Stellungnahme zum Umgang mit Corona - Lehren aus der Pandemie

Im Prinzip war die Corona-Pandemie nicht anders als andere Influenza-Epidemien. Die Erkenntnis ist, dass man Infektionen nicht verhindern kann und auch nicht verhindern soll. Das Ziel einer Pandemiebekämpfung muss die Reduktion der Virenlast sein, schreibt eine Gruppe aus Wissenschaftlern und Medizinern.

Im Unterschied zu vielen „Experten“ in der Corona-Zeit wusste Sokrates, dass er nichts weiß / dpa
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Der Verein „Sokrates – Kritische Rationalisten“ wurde im September 2021 gegründet und besteht aus Mitgliedern, die alle umfangreich wissenschaftlich gearbeitet haben und über politische Erfahrung nicht nur in der in den jeweiligen Fachgesellschaften verfügen. Das Ziel des Vereins ist es, „möglichst vorurteilsfrei zu manchen aktuellen Problemen Stellung zu nehmen, die gesellschaftlich relevant sind und einer vorurteilslosen wissenschaftliche Expertise bedürfen“. Der Verein hat sich in der Corona-Pandemie entwickelt, wo gerade in Deutschland die wissenschaftliche Aufarbeitung große Mängel gezeigt hat. Soeben hat „Sokrates“ eine Stellungnahme zu Lehren aus der Pandemie veröffentlicht, die wir im Folgenden dokumentieren.

Jürgen Habermas hat in einem Interview der Frankfurter Rundschau 2020 zur Pandemie gesagt: „So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie.“ Dieser Satz war damals und ist erst recht im Nachhinein betrachtet falsch. Wenn man von spezifischen Forschungen zum neuen Sars-CoV-2 absieht, war vieles von dem, was angeblich zur Bewältigung der Coronapandemie als Wissen neu erworben wurde, schon lange bekannt. Das Problem: Es war leider den Entscheidungsträgern bzw. deren wissenschaftlichen Beratern nicht bekannt oder wurde unter dem Generaleindruck einer völlig neuen Herausforderung nicht berücksichtigt. Mit etwas mehr Aufrichtigkeit, Besonnenheit und Literaturstudium hätte man fast alles schon vorher parat haben können. Bereits die seit mehr als 10 Jahren vorliegenden Empfehlungen zu einer Pandemiebewältigung enthielten viele wesentliche Informationen.

Es gibt einige bekannte Grundprinzipien zu Ausbreitung und Folgen einer Pandemie mit respiratorischen Infekten. Das hängt damit zusammen, dass das Virus sich immer über die Luft verbreitet. Diese Form der Infektionsübertragung ist mit Abstand die häufigste, auch weil sie sich sehr rasch ausbreitet. In den heutigen Zeiten mit hoher Mobilität noch ungleich schneller als früher – wie zum Beispiel bei der Spanischen Grippe 1918/19.

Entscheidend für die Prinzipien der Pandemiebewältigung ist dabei die an sich schon von den Influenzapandemien gut belegte Tatsache, dass das Virus, im Gegensatz z.B. zur Tuberkulose, praktisch nur über die Atemluft verbreitet wird. Das ist auch in der Coronapandemie der Fall. Daraus ergeben sich drei Kernelemente:

1. Eine Infektion ist praktisch nicht zu verhindern

Aerogene Infektionen sind nahezu nicht zu vermeiden, da die abgeatmeten kleinen Partikel bei fehlendem Luftwechsel oder ohne Luftreiniger lange in Räumen verbleiben können. So verbleibt auch eine Infektionsgefahr, wenn die infizierte und virusabatmende Person den Raum verlassen hat, was z.B. die Nachverfolgung von Infektionsketten erheblich erschwert. Darüber hinaus wird die Gefahr in einem leeren Raum nicht gesehen. Häufig wird dabei die Viruskonzentration nur von wenigen „Superspreadern“ bestimmt. Corona- und Influenzaviren bleiben mit einer Halbwertszeit von ca. einer Stunde in der Luft infektiös. Aus der Luft deponierte Viren an Oberflächen können nicht mehr in die Luft zurück, da die Adhäsionskräfte zu stark sind. Zudem weiß man durch die Coronapandemie, dass nicht wenige das Virus abatmen können, bevor sie erkranken bzw. bei noch negativem Virusnachweis im Nasen- und Rachenraum. Manche sind ansteckend, ohne selbst zu erkranken, und andere erkranken, ohne ansteckend zu sein. Diese Heterogenität ist neue Erkenntnis der Coronapandemie.

