RBB-Chefin Patricia Schlesinger  - Ein Rücktritt und seine Folgen für den Rundfunk Berlin-Brandenburg

Nach ihrem Rücktritt als ARD-Vorsitzende aufgrund von Korruptionsvorwürfen wird der Druck auf Patricia Schlesinger immer größer, auch ihren Posten als Intendantin des RBB zu räumen. Lange wird sie sich wohl nicht mehr halten können. Der Gegenwind kommt auch aus den eigenen Reihen.

Tatort RBB: Noch-Intendantin Patricia Schlesinger
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Spätestens als den übrigen ARD-Intendanten Anfang der Woche ein Fragenkatalog des ZDF-Magazins „Frontal21“ ins Haus flatterte, zu beantworten bitte bis Mittwochabend, muss ihnen klar geworden sein, dass ihre Kollegin in der Berliner Masurenallee bei aller Abneigung gegen Druck von außen nicht länger zu halten sein wird. Die Botschaft vom Lerchenberg war unmissverständlich: Macht bei der ARD, was ihr wollt, aber wir lassen uns nicht in Mithaftung nehmen. Deutlicher hätten sich die Mainzer nicht von den Verfehlungen in den Reihen der Konkurrenz distanzieren können; zutreffend identifizierten sie die Lage von Patricia Schlesinger spätestens am Montag als aussichtslos.  

Wenn ausgerechnet sie das als letzte begreifen sollte, dürfe das nicht auch noch zum Problem des Zweiten Deutschen Fernsehens werden. Da galt es, unverzüglich eine Brandmauer einzuziehen. Die Antwort kam kurz vor dem Wetter in der Hauptausgabe der Tagesschau, denn diesmal war es dann doch kein lediglich regionales Ereignis: Der Vorsitz des Senderverbundes endet abrupt und vorzeitig; Vorgänger Tom Buhrow muss mit seinem WDR noch einmal bis Jahresende ran. 

Aus kam mit Massagesitzen  

Eine trotz miserabler Arbeitsergebnisse gewährte Gehaltserhöhung um 16 Prozent auf 303.000 Euro im Jahr hätte die 61-Jährige vielleicht noch aussitzen können, aber Massagesitze in einem 435-PS-Audi mit 70 Prozent Presserabatt waren einer Öffentlichkeit, die ARD und ZDF höchstpersönlich in jahrelanger Erziehungsarbeit zu Moralaposteln herangezogen und fortgebildet haben, nicht mehr zu vermitteln.  

Da half nicht einmal mehr der säuerliche Verweis von RBB-Sprecher Justus Demmer auf die Quelle aus dem stets feindlich gesonnenen Axel-Springer-Verlag – zutreffend ist zutreffend, und bisher hat offensichtlich alles gestimmt, was der Business Insider über die Machenschaften der Chefetage in Charlottenburg ausgegraben und nach und nach publiziert hat. Von rechtlichen Schritten des von der Intendantin beauftragten Medienanwalts Christian Schertz ist jedenfalls unverändert nichts bekannt. Die Beauftragung und das dafür erforderliche Honorar hätte sich der Sender sparen können; die Frage, wer für diese Kosten am Ende aufkommen wird, steht ebenfalls auf der Liste der klärungsbedürftigen Punkte.    

Verwüstung des Vorabendprogramms 

Beobachter rätseln unterdessen, welch toxisches Klima die gelernte und renommierte TV-Journalistin zu einer ganzen Serie von Fehleinschätzungen verleitet haben könnte, was den Wert alleine ihrer Anwesenheit im Intendantenzimmer und die Qualität ihrer Programmentscheidungen angeht. Hand in Hand mit dem von ihr ausgesuchten Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus und gegen den erbitterten Protest großer Teile der kreativen Belegschaft setzte sie zum Januar 2022 einen Umbau des Vorabendprogramms durch, der – wie sich zur Halbjahresbilanz bereits zeigte – nicht etwa die miserablen Einschaltquoten erhöhte, sondern die verbliebenen Zuschauer im Gegenteil erst recht massenhaft in die Flucht trieb, was die Position des Senders als am wenigsten nachgefragtes Programm der Dritten sogar noch zementierte.  

Jetzt im Sommer wird das Publikum bis 19:27 Uhr sogar mit Wiederholungen des Boulevardmagazins „Brisant“ aus dem Ersten abgespeist, das sich längst jede Oma aus der Mediathek holt und reinzieht, wenn sie es unbedingt zeitversetzt sehen will. Anschließend bietet der rbb in unendlicher Großzügigkeit noch die Wahl zwischen drei Uralt-Schmonzetten an („Guckt doch, was ihr wollt“), deren Ausstrahlung nur einen einzigen Vorteil hat: Sie ist als abgehangene Archivware lizenzfrei und damit kostenlos.  

Gestern Mittag – es gab, so die Erinnerung nicht trügt, eine Wiederholung des RBB-Spezial zur eintägigen Hitzewelle mit wertvollen Appellen, viel zu trinken – war die Einschaltquote mit 0,8 Prozent sogar kaum noch messbar; eine Zuschauerzahl konnte nicht ermittelt werden.  

Strahlenpass fehlte – keine Bilder 

Wo auch immer die fast 500 Millionen Euro landen, die dem Sender jährlich zur Verfügung stehen – das Programm kann es nicht sein. Das wurde systematisch kaputtgespart. Und die Anstalt schießt sich auch gerne mittels ihrer Bürokratie ins Knie. Legendär die Erklärung nach dem islamistischen Massenmord vom 19. Dezember 2016 auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin, warum es stundenlang vom Ort des Geschehens keine brauchbare Live-Berichterstattung gegeben habe: Die modernen mobilen Rucksack-Sender hätten zwar theoretisch bereits zur Verfügung gestanden, doch habe die offizielle Freigabe der sendereigenen Instanzen im Hinblick auf eventuelle Strahlenbelastungen der Reporter noch gefehlt. Kein Strahlenpass – kein Livebericht.     

