Abberufene Intendantin Schlesinger fristlos entlassen - Wie der rbb den Bock zum Gärtner macht

Der Verwaltungsrat des Berliner Skandal-Senders rbb hat der Ex-Intendantin Patricia Schlesinger soeben fristlos gekündigt. Die Öffentlichkeit glaubt, dieses Gremium werde jetzt für die Interessen der öffentlich-rechtlichen Anstalt eintreten. Doch ein näherer Blick auf die handelnden Personen legt eher das Gegenteil nahe. Über einen Verwaltungsrat, der sich selbst dekonstruieren müsste – es aber deshalb kaum tun wird.

Dorette König, Verwaltungsratschefin des rbb, vor Beginn der Gremiensitzung an diesem Montag / dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Jener rbb-Verwaltungsrat, der den fast einstimmigen Abberufungsbeschluss des Rundfunkrates vom vergangenen Montag jetzt in eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund umsetzen soll, ersatzweise in einen möglichst preiswerten Auflösungsvertrag bei zugleich möglichst maßvollen Pensionsansprüchen, tagte dazu an diesem Montag zum ersten Mal. Dabei wurde er extrem misstrauisch beäugt von der Öffentlichkeit und – das gab es noch nie seit Gründung der ARD vor 72 Jahren – auch von den übrigen acht ARD-Anstalten.

Die Öffentlichkeit möchte gern glauben, es werde dem Verwaltungsrat ab sofort geradezu selbstverständlich darum gehen, dem Sender nicht neue Millionenverpflichtungen gegenüber der Ex-Intendantin Patricia Schlesinger aufzubürden. Ob dies im Verwaltungsrat und wenigstens mehrheitlich auch im Rundfunkrat genauso gesehen wird, ist aber keineswegs gewiss. Seit dem Abgang des Vorsitzenden Wolf-Dieter Wolf besteht das Gremium nur noch aus sieben Personen. Und es wird seither geleitet von einer gewissen Dorette König. 

Das bedeutet: Der Einfluss von Linken und Anhängern einer wie auch immer konkret aussehenden „Vielfalt“ mit einer ideologischen Affinität zum Berliner Senat und zu Frau Schlesinger sowie den beiden miteinander verheirateten Direktorinnen des Senders, zuständig ausgerechnet für Recht und Verwaltung, hat sich im rbb-Verwaltungsrat durch die jüngsten Rücktritte und Entwicklungen nicht etwa verringert, sondern im Gegenteil sogar signifikant erhöht. 

Verdunkelung – eine gängige Befürchtung

An den tatsächlichen Motiven der verbliebenen Verwaltungsratsmitglieder bestehen also begründete Zweifel. Allein schon die Tatsache, dass nach allem, was öffentlich bekannt ist, bis heute weder der rbb selbst noch der Verwaltungsrat noch der Rundfunkrat eine Strafanzeige gegen wen auch immer erstattet hat, und sei es lediglich „gegen unbekannt“, zeigt, wie fragwürdig jede These erscheinen muss, das verbliebene Personal in der rbb-Exekutive und in den Gremien sei geeignet, die Sachlage mit der erforderlichen Gründlichkeit, Neutralität, Rücksichtslosigkeit und Geschwindigkeit aufzuklären.

Vielmehr wartet man an der Masurenallee mit einer Mischung aus Furcht und Neugier auf die ersten Ergebnisse der Recherchen und Ermittlungen der Anwaltskanzlei Lutz | Abel sowie der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, mit denen freilich erst in Wochen oder Monaten zu rechnen ist. Wie die zentralen Akteure der Geschäftsleitung die Zeit bis dahin zu nutzen gedenken, ist Gegenstand wildester Spekulationen. Verdunkelung ist eine von ihnen.       

Vor diesem Hintergrund wird man dem rot-grün-roten Senat von Berlin schwerlich zu nahe treten mit der Behauptung, er wisse den rbb-Verwaltungsrat nach dem Rückzug des Immobilienunternehmers Wolf-Dieter Wolf auch bei der neuen Vorsitzenden in den besten Händen. Die Aufregung um die Enthüllungen konnte die Regierende Bürgermeisterin in keiner Weise nachvollziehen. Ginge es nach Franziska Giffey, erfreute sich Patricia Schlesinger auch heute noch im 13. Stock ihrer ganzen Machtfülle bei vollen Bezügen. Dies stellte sie klar nach dem vom WDR-Intendanten Tom Buhrow erzwungenen Entzug des ARD-Vorsitzes, der das Berliner Dominospiel einleitete: „Dass der rbb seinen Vorsitz innerhalb der ARD aufgegeben hat, sehe ich mit Bedauern. Es ist aber richtig, dass nun alle Kraft darauf gerichtet wird, zu einer Aufklärung der gegenüber Patricia Schlesinger erhobenen Vorwürfe beizutragen.“ Ähnliche Bekundungen der Trauer und des Unmuts über die erste der westdeutschen Interventionen erklangen aus den Reihen der Berliner Grünen, denn auch sie hatten mit einem von Patricia Schlesinger geführten rbb im Hinblick auf ihr wohlwollendes Programm, vor allem aber auch wegen ihrer vorbildlich frauenfördernden Personalpolitik stets sehr gut leben können.  

