Serdar Somuncu - Schluss mit lustig

Der Kabarettist, Musiker und Regisseur Serdar Somuncu geht ab 8. September auf Abschiedstournee. Danach will er sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Mit gerade einmal 55 Jahren. 

Serdar Somuncu hat dem Cicero eines seiner letzten Interviews gegeben / Antje Berghäuser
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Wann ist es als Künstler an der Zeit, der Öffentlichkeit den Rücken zu kehren? Gehen, wenn es am schönsten ist? Gehen, wenn es am anstrengendsten ist? Oder abwarten, bis sich das Publikum irgendwann nicht mehr für einen interessiert?

Was Letzteres betrifft, müsste sich Serdar Somuncu eigentlich keine Sorgen machen. Seine Kabarettprogramme sind ausverkauft und der Podcast, den er gemeinsam mit dem Kabarettisten Florian Schroeder aufnimmt, „Schroeder und Somuncu“, gehört zu den meistgehörten des Landes. Und das sind nur zwei Standbeine des Künstlers, der darüber hinaus auch noch Musiker und Regisseur ist. Und dennoch: Einmal geht er im September noch auf Tour, mit „Seelenheil – das Vierte Reich“. Rund 30 Auftritte, danach soll Schluss sein. Somuncu will sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Mit gerade einmal 55 Jahren. 

Stoff für viele Drehbücher

Cicero trifft ihn zum Gespräch in Berlin (hier finden Sie den dazugehörigen Podcast). Es soll, sagt er, eines der letzten Interviews sein, die er noch geben will. Wer Somuncu nach seiner Biografie fragt, bekommt eine sehr lange Antwort; mit so vielen Geschichten, dass diese Stoff für gleich mehrere Drehbücher liefern würden. Im Folgenden daher nur einige Auszüge: Somuncu wird 1968 in Istanbul geboren und kommt als Gastarbeiterkind nach Deutschland. 18 Monate wohnt er in einem Kinderheim. Weil er flüchten will, zurück nach Hause, fesseln ihn katholische Nonnen an Armen und Beinen und mit einer Schlinge um den Hals ans Bett.

Später studiert er Musik mit Schwerpunkt Schlagzeug und spielt schon als Student mit bekannten Jazz-Musikern. Die Zusammenarbeit ist schwierig, weil Somuncu experimentieren will, weil er, wie er sagt, keine „mega­konservative Scheiße“ spielen möchte. Oft ist das Geld knapp; kurzzeitig ist er sogar obdachlos, schläft in der Garage eines Freundes und im Winter in einer Düsseldorfer Unterführung.

Auftritte mit kugelsicherer Weste

Er studiert Schauspiel und Regie. Eigenwillig interpretiert er Franz Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“. Dafür recherchiert er im Krefelder Affenhaus, beobachtet die Tiere, wie sie kommunizieren, onanieren und ihre Exkremente fressen. Auf der Bühne frisst Somuncu, während er Kafka spielt, einen Korb mit Lebensmitteln, würgt sie wieder hoch, frisst sie erneut. Er spielt vor wenigen Leuten, manchmal kommt „keine Sau“. Daraus, so Somuncu, habe sich aber viel entwickelt: „Wenn ich mit der Musik eine Liebesbeziehung hatte, wurde das Theater meine Ehefrau.“ 
Irgendwann zahlt sich sein Durchhaltevermögen aus. Seine Kafka-Auftritte rechnen sich und er gewinnt erste Preise, ist beruflich endlich angekommen. 

Den großen Durchbruch aber verschafft ihm ausgerechnet Adolf Hitler. Als Somuncu eine „Mein Kampf“-Lesung des großen österreichischen Kabarettisten Helmut Qualtinger hört, ist er sofort angefixt – und geht ab 1996 selbst mit einer szenischen Lesung aus „Mein Kampf“ auf Tour. Als der Spiegel ein Interview mit ihm druckt, wird er berühmt. Doch die Popularität hat ihren Preis. 

 

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Erst zieht Somuncu den Zorn der damaligen PDS auf sich, weil die glaubt, er betreibe NS-Propaganda. Später sind es Neonazis, die ihn bedrohen und seine Shows stören. Er spielt trotzdem weiter. Mit Personenschützer im Saal, manchmal mit kugelsicherer Weste. Somuncu ist keiner, der sich einschüchtern lässt. Bis heute fällt er regelmäßig durch politische Unkorrektheit auf. Zuletzt auch mit streitbaren Positionen zur Corona-Politik und zum Ukrainekrieg. Im Prinzip tickt Somuncu wie ein klassischer Linker. Aber was ist heute noch links, was rechts? „Mir mittlerweile egal“, so Somuncu, der, so sagt er zumindest, sich vorstellen könne, eine „Liste Sahra Wagenknecht“ zu wählen. Mit der Politikerin selbst jedenfalls ist er per Du. 

Warum zieht er sich zurück?

Somuncu ist ein Intellektueller, kann aber auch Gosse. Manchmal beides zugleich, wenn er kluge Argumente formuliert – aber dabei unentwegt flucht. Manipulation sei etwas, das ihn fasziniere; etwas, das er bewusst in sein Bühnenprogramm integriere. Im Gespräch schlägt er eine direkte Brücke zwischen Goebbels’ Sportpalastrede und der Bild-Zeitung und kritisiert den Drang der digitalen Öffentlichkeit, andere mit verkürzten Aussagen an den Pranger zu stellen. 

Auf der Bühne sagt er Sätze wie: „Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung.“ Aber auch, ans Publikum gerichtet: „Was ist eigentlich schlimmer? Dass ich die Witze mache? Oder dass Sie darüber lachen?“ Eine finale Antwort darauf zu finden, wird mit Somuncus baldigem Rückzug nicht leichter werden. Aber warum zieht er sich überhaupt zurück? Weil er genug gesagt habe, findet er. Weil er keine Lust mehr habe, sich rechtfertigen zu müssen. Weil er oft genug seinen Kopf hingehalten habe. Somuncu sagt: „Ich habe keinen Bock mehr.“ 

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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