Schon länger war bekannt – und ist beim Sars-CoV-2 noch einmal bestätigt worden –, dass Viren bei manchen Menschen im Nasen-Rachenraum oder auch in anderen Organen persistieren können, ähnlich wie Herpes-simplex-Viren. Zudem können auch Haustiere ein Reservoir darstellen. Damit ist jeder Versuch einer Viruselimination durch radikale Quarantänemaßnahmen (Null-Covid-Politik) von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es folgt, dass vorbeugende Testung oder Quarantäne von infizierten Personen die Ausbreitung praktisch nicht hemmt, weswegen diese Maßnahmen in der Breite sinnlos sind. Gleiches gilt für generelle Kontaktverfolgungen, denn diese erfassen immer nur einen eher kleinen Teil der Ausbreitungswege, deren Information ausschließlich in Studien sinnvoll ist. Weiterhin sind landesweite Lockdownmaßnahmen sowie Grenz-, Schul-, Universitäts- oder Kitaschließungen in der Regel nicht erforderlich. Bei der Coronapandemie waren sie wirkungslos. Diese wären nur dann begründet, wenn eine Pandemie so viele schwere Verläufe verursacht, dass die medizinische Versorgung in den Praxen und Kliniken nicht mehr gewährleistet wäre. Nur in einem solchen Fall müsste die Ausbreitung verzögert werden.

In der Coronapandemie war der Schweregrad der Entwicklung anfangs nicht absehbar. Etwa bis zum zweiten Halbjahr 2020 jedoch zeigte sich, dass keine bundesweite Überfüllung der Kliniken und insbesondere keine der Intensivstationen vorlag. Im Gegenteil, die Überlebensrate war deutlich höher, wenn Patienten mit Covid-19 (Lungenentzündung mit isoliertem Sauerstoffabfall im Blut) nicht auf solche Intensivstationen kamen, die bereits bei geringem Sauerstoffabfall intubierten und beatmeten oder gar eine extrakorporale Sauerstoffversorgung (ECMO) anwendeten. Die Intubation und Beatmung steht zwar in vielen Leitlinien, ist jedoch pathophysiologisch nicht begründet und hat zudem viele unerwünschte Nebenwirkungen. Bei vergleichbarem Schweregrad lag die Mortalität bei Covid-19 auf Intensivstationen in Deutschland mit invasiver Beatmung konstant über 60% (34). Wurde nicht invasiv beatmet, lag die Todesrate konstant unter 10%.

In der Coronapandemie wurde noch einmal deutlich gezeigt, dass eine durchgemachte Infektion bei einer erneuten Infektion mit einer späteren Virusmutante besser als die Impfung vor einem weiteren schweren Verlauf schützt. Patienten, die vor der verfügbaren Impfung eine Sars-CoV-2-Infektion überstanden hatten, bekamen zwar später wieder Infektionen (ähnlich wie bei Influenza), sie sind aber deutlich seltener auf einer Intensivstation gelandet. Die Impfung hat die Reinfektionen anfangs etwas reduziert, später, mit den neuen Varianten, jedoch nicht mehr.

Die Antikörperspiegel wissenschaftlich als Hauptschutz gegen Infektion Dritter, schwere Verläufe oder eine erneute Infektion zu sehen, war eine Übersimplifizierung bzw. deutliche Fehlentwicklung bei der Coronapandemie. Dieser wissenschaftliche und politische Irrweg mit den entsprechenden G-Regeln wäre leicht zu verhindern gewesen. Es gehört seit Jahrzehnten zum Basiswissen der Immunologie, dass die breite zelluläre Immunreaktion mit ihrem Gedächtnis für die Antigene im Vordergrund der Immunabwehr steht. Infolge der Komplexität und individuellen Varianz der Immunantwort können nur die näher erfassten Krankheitsverläufe, Impfwirkungen und Reinfektionen in Kohorten als relevanter Maßstab für einen Pandemieverlauf angesehen werden. In ausgewählten Untergruppen können immunologische Parameter zusätzlich erfasst werden.