Frau Koppers hörte Nachtigallen trapsen

Generalstaatsanwältin Margarete Koppers jedoch verstand die eigentliche Botschaft dieser Stellungnahmen aus dem Roten Rathaus und zog den Fall Schlesinger/Spörl/Wolf „wegen seiner herausragenden Bedeutung“ an sich. Eine solche Düpierung der Arbeitsebene der Ermittler gibt es nicht alle Tage. Die Berliner Staatsanwälte haben sich diese aber selbst zuzuschreiben, nachdem sie erste Ermittlungen auf Grund einer Strafanzeige der Brandenburger AfD gegen Schlesinger, ihren Mann Spörl sowie Bauunternehmer Wolf schon nach wenigen Tagen „mangels hinreichenden Tatverdachts“ wieder eingestellt hatten, was ein schlechter Witz war. 

Gleichzeitig erwies sich die vom rbb am 29. Juli in seinen Programmen verbreitete Nachricht, es werde gegen Schlesinger „keine strafrechtlichen Ermittlungen geben“, keine zwei Wochen später als grobe Falschmeldung. Man kann sich leicht die irritierte Rückfrage der Regierenden Bürgermeisterin an die von Roten und Grünen stets bestens geförderte Koppers lebhaft vorstellen, ob das – die spektakuläre Wiederaufnahme der Ermittlungen bei gleichzeitiger Deklarierung als „Chefsache der Justiz“ – denn wirklich hat sein müssen?

Aber noch ist ja aus Sicht von Rot-Grün-Rot nicht aller Tage Abend. Noch steht das in jahrzehntelanger Personalarbeit erbaute Konstrukt „Verwaltungsrat“ stabil, vielleicht sogar effizienter als je zuvor. Wie zuvor Wolf ist auch Dorette König Immobilien-Managerin mit besten Beziehungen in die Bau- und Wohnungsbranche der Stadt. Frau König war nach öffentlich zugänglichen Informationen unwidersprochen seit den 1980er Jahren bis zur Wende überzeugtes Mitglied der SED. Später unternahm sie verschiedene Versuche, bei CDU oder SPD unterzukommen, blieb aber nach eigenen Angaben parteilos. 

Ob sie jemals von irgendwem seit 1989 nach ihrer Austrittserklärung gefragt wurde, ist nicht überliefert. Dem rbb-Verwaltungsrat gehört sie seit 2011 an, seit 2019 als stellvertretende Vorsitzende. Sämtliche heute in der Kritik stehenden Entscheidungen und Entwicklungen dieses laut Staatsvertrag lediglich achtköpfigen Gremiums hat sie in den vergangenen elf Jahren an maßgeblicher Stelle mitgestaltet und mit zu verantworten, auch und besonders jene nach Schlesingers Ankunft vom NDR aus Hamburg. 

Eine aus dem Osten mischt seit elf Jahren mit

Die Linke betrachtet sie anscheinend nach wie vor als eine der ihren, weshalb gerade dieser Partei Kritik an den Machenschaften in diesem Sender, wenn überhaupt, lediglich in homöopathischen Dosen über die Lippen kommt. „Jetzt muss aber endlich mal eine oder einer aus dem Osten ran“, lautet die maximale Äußerung der Empörung, zu der sich die Sozialisten durchringen können, wissend, dass „eine aus dem Osten“ seit 2011 an entscheidender Stelle mitwirkt – mit den jetzt nach und nach bekanntwerdenden Folgen. 

Noch mehr gilt diese treue Verbundenheit im rbb-Verwaltungsrat für Bärbel Grygier. Sie bezeichnet sich zwar ebenfalls als parteilos, war und ist aber für die PDS und später für Die Linke ziemlich erfolgreich aktiv, so als Bezirksstadträtin und Bezirksbürgermeisterin in Hohenschönhausen und Friedrichshain-Kreuzberg sowie 2002 als Nachrückerin für Gregor Gysi im Bundestag. 

