Letzte Generation - Land der Krötenzäune

Über das Phänomen der Letzten Generation sollten wir uns nicht wundern: Die jüngere Generation wird in der Schule und in den Medien täglich mit Untergangsszenarien überschüttet. „Fünf vor Zwölf“ ist zum Dauerzustand geworden.

Klimaaktivisten der "Letzten Generation" sitzen am 5. Dezember auf einer Straße am Potsdamer Platz in Berlin / dpa
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Autoreninfo

Der promovierte Politikwissenschaftler Ulrich Berls ist Fernsehjournalist und Autor. Von 2005 bis 2015 leitete er das ZDF-Studio München. Bei Knaur erschien sein Buch „Bayern weg, alles weg. Warum die CSU zum Regieren verdammt ist“.

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Schulschwänzen war gestern, Nötigung ist heute. Die Klimaproteste eskalieren. Ob es nur bei Verkehrsblockaden und Kartoffelbrei-Attacken in Kunstmuseen bleibt, ist fraglich. Wer sich an die späten 1960er Jahre erinnert, weiß, wie schnell unter Umständen Gewaltspiralen vom zivilen Ungehorsam über „Pudding-Attentate“ bis zum Kaufhausbrand entstehen können. Doch anstatt über die Unmäßigkeit der selbsternannten „Letzten Generation“ zu lamentieren, sollten wir darüber sprechen, wie die vorletzte Generation diese Stimmung der radikalisierten Verzweiflung überhaupt erst heraufbeschworen hat.

In den Lehrplänen deutscher Schulen sind seit Jahrzehnten Inhalte wie Umwelterziehung und Nachhaltigkeit so wichtig wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Kinder lernen alles über Müllvermeidung, wie gut das Fahrrad und wie schädlich das Auto ist und engagieren sich in freiwilligen Klein-Projekten zum Schutz von Flora und Fauna. Galt früher der Gartenzaun als typisch deutsch, so ist es mittlerweile wohl eher der Krötenzaun.

Der Aufstand der „Letzten Generation“ darf nicht überraschen

Diese zarte Umweltsensibilität ist freilich einem permanenten Härtetest ausgesetzt, denn die Medien überschütten uns mit schlechten Nachrichten aus Natur und Umwelt. Vor allem der Klimawandel ist dauerpräsent. Wobei Journalisten, die auf korrekte Haltung Wert legen, bereits das Wort Wandel meiden und von Klimakrise oder, besser noch, Klimakatastrophe reden, denn Wandel klingt zu normal und natürlich.

Auch die Wetterkarten von ARD und ZDF kommen immer wieder im Katastrophenmodus daher. Und Brennpunkt- oder Spezial-Sondersendungen zu Starkwetterereignissen rutschen gerne ins Programm. Ob es dabei immer nur ums Informieren oder gerne auch ums Schockieren geht, ist fraglich. Herbststürme im Herbst sind per se ja noch keine Extrameldung wert. Aber auch bei echten Katastrophen sollte auf die richtige journalistische Tonlage geachtet werden.

Einige Medien haben beispielsweise in der Berichterstattung über die Flut im Ahrtal 2021 die Information weglassen, dass die dortigen Hochwasser von 1804 und 1910 genauso schlimm waren. Keine irgendwie geartete Relativierung des Klima-Kontextes bitte, schließlich geht es um die Zukunft des Planeten. Die Angst, der anderen Seite Argumente liefern zu können, rechtfertigt jede Schere im eigenen Kopf.

50 Jahren „Fünf vor Zwölf“

1972, also genau vor einem halben Jahrhundert, erschien das aufsehenerregende Buch „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome. Etliche Fachwissenschaftler sagten darin ein baldiges Ende der meisten Ressourcen auf unserem Globus voraus und zeichneten ein rundum düsteres Zukunftsbild.