Also: Die Ausbreitung der Viren durch die Atemluft ist nicht zu verhindern; eine Pandemie werden wir nicht unterbinden können. Nur bei drohendem Kollaps der kritischen Infrastruktur und vor allem der medizinischen Versorgung sollten und müssen Maßnahmen zur Verzögerung erwogen werden.

2. Die Virusmenge pro Zeiteinheit entscheidet mit über den Krankheitsverlauf

Alle infektiösen Erreger haben eine bestimmte Vermehrungsgeschwindigkeit bzw. Verdopplungszeit. Bei den respiratorischen Viren liegt sie im Bereich von einigen Stunden. Wird man mit wenigen Viren infiziert, so dauert es einige Tage bis zur Erkrankung. In der Regel ist die Erkrankung dann auch milder, denn das Immunsystem hatte ausreichend Zeit, um alle Abwehrmechanismen zu aktivieren. Inhaliert man hingegen große Virusmengen in kurzer Zeit (zum Beispiel 100.000 Coronaviren in wenigen Stunden), dann wird man nicht nur schneller, sondern auch deutlich schwerer erkranken und hat ein höheres Sterberisiko. Der Grund: Die erste immunologische Abwehr ist quantitativ überfordert, wird praktisch überrannt. Viele Viren können sich längere Zeit ungehindert im Körper vermehren, bevor die Gegenreaktion des Immunsystems einsetzt. Dieser Zusammenhang ist durch Tier- und auch Humanversuche (klinische Provokationsstudien zur Testung von Impfdosen, Virostatika) mit Influenzaviren gut belegt und seit Jahrzehnten bekannt.

Also: Die Schwere der Infektion und die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs werden auch entscheidend von der Virenlast beeinflusst.

3. Das entscheidende Element bei der Pandemiebewältigung ist die Reduktion der infektiösen Last, um schwere Verläufe und Todesfälle zu reduzieren

Aus den Kernpunkten 1 und 2 folgt, dass die Infektion mit einem Pandemievirus zwar kaum verhindert, wohl aber etwas gegen schwere Verläufe und eine hohe Zahl von Todesfällen getan werden kann. Das beeinflusst auch die Langzeitfolgen. Die Daten aus früheren Influenzapandemien und aktuell aus der Coronapandemie zeigen deutlich, dass Spätfolgen (sogenanntes Post- bzw. Long-Covid-Syndrom) grob mit der Schwere des Krankheitsverlaufes korrelieren. Diese drei Grundprinzipien vereinfachen eine Pandemiekontrolle erheblich. Sie sind plausibel und eine realistische Basis für individuelle Entscheidungen. Zudem vereinfachen sie gesetzliche Vorgaben deutlich. Andere Faktoren, wie individuelle Disposition oder Begleit- bzw. Vorerkrankungen, können durch allgemeine Regelungen natürlich nicht beeinflusst werden.

Also: Das Hauptziel einer Pandemiebewältigung muss in der Reduktion der Virenlast bei einer Ansteckung bestehen und nicht in der Vermeidung der Ansteckung.

Soviel zu den Kernelementen einer Pandemiebewältigung. Im Folgenden skizzieren wir weitere Aspekte, die für eine wirkungsvolle Pandemiekontrolle relevant sind.

Betreuung vulnerabler Gruppen

Von den Pandemien der letzten 150 Jahre ist bekannt, dass nicht nur Vorerkrankte und alte Menschen gefährdet sind, sondern mitunter auch andere Altersgruppen. Im Rahmen der Spanischen Grippe 1918/19 starben insbesondere jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. 2017/18 sollen weltweit 30.000 Kinder an der Influenza gestorben sein. Ein Pandemievirus kann also im Prinzip alle Altersgruppen betreffen. Die Ursachen sind noch unklar; es wird vermutet, dass frühere Pandemien einen entsprechenden Langzeit-Infektionsschutz vor schweren Verläufen geschaffen haben, der den danach Geborenen fehlt.