In der Immobilienbranche ist Frau Grygier als stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates des landeseigenen Wohnungsunternehmens Degewo (75.000 Wohnungen, 1300 Mitarbeiter) mindestens ebenso gut vernetzt wie König, dabei als Strippenzieherin aber unauffälliger und geschickter als der in Ungnade gefallene Wolf-Dieter Wolf. Und siehe da: Bei der Degewo sitzt Bärbel Grygier wiederum an der Seite von Dorette König, denn Frau König ist dort Vorsitzende des Aufsichtsrats. 

Weber und die Charismen des Einzelnen

Schauen wir weiter im rbb-Verwaltungsrat auf Markus Weber, entsandt von der Katholischen Kirche und im Erzbistum Berlin „Leiter Prozesse und Projekte“. Webers Tätigkeitsfeld beschreibt er selbst mit dem Slogan „Wo Glauben Raum gewinnt“. Und „Raum“ ist hier durchaus auch immobilientechnisch gemeint. Weber kümmert sich hauptberuflich um „pastorale Neugestaltung“, aufgehübscht mit seiner Leitfrage: „Wie schaffen wir es, Menschen mit Jesus Christus in Berührung zu bringen?“

Räumt man einen ganzen Berg an Bombast und dichtnebligem Wortweihrauch zur Seite, so trifft man auf einen eher traurigen Kern und Anlass seiner Arbeit: Markus Weber muss als Leiter einer Stabsstelle einst lebendige und in ihrer jeweiligen Nachbarschaft verwurzelte Pfarreien auflösen, Geistliche abziehen, darf in den Ruhestand gegangene nicht ersetzen, hat verbliebene umzusiedeln oder mobil zu machen, muss Bezirke zusammenlegen und neue Gebilde zu „pastoralen Räumen“ und „Netzwerken“ veredeln, also wenigstens semantisch. 

Und anstatt diesen Prozess ehrlich als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich ein bitterer Niedergang, ein Abschied von der Nähe und der katholischen Seelsorge im Kiez, kurzum: als eine existentielle Krise der Katholischen Kirche, bläst Weber sein Wirken auf zu einer neuen Dimension von Spiritualität, denn „die zukünftige Pfarrei lebt als Pastoraler Raum“. Alles wird dank gewisser, von ihm aber nur angedeuteter Sachzwänge moderner, zeitgemäßer: „Die Vielfalt von Gemeinden und Orten kirchlichen Lebens sorgt für ein anderes, ein neues Miteinander. Die bisher gekannten Rollenbilder des pastoralen Personals werden sich stark verändern und die Charismen des Einzelnen werden eine neue Bedeutung erhalten.“

In Wirklichkeit stehen immer mehr kirchliche Immobilien dank der neuen Wertschätzung der Charismen des Einzelnen auch in Berlin leer, sind überflüssig und müssen, nachdem sie nur noch zur Last fallen, irgendwie einer neuen Nutzung, also auch neuen Eigentümern zugeführt werden. Vielleicht passt Weber auch deshalb so gut zu den Damen vom Immobilienfach und nicht zuletzt auch zur rbb-Geschäftsleitung, deren Worthülsen von Change Prozessen und Vielfalt ja ebenfalls noch den größten Umstrukturierungs-Unsinn als tolle Sache verkaufen wollen. Weber hält da locker mit: „Es wird notwendig sein, diese Dynamik – Pfarrei, Gemeinde, Ort kirchlichen Lebens – zu leben und Veränderung als etwas Positives und Erneuerndes wahrzunehmen. Im Pastoralausschuss bildet sich die Vielfalt eines Pastoralen Raums ab.“ 

Martin Rennert hält jede Aufregung für verfehlt

Schließlich noch ein Blick auf rbb-Verwaltungsrat Martin Rennert. Er tat von Anfang an erst gar nicht so, als halte er die Vorwürfe gegen Schlesinger und Wolf für begründet, als könne er mit der Kritik an einer 16-prozentigen Gehaltserhöhung für die Intendantin etwas anfangen. Mag ja sein, so ließ er live in der Abendschau verlauten, dass die „Gehaltsstruktur der ARD insgesamt falsch“ sei, jedenfalls nur schwer der Öffentlichkeit zu vermitteln, aber hätte man, so der 68-Jährige, der Intendantin ihr Gehalt jedes Jahr korrekt um lediglich zwei Prozent erhöht, würde sich kein Mensch aufregen und sie verdiente heute sogar noch mehr. 

