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(picture alliance) Smog in Chiles Hauptstadt Santiago: Die Demokratie schaut dem Klimawandel bislang recht hilflos entgegen,

Klimawandel-Prophet Meadows - „Die Demokratie wird alt und senil“

Die Demokratie, besonders in den USA, ist für die Herausforderung des Klimawandels nicht besonders gut gerüstet, sagt Zukunftsforscher Dennis Meadows. Der Systemanalytiker spricht mit CICERO ONLINE über die Hürden unseres Regierungssystems, das Ende des Öls und über die Finanz- und Schuldenkrise

Dennis Meadows, 70 Jahre, gehört zu den Klima-Mahnern der ersten Stunde. Als Co-Autor der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ für den Club of Rome, der sich mit Zukunftsfragen beschäftigte, löste er 1972 eine weltweite Debatte aus. Darin beschrieb er erstmals die katastrophalen Folgen der wirtschaftlichen Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Nur eine drastische Kehrtwende könnte die Welt noch vor dem Kollaps retten. Meadows lehrte an der Universität von New Hampshire.

 

Herr Meadows, Apokalypse-Theorien haben im Moment Hochkonjunktur. Der Maya-Kalender endet 2012, und unter diesem Titel inszenierte auch Regisseur Roland Emmerich den Weltuntergang. Sie sagten voraus, dass die Grenzen des Wachstums zwischen 2010 und 2020 erstmals sichtbar würden; 2050 sei die Zivilisation, wie wir sie kennen, dann am Ende. Wie aktuell sind Ihre Prognosen noch?
Soweit man einen Vergleich zwischen aktuellen Computermodellen und unseren Statistiken machen kann, sind wir immer noch auf Kurs.

Ihr Modell ist 39 Jahre alt. In dieser Zeit haben sich Technologien verändert, hat das Internet die Welt revolutioniert.
Nun, wir haben es 1999 und 2004 erneut untersucht und kleine Veränderungen vorgenommen. Unsere Fähigkeit, Aussagen über die Zukunft zu treffen, hängt nicht so sehr von den Technologien ab, sondern von unserem Verständnis menschlicher und sozialer Entwicklungen.

Schauen wir uns mal eine solche Entwicklung an: Die USA haben Staatsschulden in Höhe von mehr als 14 Billionen Dollar, mehr als 100 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP). In der Eurozone liegt die Verschuldung bei 79 Prozent des BIP. Ist das ein Zeichen für das Ende des Wachstums, wie Sie es vorhergesagt haben?
Ich denke, da gibt es Zusammenhänge. Die Finanz- und Schuldenkrise verhält sich zur Wachstumsfrage wie der Hurrikan zum Klimawandel. Beweist ein Hurrikan, dass es einen Klimawandel gibt? Die Antwort ist nein. Der Klimawandel sagt uns nur, dass wir bald mehr solcher Stürme haben werden.

Ist es mit den Wirtschaftskrisen genauso? 2000 platzte die Internetblase, 2008 die US-Subprime-Blase, heute haben wir die Schuldenkrise…
Ja, aber es geht nicht nur um die Schuldenkrise. In den nächsten 20 Jahren werden wir mehr gesellschaftliche Veränderungen sehen, als wir in den vergangenen 100 Jahren erlebten. Konkret heiß das: Die Energie und die Ressourcen, die wir brauchen, um uns wirtschaftlich über die nächsten zwei Jahrzehnte zu bringen, gleicht all denen, die wir bis heute aufgebraucht haben. Ich habe die „Occupy“-Demonstrationen auf dem Berliner Alexanderplatz gesehen. Wir sind in einer revolutionären Phase.

Inwiefern?
Die Geld-Eliten investieren nicht mehr nur in Erfindungen und neue Produktionsverfahren, sondern entwickeln lieber Strategien, wie sie anderen das Geld wegnehmen können. Ein Beispiel: Die französischen Banken haben ihre Zeit in den letzten drei Jahren nicht dafür aufgewendet, ihre Geschäfte zu verbessern, sondern dafür, die staatliche Regulierung aufzuweichen. Darum geht es in der „Occupy“-Bewegung. Die Menschen sind frustriert, dass sie nicht mehr in der Lage sind, Wohlstand zu generieren.

Unsere einzige Lösung auf die Frage, wie wir Armut und Arbeitslosigkeit bekämpfen, war stets: Wirtschaftswachstum!
Das stimmt, allerdings basiert diese Politik auf falschen Annahmen. Die Menschheit hat noch nie einen solchen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes gesehen wie in den vergangenen 50 Jahren. Und doch haben wir heute mehr arme Leute als vor 50 Jahren. Wie soll Wachstum da Armut reduzieren?

Wie sollen wir dann sonst unsere Leistungen messen?
Kanada hat kürzlich einen Wohlstandsindex mit 64 verschiedenen Indikatoren entwickelt. Darin sind Faktoren wie die Qualität des Trinkwassers oder der Anteil der Freizeit. Als der Index angewandt wurde, stellte man fest, dass das BIP im analysierten Zeitraum um mehr als 30 Prozent gestiegen war, aber der Wohlstand nur um etwa zehn Prozent. Von dem Wachstum hatten insbesondere die oberen 20 Prozent profitiert. Einige Indikatoren, besonders ökologische, waren sogar gesunken. Das Beispiel zeigt: Das BIP kann steigen, während das Glück sinkt. Die USA sind reicher als Deutschland – und haben dennoch mehr Armut.