Deswegen ist es gefährlich, sich von vornherein auf bestimmte Risikogruppen festzulegen. Mit den oben erwähnten drei Grundprinzipien zum Pandemiegeschehen ist aber eine Betreuung von Risikogruppen deutlich wirkungsvoller möglich als bisher. Das Ziel ist nicht die völlige und unrealistische Verhinderung der Infektion. Der Fokus liegt vielmehr auf der Reduzierung der schweren Fälle und Todesraten.

Vereinfachend kann man sagen, dass die Infektionsausbreitung auch die Virusausbreitung widerspiegelt. Wenn also, wie bei der Coronapandemie, Kinder kaum – und wenn, dann milder – erkranken, so ist erst einmal anzunehmen, dass sie auch das Virus eher selten weitergeben. Dies konnte inzwischen durch mehrere Studien nachgewiesen werden. Kinder atmen deutlich weniger infektiöse Partikel aus als Erwachsene. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind einen Erwachsenen durch Aerosole infiziert, ist damit um ein Vielfaches geringer als umgekehrt. Wenn es zu Ausbrüchen in Kitas oder Schulen kam, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ein Lehrer oder ein andere Erwachsener der Auslöser war.

Also: Risikogruppen sollten individuell zugeschnittene Schutzkonzepte bekommen, die sich an den drei Grundprinzipen ausrichten.

Kontaktzeit und Abstand

Die Kontaktzeit bestimmt entscheidend die inhalierte Dosis an Viren. Kurze Kontaktzeiten von wenigen Minuten stellen üblicherweise keine Gefahr dar, da die inhalierte Dosis zu gering ist. Wenn ein sehr ansteckender Virenstamm unterwegs ist, kann es trotzdem zur Infektion kommen, dann aber zumeist mit einem milden Verlauf.

Sind Personen im Raum, die Viren abatmen, so steigt die Viruslast im Atemtrakt mit dem Quadrat der Zeit: Das Einatemvolumen steigt linear mit der Zeit, die in den Raum abgegebene Virusdosis aber auch, woraus sich die Quadratur ergibt. Ein Beispiel: In einer Schulklasse mit einer Unterrichtszeit von ca. 35 Minuten beträgt die Gesamtbelastung nur knapp die Hälfte im Vergleich zu einer von 45 Minuten. Natürlich muss in der Pause immer gut gelüftet werden.

Eine Abstandsregelung ist sinnvoll bei Erregern, die vorwiegend durch Husten übertragen werden wie z.B. bei Tuberkulose. Bei einer Viruspandemie mit respiratorischen Infekten spielt die Übertragung durch Husten aber praktisch keine Rolle. Die nahezu fehlende Hustenübertragung hat sich auch daran gezeigt, dass sich während des Lockdowns kaum jemand mit Husten unter Menschen getraut hatte, um nicht als „Aussätziger“ dazustehen. Trotzdem hat sich die Pandemie ungehindert verbreitet.

Die Ausatemluft mit den Viren ist 36°C warm und steigt deswegen sofort nach oben. Verstärkt wird das durch den Laminarflow, d.h. durch den im Vergleich zur Umgebung fast immer wärmeren Körper (bis zu 100 m³/Std). Damit schützt ein Abstand nicht wirklich. Im Gegenteil: Er erzeugt „falsche Sicherheit“. Die abgeatmeten Viren verteilen sich je nach Zirkulation sehr rasch im Raum. Das ist wie beim Zigarettenrauch, der auch rasch zu riechen ist, obwohl man sich z.B. gerade in einer weit entfernten Raumecke aufhält. Zigarettenrauch ist im Übrigen ein gutes Modell zur Darstellung der abgeatmeten virushaltigen Aerosole, da sie die gleiche Partikelgröße aufweisen. Deshalb ist ein besonderes Abstandsgebot wenig sinnvoll. Natürlich war die Regelung unklug, die Maske in Räumen (z.B. Restaurants, Sitzungssälen usw.) dauerhaft abzunehmen, sobald man sich hingesetzt hatte. Es wäre besser gewesen, sie nur bei der Nahrungsaufnahme abzunehmen. Das Abnehmen der Masken in schlecht belüfteten Innenräumen hat vermutlich die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle erhöht, da bei einer hohen Viruslast im Raum die inhalierte Dosis deutlich höher war.