Mag sein, dass hier ein Zusammenhang konstruiert wird, den es gar nicht gibt. Auffällig ist es trotzdem: In Rennerts 14-jähriger Amtszeit als Präsident der Berliner Universität der Künste konnte sich eine Gruppe von Studenten zu Wortführern jener militanten Gruppe aufschwingen, die beim jüngsten UdK-„Rundgang“ am 23. und 24. Juli, einer öffentlichen studentischen Leistungsschau, ausrastete, weil es die Leitung gewagt hatte, für die (nichtstudentischen) Gäste an jenen zwei Abenden eine der Toilettenanlagen umzuwidmen von „All Gender“ zu konventionellen, nach Damen und Herren getrennt. 

Die Aktivisten sahen in der zeitweiligen Alt-Beschilderung einen fiesen Angriff auf hart erkämpfte „queere“ Errungenschaften, geradezu ein rechtes Roll back, und reagierten mit wiederholtem Vandalismus und demonstrativer Mischnutzung. Als daraufhin das Sicherheitspersonal einschritt und Männern das Betreten der Damentoiletten untersagte sowie umgekehrt und sie – so eine Darstellung – herauszuholen versuchte, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, Tumulten und tagelangem Aufruhr.

Der Spiegel beschrieb die Empörung voller Verständnis, weil ja „Toiletten wieder nach Männern und Frauen sortiert wurden“. Der Asta der UdK verlangte „Folgegespräche mit betroffenen Student*innen mit einer professionellen Vermittlung/Mediation, um Wege zu finden, Betroffene zu unterstützen, inkl. ggf. Erstattung entstandener Kosten durch z.B. Behandlung von Verletzungen und psychologische Beratung“, denn „unsere Student*innenschaft ist international und divers. Sie weist daher eine hohe Vulnerabilität auf, die in ganz besonderem Maße geschützt werden muss.“

Lauter verschlungene Verschwörungen

Eine hohe Vulnerabilität, also überdurchschnittliche Verletzlichkeit erkannte der renommierte Musiker und Musikproduzent Rennert wenige Tage später auch bei Schlesinger, Wolf und Spörl. „Alles“ werde so lange wiederholt, vermengt und vermischt, „bis sich ein für viele undurchschaubares Knäuel an Verdächtigungen und Unterstellungen bildet, Grundlage einer ,Affäre‘ voller verschlungener Verschwörungen“, beklagte er in einem Beitrag für den Tagesspiegel. Absicht und Herkunft der Vorwürfe seien „großteils nebulös“. 

Verwaltungsrat Martin Rennert genießt seinen Ruf als guter und verlässlicher Freund von Wolf-Dieter Wolf im Sender also vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Von ihm, Markus Weber, Bärbel Grygier und an der Spitze Dorette König heute zu erwarten, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen die nach 2016 bewusst herbeigeführten Zustände analysieren und möglichst weitgehend unwirksam machen, um dem Rundfunk Berlin-Brandenburg weiteren Ansehensschaden, weitere Kosten im sechs- und siebenstelligen Bereich zu ersparen, erfordert ein Ausmaß an Phantasie, das inzwischen nicht einmal geradezu liebenswürdig naive Beobachter vorzuweisen haben. Aber Martin Rennert sprach auch für andere, als er verkündete: „Ich sehe eine Aufgeregtheit, die möglicherweise nicht ganz angemessen ist.“

Dieser Verwaltungsrat müsste sich mit einer die Erwartung einer aufgebrachten Belegschaft und Öffentlichkeit erfüllenden und zugleich soliden, bis in die letzte Instanz rechtssicheren Lösung also selbst dementieren und seine Arbeit mindestens der vergangenen sechs Jahre komplett als dramatischen Irrtum erkennen und bezeichnen. Damit würde er Schadenersatzansprüche auch gegen sich selbst begründen. Aus diesen Gründen ist die hier unverändert vorliegende personelle Konstellation bis zum Beweis des Gegenteil als ungeeignet anzusehen. Sie wird nicht funktionieren, weil sie nicht funktionieren kann.

Dass der Verwaltungsrat die abberufene rbb-Intendantin Schlesinger soeben fristlos entlassen hat und sie auch keine Abfindung oder Ruhegeldzahlungen erhalten soll, ändert an dieser Diagnose erst einmal gar nichts. Die Ex-Intendantin wird sich zu wehren wissen. Mit ihrer Information, die Entscheidung sei „mehrheitlich“ gefallen, deutet Dorette König die gravierenden Differenzen auch in ihrem Gremium ja nur zu deutlich an, vielleicht sogar ein Zerwürfnis nun auch dort.

