Man sieht nur, was man sucht - Vom Ende west-östlicher Harmonie

Noch dürfen deutsche Autobauer ihre Edelkarossen in chinesischen Montagehallen bauen lassen. Doch bald wird die Volksrepublik auch das letzte technische Patent europäischer Wertarbeit geknackt haben und Luxusgüter made in China zur patriotischen Pflicht erheben. 

Die Bildnisse von Kaiser Kangxi (1654–1722) beim Studium und im Alter auf dem Drachenthron hängen im Palastmuseum von Peking / Palastmuseum Peking
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Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Ein Kaiser, Sohn des Himmels, lächelt nicht, denn als unbewegter Beweger thront er in der Mitte eines Reiches, das den Mittelpunkt der Erde verkörpert. Da spielt es keine Rolle, ob sein Sitz auf dem Drachenthron im Palast der Himmlischen Klarheit steht oder in Rangmitte des Plenarsaals in der Großen Halle des Volkes. Xi Jinping thront gegenwärtig dort. Und geflissentlich zur Wiederwahl des kommunistischen Kaisers brach Bundeskanzler Scholz mit einem Tross von deutschen Wirtschaftsbossen von BASF zu Bayer, von Adidas bis Volkswagen auf zum Kotau. 

In der Tat, China ist das einzige Großreich dieser Erde, das nie untergegangen ist. Die Revolutionäre von 1949 riefen die Volksrepublik von der Palastarkade über dem Platz des Himmlischen Friedens aus. Mao Zedong sah sich als modernen Wiedergänger von Qin Shihuangdi, dem ersten Kaiser von China. Generationsgemäß ist Qin ein Enkel von Alexander dem Großen. Wie viele Reiche, Fürstentümer und legendäre Städte sind in diesem Zeitraum auf europäischem Boden erblüht und wieder verwelkt?! In den Wäldern nördlich der Alpen hausten damals Germanen. Inzwischen sind wir zivilisiert und wissen, was sich gehört: ein Kotau vor dem neuen Sohn des Himmels. 

Handel brachte auch früher keinen Wandel

Man kann es schon gar nicht mehr hören: Man habe gelernt, dass es vorbei sei mit „Wandel durch Handel“. Und doch bleibt’s beim deutschen „Weiter so“: „Handel trotz Wandel“, oder noch griffiger: Germany First, nach jener alten Leier, mit der sich Deutschland seit der Kaiserproklamation in Resteuropa weder beliebt noch als europäische Führungsmacht glaubwürdig gemacht hatte. 

Wandel durch Handel war schon im 17. Jahrhundert einmal gescheitert, belegt durch die zwei Kaiserporträts in dieser Kolumne. Sie dokumentieren ein Vorher und ein Nachher in Sachen Kulturtransfer: Das erste Porträt entstand 1699, als Kaiser Kangxi Gelehrte des Jesuitenordens an seinen Hof berief.
 

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Geradezu neusachlich wirkt die Haltung des Mittvierzigers, wie er so schlicht gekleidet im Schneidersitz auf der Reismatte sitzt beim Studieren eines nach europäischer Manier gebundenen Buches. Hinter ihm türmt sich nicht die üppig dekorierte Lehne des Drachenthrons auf, sondern Regale mit säuberlich gestapelten Schriftsätzen, allesamt akribisch im Windkanal der Zentralperspektive getrimmt.

Zu jener in China bisher ungebräuchlichen Kompositionstechnik hat sich der anonyme chinesische Hofmaler von Matteo Ricci, dem süditalienischen Kupferstecher im Dienst des Kaisers, einführen lassen. Also inszeniert sich Kangxi als moderner Gelehrter. Er schätzte die wissenschaftlichen Kenntnisse der Missionare, unter denen sich Astronomen befanden, die den chinesischen Mondkalender über Himmelsbeobachtungen verbesserten. Die dienstfertigen Patres lieferten Astrolabien und Fernrohre.

Know-How-Klau

Besonders angetan war Kangxi vom Schweizer Uhrmacher, der den Hof mit den neuesten Geräten der Zeitmessung versorgte. Ein Ende west-östlicher Harmonie bereitete der Papst, als ihm zu Ohren kam, die Jesuiten läsen die Messe in Mandarin und nicht in Latein. Überdies vermischten die Missionare im Geist der Inkulturation die christliche Lehre mit konfuzianischen Bräuchen der Ahnenverehrung. Auf das Verdammungsurteil aus Rom folgte vonseiten Pekings das Verbot der Jesuitenmission in China.

Das späte Porträt von Kangxi gibt Zeugnis davon, dass der Import von Technologie vom kulturellen Wandel abgekoppelt wurde. Das Kaisertum inszenierte sich wieder in alter Ming-Manier auf dem Drachenthron. Nur die Konstruktion der Zentralperspektive, deren Fluchtlinien gar die Ornamente des Teppichs erfassen, haben sich die chinesischen Hofmaler gemerkt. Auch auf Schweizer Chronometer und keplersche Fernrohre mochte Peking nicht mehr verzichten. Mit den fremdartigen Lehren der christlichen Langnasen hingegen war Schluss. Unter Kangxis Nachfolger setzten in China die Christenverfolgungen ein. 

Neu nur am antiken Reich der Mitte heute ist dessen ausgreifendes Streben zur Weltmacht. Noch dürfen deutsche Autobauer ihre Edelkarossen in chinesischen Montagehallen bauen lassen. Doch bald wird die Volksrepublik auch das letzte technische Patent europäischer Wertarbeit geknackt haben und Luxusgüter made in China zur patriotischen Pflicht erheben. 

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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