Also: Eine Abstandsregelung ist wenig hilfreich. Kurze Kontaktzeiten anzustreben, macht viel mehr Sinn.

Innen/außen

Nach den oben erläuterten Infektionsprinzipien erfolgt eine Ansteckung eigentlich nur in Innenräumen. Die Datenlage dazu ist inzwischen erdrückend. Draußen steigt nicht nur die abgeatmete Luft schneller nach oben, sie wird auch sofort verdünnt. Somit werden praktisch nie genug Viren inhaliert, um eine Infektion auszulösen. Und damit sind natürlich auch Masken im Außenbereich vollkommen sinnlos. Ein Lockdown, falls er bei schnellen Verläufen einer Pandemie erforderlich sein sollte, ist „für draußen“ ebenfalls nutzlos und eher kontraproduktiv.

Allerdings muss die Gesamtbelastung durch Viren im Rahmen diverser Aktivitäten berücksichtigt werden, z.B. bei Sportveranstaltungen. So besteht im Fußballstadion keine Infektionsgefahr, jedoch bei der Anreise in öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar im Pkw mit fremden Personen sowie auch bei längerem Aufenthalt in Stadiontoiletten oder schlecht gelüfteten Zugängen. Dort kann überall eine gefährlich hohe Viruskonzentration vorherrschen, Masken zum Eigenschutz bzw. zur Virenlastreduktion können deshalb sinnvoll sein.

Die Ansteckungsgefahr in Innenräumen hängt von der Lüftung bzw. Luftreinigung ab, aber auch stark von der Personenzahl/Fläche und der Raumhöhe. Bei höheren Räumen (z.B. viele Supermärkte, Kirchen) reduziert sich die Ansteckungsgefahr stark. Die Qualität des Luftaustauschs von Innenräumen ist heute durch preiswerte Kohlendioxid-Monitore gut zu erfassen. Sind Luftreiniger im Einsatz, so muss man auf preiswerte Partikelzähler zurückgreifen, denn die Luftreiniger entfernen zwar effektiv die Viren, jedoch nicht das abgeatmete Kohlendioxid. Details dazu haben wir im Lufthygienecheck beschrieben, der eine Risikoabschätzung ermöglicht.

Also: Im Freien sind keine Vorsichtsmaßnahmen erforderlich.

Masken

Eine Maskenpflicht hat bei der Coronapandemie keinen relevanten Einfluss auf die Infektionshäufigkeit gehabt. Dieses Resultat aus zahlreichen Studien war nach den im Kernelement 1 beschriebenen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu erwarten. Masken sind aber zum Eigenschutz effizient, insbesondere zur Reduktion großer Viruslasten. Einen Kontakt mit den in der Luft schwebenden Viruspartikeln kann man aber trotz Maske im normalen Leben nie vermeiden; auch weil alle Masken eine Leckage haben.

Chirurgische Gesichtsmasken und FFP2-Masken reduzieren die abgeatmete und die inhalierte Virenmenge etwa um 50-70%. Die Dichtigkeit des Maskenmaterials ist bei diesen Masken in etwa vergleichbar und liegt fast immer über 90%. FFP2-Masken sind deshalb etwas wirksamer, weil sie dichter anliegen. Die Leckage bestimmt also immer die Hauptwirksamkeit. Chirurgische Masken haben den Vorteil eines geringeren Totraums (ca. 20 ml versus ca. 70 ml). Der Totraum ist der Bereich der Atemwege, der nicht am Gasaustausch beteiligt ist. Ein geringer Totraum macht das Tragen angenehmer, denn die Rückatmung an Kohlendioxid ist geringer. Besonders bei Kindern mit kleinen Atemwegen ist deswegen die subjektive Belastung bei chirurgischen Masken schwächer.

Eine echte Gefährdung stellen Masken nicht dar. Es ist weder eine Einatmung von im Maskenvlies enthaltenen Viren oder Bakterien möglich, noch wird die Atmung nennenswert beeinträchtigt. Natürlich entsteht auch keine Hypoxämie. Die leichte Erhöhung des Totraums bzw. des Atemwegswiderstandes entspricht in etwa der Belastung beim Gehen. Masken würden natürlich bei sportlicher Betätigung die Leistung reduzieren – wie erwähnt sind sie aber draußen nicht erforderlich. In Turnhallen übrigens auch nicht, wenn dort die Räume so hoch sind, dass keine relevanten Virusmengen eingeatmet werden können.