Bislang haben wir die von Ihnen beschriebenen Grenzen des Wachstums erfolgreich hinausgezögert – zum Beispiel beim Öl: Jetzt wird in der Tiefsee gebohrt, in Naturschutzgebieten…
Seit 1984 hat die Welt mehr Öl verbraucht als sie entdeckt hat, jedes Jahr. Die globale Ölproduktion erreichte 2006 ihren Höhepunkt. Weiter können wir die Grenzen des Wachstums nicht verschieben. Kürzlich gab es beispielsweise eine große Erregung, weil Erdöl vor Brasilien entdeckt wurde. Diese Vorkommen reichen gerade mal aus, um die Welt 80 Tage lang zu versorgen. Das ist doch ein Witz.

Lesen Sie auch, wie sich Meadows' Einschätzung der Kernenergie verändert hat.

Sie waren Forscher für die einstige US-Atomenergiebehörde. Hat sich Ihre Wahrnehmung von der Nützlichkeit dieser Energieform verändert?
Ich kann dazu eine kleine Geschichte erzählen. Eines Tages kam ein Kollege in mein Büro und hielt einen Geigerzähler an den Stuhl, auf dem ich Monate lang gesessen hatte. Und er sagte: ‚Du sitzt ja auf einiger Radioaktivität.' - 'Wie das?', fragte ich. 'Vor langer Zeit muss jemand etwas auf deinem Stuhl verschüttet haben.' Ich nehme an, es war Beta-Strahlung, die nicht durch Kleidung geht. Aber es zeigt: Atomkraft ist der ultimative Schwindel. Wir konsumieren und die nächsten 100 Generationen erhalten die Rechnung.

Fassen Sie es eigentlich als persönliche Niederlage auf, dass die Menschheit Ihren Warnungen aus den 70er Jahren bislang nicht ernsthaft gefolgt ist?
Nein. Warum sollte es das? Man kann kriegen, was man will oder wollen, was man kriegt. [gallery:Von Photovoltaik bis Geothermie – Erneuerbare Energiequellen im Überblick]                  

Sie haben in den vergangenen Jahren erfolgreiche Strategiespiele entwickelt, zum Beispiel „Fishbanks, Ltd.“, eine Simulation zu Fischfang und Nachhaltigkeit. Ist das Spielemachen Ihre Art, persönlich eine bessere Welt zu schaffen?
Ja, es ist eine Art zu testen, ob man das System versteht. Im Moment baue ich ein Spiel über das globale Ölfördermaximum. Wie verwandelt man eine Region, die auf der Ölförderung basiert, in eine, die effizient die Erneuerbaren managt? All das wird in den nächsten 20 Jahren geschehen müssen.

Welche Spielregeln würden Sie gern in die echte Welt übertragen sehen?
Wenn ich mir für menschliche Systeme etwas wünschen dürfte, dann, dass wir bereit sind, auch kurzfristig Opfer zu bringen. Es ist politisch nicht attraktiv, gegen langfristige Probleme anzugehen – und deshalb geschieht nichts. Beispiel USA: Wem wird die Schuld für die derzeitige wirtschaftliche Misere zugeschoben? Obama, nicht Bush. Große Kriege in Übersee, Deregulierung des Bankensystems – das alles geschah unter Bush. Aber die Wähler haben das völlig vergessen und bestrafen Obama.

Sie sagen, die Demokratie ist ungeeignet, um die jetzigen Probleme zu lösen?
Ich sage nicht, dass sie schlecht ist, ich sagte nur, sie funktioniert nicht. Politiker wollen wirklich Probleme lösen, sie wollen auch wiedergewählt werden. Wenn beides gleichzeitig funktioniert, sehr gut. Aber wir reden jetzt über Klimawandel, da muss man erst einmal durch eine harte Periode des Wandels. Beispielsweise erfordern die Probleme in der Eurozone derzeit so viel Aufmerksamkeit und Geld, dass die Leute sagen, wir können den Wechsel zu den erneuerbaren Energieträgern nicht mehr bezahlen.
Die Demokratie beschäftigt sich nicht sonderlich gut mit diesen Themen. Man könnte sich aber eine Demokratie vorstellen, die längerfristig denkt. Fakt ist: Wir dachten, die Demokratie sei der Endpunkt  menschlicher Entwicklung. Stattdessen spüren wir die ersten Erschütterungen eines Erdbebens. Vielleicht hört das Beben damit schon auf, vielleicht zerstört es auch alles um uns herum.

Das klingt sehr düster. Widerlegen die Ereignisse in der arabischen Welt nicht gerade Ihre Zweifel an der Stabilität der Demokratie?
Glauben Sie wirklich, dass die Probleme in Tunesien durch Demokratie gelöst werden?

Das Land hat gerade seine ersten freien Wahlen erlebt.
Die Leute werfen ein Stück Papier in eine Urne – und das soll Demokratie sein? Das ist doch eine Illusion! Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ein begeisterter Demokrat. Aber ich sehe auch die Nachteile.

Geben Sie diesen Ländern doch erst einmal eine Chance! Es hat fast 200 Jahre gedauert, bis die Demokratie in den USA reifte.
In den USA? Die entwickelt sich doch gerade zurück! Der Kongress wird blockiert durch den Streit zwischen Demokraten und Republikanern. Jede Maßnahme, jede Pressemitteilung dient nur dazu, sich kurzfristig Vorteile vor der nächsten Wahl zu verschaffen. Konzerne haben unsere Medien übernommen, Zeitungen gehen Pleite. Das soll eine reifende Demokratie sein? Reifen in dem Sinne, dass sie altert und senil wird. Ich stelle fest, dass nichts von dem, was uns so lange versprochen wurde, noch sicher ist.

Herr Meadows, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge. Foto: picture alliance

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