logistik von Munition und Ersatzteilen müsste für diese Waffen aufgebaut werden, die Bundeswehr und die deutsche Industrie hätten kein Material mehr, das sie entbehren könnten. Deshalb sei es sinnvoller, die Ukrainer weiter mit Panzern sowjetischer Bauart zu versorgen.

Gerade hat Deutschland einen „Ringtausch“ mit Griechenland vereinbart: Das Land liefert 40 Schützenpanzer sowjetischer Bauart an die Ukraine und bekommt dafür 40 deutsche Marder. Andererseits ist allen Beteiligten klar: Die Arsenale an sowjetischer Technik und Munition in den westlichen Ländern leeren sich, und der Zeitpunkt, an dem die Ukraine nolens volens auf Abrams, Leopard oder Leclerc umstellen muss, rückt mit jedem Tag des Krieges näher. 

Signal an den russischen Präsidenten

Aber sind die technischen Argumente womöglich nur vorgeschoben? Hinter dem Zögern bei den Panzerlieferungen könnte auch eine Strategie der „graduellen Eskalation“ gegenüber Russland stehen. Der Westen signalisiert dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nach dieser Logik: Zieh deine Truppen aus der Ukraine ab und beende den Krieg, sonst gehen wir einen Schritt weiter. Dafür würde sprechen, dass gerade in Deutschland immer wieder Argumente gegen die Lieferung bestimmter Waffensysteme gefunden wurden, um sie dann nach Wochen oder Monaten doch zu liefern. Was darauf hinweist, dass es eher Scheinargumente waren.
 

Der Autor im Cicero-Podcast:


Betrachtet man die westlichen Lieferungen militärischer Güter seit Beginn des russischen Kriegs, lässt sich ein Schema erkennen, bei dem die Art der  Waffen immer wieder den Phasen des Kriegsverlaufs angepasst wurde: Im Falle Deutschlands waren das in der ersten Verteidigungsphase der Ukraine – die Russen standen vor Kiew und anderen Städten – Helme, dann Panzerfäuste und Luftabwehrraketen.

Erst Monate später folgten deutlich schwerere Waffen: Panzerhaubitzen, Flugabwehrpanzer und MARS-II-Mehrfachraketenwerfer. Das sind Waffen, mit denen die ukrainische Armee die Russen gezielt schwächen konnte, etwa mit Angriffen auf Munitionsdepots und Kommandopunkte. Die jetzt zugesagte Lieferung von 50 gepanzerten Patrouillenfahrzeugen des Typs Dingo ermöglicht den Ukrainern zudem ein schnelles Vorankommen im Frontbereich – Gerät, das die Ukraine für eine Fortsetzung der Offensive im Süden und Osten des Landes gut gebrauchen kann.

Kehrseite der Strategie

Die Strategie würde dahingehend Sinn machen, dass sie Verhandlungsspielräume gegenüber Putin lässt: Wir kommen dir entgegen, indem wir nicht liefern, was wir könnten – aber du musst dich von deinen Maximalforderungen gegenüber der Ukraine wegbewegen. Angesichts der deutlichen militärischen Erfolge der Ukraine in den letzten Wochen erscheint es nun so, als sei die Eskalationsdominanz inzwischen auf Seiten des Westens.

Am Ende wird Putin so vor die Wahl gestellt: Entweder seine Truppen verlassen die Ukraine in geordneter Manier und einigermaßen erhobenen Hauptes, und Putin kann in Verhandlungen mit Kiew und dem Westen Kompromisse erstreiten, die er zumindest seinem eigenen Volk als Erfolg verkaufen kann. Oder ihm und seinen Truppen droht die völlige militärische Niederlage in der Ukraine. Auf der Kehrseite dieser Logik steht, dass der Krieg unnötig in die Länge gezogen wird. Auch darüber sprach Wladimir Klitschko in Potsdam. Er sagte: „Je länger dieser Krieg dauert, desto mehr verlieren wir: mehr Leute, mehr Zukunft, mehr Talent, mehr Infrastruktur.“

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