Aus dem oben Gesagten ergibt sich natürlich auch, dass Plastikschilde (z.B. bei Verkaufstheken) nicht zur Reduktion der Viruslast führen, da die Atemluft an den Rändern nicht Halt macht. Insbesondere in Bussen sind solche Schilde wirkungslos – jedenfalls immer dann, wenn sie den Busfahrer nicht völlig isolieren, was nur sehr selten der Fall ist. Da die meisten Busfahrer hinter den Schilden ohne Masken unterwegs waren, ist es hier sicher zur Ansteckung mancher Fahrgäste und auch des Fahrers gekommen.

Also: Masken verhindern in der Summe nicht die Infektion, reduzieren aber die Virusmenge beim korrekten Tragen deutlich. Damit schützen sie in erster Linie vor schweren Verläufen bis hin zu Todesfällen. Das Tragen einer Maske ist nur in Innenräumen sinnvoll, insbesondere wenn viele Personen anwesend sind, die Lüftung bzw. Luftreinigung schlecht ist und die Decken niedrig sind.

Hände- und Oberflächendesinfektion

Da bei Pandemien mit respiratorischen Erregern eine Ansteckung praktisch nur über die Atemluft erfolgt, ist eine Oberflächendesinfektion sinnlos, da die niedergeschlagenen Viruspartikel sich nicht in die Luft zurück bewegen können. Grund dafür sind die hohen Adhäsionskräfte. Das ist z.B. an einem verschmutzten Rennwagen gut zu erkennen: Er wird auch bei sehr schneller Fahrt nicht sauberer.

Eine Übertragung über Hände und Körperkontakt ist theoretisch möglich, jedoch im Vergleich zur Menge der inhalierten Viren selbst mit Maske vernachlässigbar. Auch ein möglicher Niederschlag von Aerosolpartikeln auf Schleimhäuten (zumeist Augen) kann theoretisch eine Infektion verursachen, jedoch ist auch hier die deponierte Menge zigtausendfach geringer im Vergleich zu inhalierten Viruspartikeln und damit ebenfalls zu vernachlässigen. In Metaanalysen zur Ausbreitung der Coronapandemie zeigten Brillenträger deswegen auch nicht weniger Infektionen.

Also: Oberflächen- und Händedesinfektion ist bei aerogen übertragenen Viren nicht sinnvoll.

Krankschreibung und Quarantäne

Da die Virusausbreitung nicht verhindert werden kann, ist eine Krankschreibung nur für tatsächlich Erkrankte sinnvoll. Quarantänemaßnahmen helfen ebenfalls nicht, da die Infizierten oft nicht oder kaum noch ansteckend sind und umgekehrt viele Personen das Virus verbreiten, bevor sie krank werden. Also können Quarantäne und Lockdown entfallen – zumal sie zusätzlich soziokulturelle Schäden und Erhöhung der Mortalität durch verzögerte Diagnostik und Therapie anderer Erkrankungen verursachen können, wie die jetzige Pandemie eindrucksvoll gezeigt hat.

Also: Krankschreibung ist nur bei entsprechen Symptomen erforderlich. Quarantänemaßnahmen sind wirkungslos, da sie die Ausbreitung nicht hemmen.

Kontrolle der Infektionsverläufe und Modellierungen

Eine landesweite Kontrolle der Infektionsverläufe, zum Beispiel durch Gesundheitsämter, ist illusorisch. Für die enorm großen Datenmengen ist bei uns die Infrastruktur nicht vorhanden, und es lohnt sich auch nicht, diese vorzuhalten. Aus dem oben Gesagten zur Heterogenität der Infektionsverläufe ergibt sich auch, dass der mögliche Informationsgewinn unbedeutend ist, da viele andere Einflüsse nicht erfasst werden. Allerdings sollten die permanent anfallenden Routinedaten zur Gesundheitsversorgung (KBV, InEK, Krankenkassen und Standesämtern) in miteinander vernetzten Datenbanken erfasst werden, was bisher komplett fehlt. Eines der großen Versäumnisse in der Coronapandemie war die systematische Auswertung von Routinedaten, insbesondere deren Verbindung, z.B. von Krankenkassen und dem RKI.

