Untote auf der Speisekarte - Das „Jägerschnitzel“ lebt!

Unser Genusskolumnist stolperte neulich über die Werbung einer Ostberliner Gaststätte mit wechselnder Karte. Dort wurde auch „Jägerschnitzel Ost“ offeriert. Leider hatte er am Angebotstag keine Zeit, und so machte er sich daran, diesen DDR-Klassiker mal selbst zu braten.

Ein in Vergessenheit geratener Klassiker: das „Jägerschnitzel Ost“ / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Speisekarten gehören eher nicht zu meiner bevorzugten Lektüre. Doch als ich beim Surfen im Netz zufällig auf eine Anzeige stieß, in der als Mittagsgericht am Montag ein „Jägerschnitzel Ost“ auftauchte, löste das schon ein gewisses Erstaunen aus. Zwar gehöre ich zu jenen Eingeweihten, die wissen was damit gemeint ist. Aber ich habe mir eigentlich nicht vorstellen können, dass es sowas überhaupt noch gibt. Und schon gar nicht auf der Karte eines Caterers namens KulturKantine, der mitten im Szene-Bezirk Prenzlauer Berg an Wochentagen auch einen – erstaunlich preiswerten – Mittagstisch anbietet.

Was ist eigentlich ein „Jägerschnitzel“?

Jägerschnitzel ist eine Art Sammelbegriff für alle möglichen Fleischverwertungen. In Frankreich führte Koch-Großmeister Auguste Escoffier um 1900 das Escalope á la Chasseur (Schnitzel nach Jägerart) ein, und bezeichnete damit ein in Butter gebratenes Stück Kalbsfleisch mit einer Sahnesoße, in die angeschwitzte Schalotten und Pilze kamen. Auch in Österreich setzte man beim Jägerschnitzel auf feines Kalbfleisch, das unpaniert gebraten und mit einer Pilzsoße serviert wurde. Für die werden Zwiebeln im Bratfett gebräunt, grob gehackte Pilze mitgeröstet und alles mit Kalbsbratensaft abgelöscht.

In Deutschland war und ist das „Jägerschnitzel“ dagegen eine eher rustikal-profane Angelegenheit. Statt Kalbs- werden vor allem Schweineschnitzel verwendet, die manchmal auch paniert werden. Und die „Jägersoße“ mit Pilzen stammt nicht selten aus der Tüte und der Dose. In der Schnitzelkultur eroberte sich das „Jägerschnitzel“ dennoch einen festen Platz. Ich erinnere mich noch gut an Zeiten, in denen es in vielen Berliner Kneipen und einfachen Gaststätten einen wöchentlichen „Schnitzeltag“ gab, zum Einheitspreis mit bis zu zehn verschiedenen Soßen und Beilagen.

Fast immer dabei waren das (gefälschte) „Wiener Schnitzel“, das inzwischen von der Wokizei verbotene „Zigeunerschnitzel“, das „Schnitzel Hawaii“ und eben das „Jägerschnitzel“. Wobei der Name ein bisschen rätselhaft erscheint, denn weder das Erlegen von Kälbern oder Hausschweinen noch das Sammeln von Pilzen gehören zum klassischen Tätigkeitsbild eines Jägers.

Mangel macht erfinderisch

Diese Beliebigkeit machte man sich in der DDR zu Nutze. Denn dort war an Kalbfleisch in der Gastronomie und im Handel nicht zu denken, und auch frische Schweineschnitzel waren eher Mangelware, denn die waren ein devisenträchtiges Exportprodukt. Was es aber immer reichlich gab, waren einfache Wurstwaren, allen voran die seinerzeit allseits beliebte „Jagdwurst“. Und da das ja auch irgendwie nach Jäger klang, kam man auf die Idee, die eigentlich als kalter Aufschnitt gedachte Jagdwurst zum sozialistischen Jägerschnitzel umzustylen.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Dabei etablierte sich auch eine Darreichungsform, die wohl die Eigenständigkeit der sozialistischen Esskultur und ihre Abgrenzung von westlichen Produkten demonstrieren sollte. Das überall erhältliche, klassische DDR-Jägerschnitzel wurde mit Spiralnudeln und Tomatensoße serviert, statt wie anderswo üblich mit Kartoffeln und Mischgemüse.

Im Westen konnte sich diese Variante allerdings kaum durchsetzen, denn Schnitzelmangel gab es hier nicht. Und das galt nach dem Fall der Mauer auch bald für den Osten. Das Ost-Jägerschnitzel tauchte fast nur noch in hartleibigen Nostalgiker-Kreisen oder in Büchern über den DDR-Alltag auf. Und jetzt also in einer Mittagskantine im hippen Prenzlauer Berg, und das auch mit der klassischen Soße und den Nudeln.

Korrekte Zubereitung ist erstaunlich aufwendig

Leider hatte ich am Jägerschnitzel-Tag keine Zeit, die Location, die nur von 12-15 Uhr geöffnet hat, zu besuchen. Aber das „Jägerschnitzel Ost“ ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich vermute zwar, dass ich dieses Nationalgericht bei einem meiner zahlreichen DDR-Besuche schon mal gegessen habe, und sei es auch nur, weil es in einer aufgesuchten Gaststätte mal wieder nichts anderes gab. Aber erinnern kann ich mich daran nicht. Und so blieb mir wohl nichts anderes übrig, als in der heimischen Küche zur Tat zu schreiten.

Die laut Fachliteratur quasi amtliche Zubereitung des sozialistischen Schnitzels ist erstaunlich aufwendig. Wobei ich bezweifle, dass dieses Procedere in jeder vermufften HO-Gaststätte zwischen Finsterwalde, Gägelow und Wurzen stets eingehalten wurde. Man schneidet die Jagdwurst zunächst in fingerdicke Scheiben (1-1 ½ cm). Dann baut man sich eine Panierstraße auf, wie man sie vom original Wiener Schnitzel kennt. Dafür Mehl in eine Schüssel füllen, mit etwas Milch verquirltes Ei in eine zweite Schüssel geben und Paniermehl in die dritte.

Ein kulinarhistorisches Erlebnis

In dieser Reihenfolge werden die Jagdwurstscheiben dann für das Braten vorbereitet. Achtung: Überschüssiges Mehl gut abschütteln, bevor man die Scheiben durch in die verquirlten Eier zieht. Und darauf achten, dass das Paniermehl lückenlos anhaftet. Dann in einer Pfanne Öl auf mittlerer Stufe erhitzen, und die „Jägerschnitzel“ auf beiden Seiten goldbraun anbraten, „durch“ muss die Brühwurst sie ja nicht sein. Und bitte nur ein Mal wenden. Herausnehmen und kurz auf einen mit Küchenkrepp belegten Teller legen, um das überschüssige Fett abtropfen zu lassen.

Und da sind sie dann, die „Jägerschnitzel Ost“. Und ja, das kann man durchaus mal mit Genuss essen, wobei die Qualität der verwendeten Jagdwurst natürlich eine wichtige Rolle spielt. Kulinarhistorisch ist das ohnehin von großem Interesse. Auf Tomatensoße und Spiralnudeln habe ich dabei allerdings verzichtet, es gab einfach Gurkensalat dazu. Und ein Bier. Natürlich ein Radeberger Pilsner.

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