Zeitgeist-Kritik - Der Durchschuss

Man sieht ihn immer häufiger: Anstelle eines Absatzes einen Durchschuss in den Texten. In einer Zeit des Gequatsches auf Twitter & Co verkörpert er die Sehnsucht nach dem Schweigen

Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Jedes Mal, wenn ich diese Kolumne schreibe, mache ich anstelle eines Absatzes einen Durchschuss. Ich setze also zweimal Enter und damit eine Leerzeile ein. Der Redakteur nimmt die Durchschüsse jedes Mal wieder raus, sie sind im Layout nicht vorgesehen. Einen Monat später mache ich sie wieder. Zuerst fiel mir das gar nicht auf. Seit einiger Zeit, vermutlich seit Jahren, schreibe ich alles mit Durchschüssen. Essays, E-Mails, sogar meine Ebay-Kleinanzeigen – alle meine Texte sind von Leerzeilen zerfressen. Als hätte ich Angst, ein simpler Absatz, jener helle Zapfen, der ins Ende der Zeilen wächst, wäre nicht aussagekräftig. Inzwischen stört es sogar mein Auge, wenn der Text nach dem Absatz gleich weitergeht, so, als wäre nichts geschehen.

Seit ich darüber nachdenke, stoße ich plötzlich überall auf Texte mit Durchschüssen. Die alte Bleiwüste scheint so gut wie ausgestorben. Im Netz gibt es sie höchstens noch bei Verschwörungstheoretikern, die sich nicht im Zaum halten können. Seriöse Online-Journalisten dagegen erkennt man an ihren Durchschüssen.

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