An erster Stelle sinnvoll ist es aber, den Pandemieverlauf an wenigen, ausreichend großen und für die Bevölkerung repräsentativen Kohorten, die bundesweit verteilt sind, prospektiv mit hochwertiger Datenerhebung zu beobachten. In diesen Kohorten müssen dann z.B. Virusnachweis und Typisierung erfolgen. Routinemäßig sollten dabei auch andere respiratorische Viren gemessen werden, da es nicht selten zu Doppelinfektionen kommt. Gerade im letzten Jahr der Pandemie kam es in Deutschland häufig zu Doppelinfektionen mit dem Influenzavirus. Da dies nicht systematisch gemessen wurde, wurden alle Erkrankungen und Todesfälle fälschlicherweise immer nur dem Coronavirus zugeordnet.

Solche Kohortenuntersuchungen müssen prospektiv sein. Das bedeutet, dass bereits jetzt eine Infrastruktur geplant und aufgebaut werden muss, damit sie schnell einsatzbereit ist. In den Kohorten können auch Schweregrad, Krankheitsverlauf, Kontaktwege, Immunitätsentwicklung und Mortalitätsursache erfasst werden. Solche Kohortenuntersuchungen sind nicht nur weniger kostenintensiv, sondern auch der einzige Weg, um belastbare Daten zu erzeugen.

Einfache Modellierungen der Infektionsverläufe sind sinnlos. Das hat die Pandemie eindrucksvoll gezeigt. Das ist allerdings naturwissenschaftlich schon lange bekannt, da bei den prognostischen Abschätzungen von Zeitreihen viele Einzelparameter angenommen werden müssen, die zumeist nur unzuverlässig geschätzt werden können, weil die Datengrundlage fehlt. Je nach Schätzung sind nahezu alle Kurvenverläufe möglich. Hinzu kommt, dass es nicht abschätzbare Rückkopplungsphänomene gibt, besonders im regionalen Bereich. Hier kommt es oft unvorhersehbar zu Gegenreaktionen (Feedback), z.B. wenn in einer Stadt oder einem Ortsteil plötzlich vermehrt Infektionen auftreten: Sofort reduziert sich die Kontakthäufigkeit. In angemessen großen Kohortenstudien hingegen können Modellierungsmodelle getestet werden, da hier ungleich mehr Randbedingungen bekannt sind.

Also: Zur Überwachung einer Pandemie sind wenige, über das Land verteilte ausreichend große Kohorten erforderlich, in der die relevanten Daten prospektiv und mit hoher überprüfbarer Qualität erfasst werden.

Impfung

Eine Impfung gegen respiratorische Viren kann Infektionen verhindern, Verläufe abmildern und Todesfälle reduzieren. Allerdings ist die Effizienz nur durch randomisierte und kontrollierte Studien, also mit einer Placeboimpfgruppe, zu bestimmen. Beobachtungsstudien zur Wirkung einer Impfung bei denen z.B. die Krankenhausaufnahme von Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften untersucht wird, sind nicht verwertbar. Sie enthalten nämlich einen enormen systematischen Fehler (Bias). Dieser ist seit den großen Studien zur Influenza-Impfung in den 2000er Jahren bekannt. Damals hat man zwei große Gruppen untersucht, die bezüglich Alter, Geschlecht, sozialem Status und anderen Faktoren in etwa vergleichbar waren. Die Teilnehmer unterschieden sich nur in dem Wunsch, sich impfen oder nicht impfen zu lassen. Die Geimpften lebten um mehrere Jahre länger. Dieser enorme Effekt war an sich kaum glaubhaft, trotzdem sprach man ihn der Impfung zu. Nachuntersuchungen zeigten dann aber überzeugend, dass die Impfwilligen über ein ausgeprägteres Gesundheitsbewusstsein verfügten, was zu einer gesünderen Lebensweise führte und dadurch die Lebensverlängerung verursacht hatte. Bestätigt wurde dieses Ergebnis durch Grippeimpfstudien mit Placebo-Kontrollgruppen und zufälliger Probandenauswahl (Randomisierung). Hier ergab sich ebenfalls ein positiver Effekt der Impfung – er fiel jedoch um Größenordnungen schwächer aus als bei den ersten Studien. Auch bei der Coronapandemie ist dieser Effekt aufgefallen, wenn man danach gesucht hatte.