Darüber hinaus kann sich der amtierende rbb-Verwaltungsrat in Berlin unverändert auf einen woken links-grünen Mainstream in der Hauptstadt stützen, der jede auch nur halbwegs gründliche Revision der beim Sender eingerissenen Zustände als reaktionäre Kehrtwende empfände, dieses aber im Moment noch nicht so laut sagen kann, weil die öffentliche Meinung dagegen steht und sich alle Vorwürfe des Axel-Springer-Portals Business Insider als zumindest derzeit unwiderlegbar erweisen, zumal auch SPD, Linke und Grüne nicht wissen können, was da noch alles kommt. 

Der Kampf um Aufklärung und Reparatur untragbarer Zustände, auch in personeller Hinsicht, ist also im Kern auch ein Kulturkampf, in dem die Linken derzeit schlechte Karten zu haben scheinen, der aber noch nicht entschieden ist. Die Kreuzberger Grüne Antje Kapek hat bereits klargestellt, dass sie gar nicht daran denkt, persönliche Konsequenzen aus ihrer Aufsichtsarbeit zu ziehen und aus dem rbb-Rundfunkrat auszuscheiden, und damit steht sie nicht alleine. Vielmehr werde sie sich „ihrer Verantwortung stellen“ – und bleiben. Alleine schon, um zu gewährleisten, dass der rbb-Rundfunkrat auch künftig ein wachsames Auge haben wird „auf den voranschreitenden Klimawandel und die besondere Form der Berichterstattung“, wie sie vor einem Jahr stolz über ihre Arbeit dort verkündete.  

Bloß kein kritischer Journalismus

Tatsache ist: Nichts könnte die Berliner Politik mit roten, grünen und dunkelroten Bürgermeisterinnen und Senatoren an der Spitze weniger gebrauchen als einen rbb, der als Folge der anstehenden Personalentscheidungen plötzlich anfängt, kritischen, distanzierten Journalismus zu betreiben – und zwar nicht lediglich schlaglichtartig, sondern als Daueraufgabe. Dass Berlin auf immer mehr Feldern so jämmerlich dasteht, mit immer neuen Hiobsbotschaften aus den Schulen, aus den Berliner Verkehrsbetrieben, aus den Bezirksverwaltungen, dass Berlin so dreckig und so gewalttätig ist wie nie zuvor, regelrecht gefährlich für Schwule, Lesben und alle, die auf der Straße und in der U-Bahn als schwächer als man selbst angesehen werden, ist – es lässt sich leider nicht leugnen – auch die Schuld des rbb. Er hat das zugelassen, er hat es sogar gefördert, er fördert es nach wie vor, und sei es durch wohlwollendes Wegsehen. 

Ein prototypischer Konflikt

Der Hauptstadtsender lässt den führenden Akteuren ideologisch geprägte Entwicklungen und Entscheidungen in Serie durchgehen, die ubiquitäre Verwahrlosung und Chaotisierung des Berliner Alltags zwangsläufig zur Folge haben müssen, weshalb immer mehr Menschen davon ausgehen, dass das nicht aus Versehen geschieht, sondern gewollt ist. Jede durchgreifende Zäsur hier widerspräche aber elementar den Motiven und Zielen unter anderem dieses Senats. 

Umso mehr steht der Konflikt um die Zukunft des rbb prototypisch für die Zukunft der ganzen Stadt und darüber hinaus, denn auf Bundesebene sieht es ja keineswegs anders aus. Das hat die ARD gemerkt, deshalb versucht sie hektisch, Brandmauern einzuziehen, um ihren eigenen antijournalistischen, kontrafaktischen und antiwissenschaftlichen rot-grünen Aktivismus zu retten. Deshalb tut sie an einem Samstagmittag Dinge, die vor vier Wochen noch undenkbar gewesen wären. Es wird ihr nur nichts nützen, weil ihre unkritische, von gerade jetzt wieder in der Energiekrise atemberaubender Distanzlosigkeit geprägte Rolle gegenüber den Regierenden ebenfalls einer Totalrevision bedarf. Ohne diese wird sie in eine ganze ähnliche Krise geraten mit ganz ähnlichem Legitimitätsverlust wie in diesen Tagen ihr (Noch)-Mitglied rbb.

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