Viele der damaligen Prognosen sind nicht eingetreten: Sämtliche Erdöl- und Erdgasvorkommen würden zu Beginn der 1990er Jahre unwiederbringlich zu Ende sein, hieß es etwa. Doch Fehlberechnungen wie diese haben der famosen Reputation des Club of Rome seltsamerweise kaum geschadet. Seit die Studie erschienen ist, seit 50 Jahren also, bestimmt eine Es-ist-Fünf-vor-Zwölf-Stimmung die Umweltdebatten.

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Auch auf einer zweiten Ebene hat der Prognose-Flop von damals leider wenig Zweifel bewirkt. An „Die Grenzen des Wachstums“ waren renommierte Wissenschaftler beteiligt, sogar das weltberühmte Massachusetts Institute of Technology. Die Wissenschaft sei einhellig der Meinung, hören wir seither, dass wir auf den Untergang zurasen. In der heutigen Klimadebatte gibt es kein stärkeres Dogma als die Aussage „aber die Wissenschaft ist sich doch einig“. Ist sie das?

Ja – einig sind sich nahezu alle Forscher, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt. Aber wie wir damit umgehen sollen, ist durchaus strittig. Wissenschaftstheoretisch ist es eh widersinnig, von einem unverrückbar gültigen Forschungsstand zu sprechen.

Talkshow-Dauerabo für Claudia Kemfert

Seit der Aufklärung heißt Wissenschaft, alles in Zweifel zu ziehen, immer skeptisch zu sein, jede unbequeme Wahrheit zu ertragen. Wie sagt Harald Lesch so schön: „Wir irren uns empor“. Die Idee einer konsensualen Wissenschaft ist unwissenschaftlich. Deshalb ist es schädlich, wenn die Auswahl der wissenschaftlichen Experten in den Leitmedien selektiv wirkt.

Warum werden in nahezu jedem Nachrichtenfilm zu Klimathemen O-Töne aus dem Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung eingefangen, obwohl dessen Unabhängigkeit umstritten ist? Weshalb kommen hingegen die Wissenschaftler vom Physikalischen Institut der Universität Heidelberg, die Akzente anders setzen, so gut wie nie zu Wort? Warum ist der Klimaforscher Mojib Latif in den Medien dauerpräsent, sein akademisch genauso ausgewiesener Kollege Hans von Storch aber selten zu hören?

Deutschlands berühmtester Ökonomie-Professor Hans-Werner Sinn war einst Stammgast in sämtlichen Talkshows. Seit er jedoch minutiös vorrechnet, dass die deutsche Energiewende eine volkswirtschaftliche Fehlkalkulation ist, sehen wir ihn kaum noch. Dafür hat jetzt die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert ein Dauerabo in den Medien, wo sie ständig betont, dass die Umstellung der größten Volkswirtschaft des Kontinents auf erneuerbare Energien die einzige Lösung sei.

Unheilsgewissheiten

Gegen das Motto „Follow the Science“ ist ja nichts einzuwenden, nur auf welche Wissenschaft soll man denn hören? Zum Wesen der Wissenschaft gehört der Diskurs. Aber der Diskurs ist auch das Lebenselixier der Demokratie. Wenn jedoch ständig vom Brennenden Planeten geredet wird, wenn es immerzu Fünf vor Zwölf ist, wenn die mediale Dauerschleife nur Nachrichten aus dem klimatischen Jammertal kennt, sollte man sich nicht wundern, dass es da eine ökosensibel erzogene Generation gibt, die verzweifelt ist und meint, keine Zeit mehr für rechtsstaatlichen Firlefanz und irgendwelchen Pluralismus zu haben.

Die traditionelle politische Linke bezog ihre Anziehungskraft aus Heilsversprechen oder gar Heilsgewissheiten. Die Sozialisten versprachen Gerechtigkeit, die Kommunisten sagten sogar die klassenlose Gesellschaft voraus. Beide linke Strömungen hatten einen positiven utopischen Kern. Wie zutiefst dystopisch dagegen die neue Öko-Linke ist, zeigt schon ihre Selbstetikettierung als „Letzte Generation“. Eine Ära der Unheilsgewissheiten hat begonnen. Mir tun die Klimakleber leid ...

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