Bei der Coronapandemie hat man leider erneut denselben systematischen Fehler gemacht: Nach Zulassung der Impfstoffe wurde nur auf die Erkrankungshäufigkeit und die Todesrate der Geimpften gegenüber den Ungeimpften geschaut. Es gab nach den Zulassungsstudien keine Placebokontrolle mehr. Wegen des hohen Risikos einer Verzerrung sind diese Daten zum Impfeffekt wissenschaftlich nur sehr bedingt brauchbar. Das gilt insbesondere für Mehrfachimpfungen mit Impfstoffen, die gegen das gleiche Virus gerichtet sind. Prospektive Kohortenstudien deuten bereits auf eine negative Wirkung mehrerer Impfungen hin, was inzwischen auch eine Diskussion in Deutschland ausgelöst hat.

Also: Epidemiologische Beobachtungsstudien zum Wirkungsnachweis einer Impfung sind wertlos, da die Impfwilligen einen anderen Lebensstil pflegen bzw. über ein anderes Gesundheitsbewusstsein verfügen, was alleine schon eine deutliche Reduktion der Krankenhausaufnahme sowie Mortalität bedingt. Da die überwiegende Mehrheit der Daten zur Bewertung der Impfstoffe bei der Coronapandemie aus Beobachtungsstudien stammt, kann derzeit keine gültige Bewertung der Wirksamkeit abgegeben werden.

Schlussbemerkung

Auf den ersten Blick weichen unsere Ausführungen und Empfehlungen in vielen Punkten von den in Deutschland praktizierten Maßnahmen zur Bewältigung der Coronapandemie ab. Andere Länder mit vergleichbarer Infrastruktur haben sie aber mit Erfolg umgesetzt. Dort waren deswegen die Einschränkungen des sozialen Lebens deutlich reduzierter bzw. erfolgten nur am Anfang der Pandemie. Zudem war die Morbidität und die Mortalität dort vermutlich sogar geringer als bei uns, soweit das aus den nicht immer gut vergleichbaren Daten zu entnehmen ist.

Gut durchdachte und vorurteilsfrei geplante Konzepte für die sicher kommende neue Pandemie sind deswegen bereits jetzt erforderlich. An den zumeist harmlos verlaufenden Grippepandemien kann die Funktionalität exemplarisch getestet werden. (8. Februar 2023)

Autoren

Dr. med. Thomas Voshaar (Chefarzt, Lungen- und Thoraxzentrum Moers; Vorsitzender des Verbandes Pneumologischer Kliniken e.V.)
Prof. Dr. med. Dieter Köhler (ehemaliger Direktor, Klinikum Kloster Grafschaft, Schmallenberg)
Dr. med. Patrick Stais, LL.M., MHBA (Pneumologe, Lungen- und Thoraxzentrum Moers)
Dr. med. Thomas Hausen (Hausarzt im Ruhestand)
Priv. Doz. Dr. Andreas Edmüller (Philosophie, LMU München)
Prof. Dr. med Dominic Dellweg (Direktorder Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Gastroenterologie, Pius-Hospital Oldenburg)
Prof. em. Dr. med. Dr. h.c. Peter Nawroth, em. Direktor Innere Medizin I und Klinische Chemie, Univ. Heidelberg
Prof. Dr. med. Matthias Schrappe (Internist, Universität Köln)
Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes (Mathematiker und Medizinstatistiker, Universität Freiburg)
Dr. phil. nat. Gerhard Scheuch (Physiker mit Schwerpunkt Aerosolmedizin)
Norbert Paland (Ministerialdirigent a.D.)
Dr. phil. Andreas F. Rothenberger, Fürstenfeldbruck
Oliver Keymis (Landtagsvizepräsident a.D.)

 

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