 

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Unterdessen sinkt die Wahrscheinlichkeit stündlich, dass Frau Schlesinger nach dem ARD-Verzicht wenigstens ihr Amt als Senderchefin retten kann. Nachdem Pfarrerin a.D. Friederike von Kirchbach die letzten zwei Wochen mit unbeholfenen Versuchen der Distanzierung von ihrer eigenen Erfindung Schlesinger beschäftigt war, weshalb auch sie keine Zeit hatte, einer dringenden Einladung des Brandenburger Landtages zu folgen, ruft sie ihren Rundfunkrat nun eilig für den Montagnachmittag zu einer weiteren Sondersitzung aus dem Urlaub.  

Die Sitzung sei nichtöffentlich, weil es um „Personalfragen“ gehen werde. Das verheißt für die amtierende Intendantin endgültig nichts Gutes. Wie die Vorsitzende erklärte, „müssen wir uns darüber verständigen, ob das Vertrauen des Rats in Schlesinger als RBB-Chefin weiterhin gegeben ist“. Dies hält sie nach dem Rückzug vom ARD-Vorsitz offensichtlich für fraglich. Ob das Aufsehergremium formell über einen Verbleib im Amt abstimmen werde und – falls ja – ob dies offen oder geheim geschehen solle, wurde nicht mitgeteilt.  

Ruhenlassen nicht länger Ausweg 

Sollte Patricia Schlesinger auch nur eine Sekunde lang geglaubt haben, sie werde ihren Rücktritt als ARD-Vorsitzende als Befreiungsschlag verkaufen können, der ihr im eigenen Haus neue Optionen der Verteidigung eröffne, dann hat sich das mit der Einberufung dieser Sitzung erledigt. Nicht einmal der Ausweg, das Amt bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen zu lassen, um eine fristlose Kündigung wenigstens vorläufig zu vermeiden, ist nach Lage der Dinge jetzt noch gegeben. Das hätte ihr vor zwei Wochen einfallen müssen, um damit eine Chance zu haben.  

Patricia Schlesinger hat vielmehr vor und nach den Veröffentlichungen des Business Insider alles verkehrt gemacht, was man verkehrt machen kann. Und die Beauftragung einer externen Anwaltskanzlei verschaffte ihr nicht etwa Ruhe und einen Zeitgewinn, sondern erhöhte im Gegenteil sogar den Handlungsdruck, weil niemand in den Intendanzen von Köln, Leipzig, München, Hamburg oder Frankfurt auch nur minimal Lust und Geduld hatte, das Gutachten der Juristen abzuwarten. Dazu geht es in den Verhandlungen mit den Ländern um einen Medienstaatsvertrag um viel zu viel Geld. Anscheinend hat Frau Schlesinger auch die öffentliche Wirkung der Affäre und ihre Rückwirkungen auf ARD und ZDF insgesamt komplett falsch eingeschätzt.           

Wenn die RBB-Intendantin sich selbst und ihrem Haus noch einen Gefallen tun will, dann lässt sie es nicht auf eine Abstimmung am Montag im Rundfunkrat ankommen, sondern bietet ihrer Ex-Freundin von Kirchbach vorher den Rücktritt an. Im Sender heißt es bereits, hoffentlich werde Schlesinger ihren Programmdirektor gleich mitnehmen.  

Von Schulte-Kellinghaus sind Selbstzweifel allerdings noch viel weniger überliefert als von seiner Chefin. Er habe alles neu gemacht seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren, und das funktioniere durchgehend super bis geradezu brillant, ließ er die Presseabteilung anlässlich seiner einstimmigen Vertragsverlängerung durch den Rundfunkrat am 17. Februar verlautbaren.  

Teure Vertragsverlängerung 

Patricia Schlesinger wollte das nur zu gerne bestätigen: „Jan Schulte-Kellinghaus hat in den zurückliegenden Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Der RBB hat sichtbar und hörbar an Ausstrahlung gewonnen.“ Deshalb läuft sein Vertrag noch bis 15. März 2027. Finanzielle Sorgen muss er sich also nicht machen – egal, ob seine Dienste demnächst noch an der Masurenallee und in Potsdam-Babelsberg gefragt sein werden oder nicht.  

Wahrscheinlich wird der RBB damit demnächst insgesamt drei bis vier jeweils deutlich sechsstellige Gehälter für lediglich zwei Positionen zahlen müssen – für Intendant, Ex-Intendantin, Programmdirektor und unter Umständen, falls der Wunsch aus der Belegschaft in Erfüllung geht, Ex-Programmdirektor. Die freien Mitarbeiter in Berlin und Brandenburg dürfen sich also auch unter demnächst neuer Führung auf allerlei Appelle einstellen, sich nicht so anzustellen, wenn weitere Programm- und Honorarkürzungen anstehen, weil das Geld leider, leider bei einem kleinen ARD-Sender nun einmal stets knapp sei.  

Dass sich Jan Schulte-Kellinghaus prädestiniert sieht, nun selbst zum Intendanten aufzurücken, und schon einmal im Rundfunkrat in eigener Sache Bereitschaft signalisiert habe, ist unterdessen nur ein weiteres Gerücht. Jede Entscheidung in dieser Richtung hätte zwar den endgültigen Aufstand des kreativen Teils der Belegschaft zur Folge, und zwar aus inhaltlichen und journalistischen (!) Gründen – nur heißt das noch lange nicht, dass sie nicht genau so getroffen werden könnte. Wir sind ja schließlich in Berlin.     

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