Machtwechsel beim Boulevardblatt - Bild. Macht. Schlagzeilen.

Deutschlands größte Tageszeitung kann Schlagzeilen, wird mittlerweile aber regelmäßig selbst zu einer. Nun hat Springer-Chef Döpfner die Redaktion des Boulevardblattes mit einem Machtwechsel an der Spitze überrumpelt. Dabei ist die Stimmung schon schlecht genug.

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, während eines Interviews mit der Deutschen Presse-Agentur / dpa
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Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Mathias Döpfner ist im Januar 60 Jahre alt geworden. Und wie sich das für einen runden Geburtstag gehört, wurde dieser auch gebührend gefeiert: im „Journalistenclub“ seines Verlags. Weit oben im Springer-Hochhaus, von wo aus man einen grandiosen Blick hat über Berlin und das Ambiente wirkt, als wäre man in die Vergangenheit gereist: Holzvertäfelungen, schwere Ledersofas und -sessel. Es darf sogar noch geraucht werden, während livrierte Kellner Drinks servieren.

Im 19. Stockwerk scheint die Welt noch in Ordnung. Wer dort trinkt und plaudert, der spürt sie noch, die alte Medienwelt aus Druckertinte und Papier. Es braucht nicht einmal viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie Axel Cäser Springer und Helmut Schmidt in zwei der braunen Lederfauteuils sitzen und bei einem Glas Wein über die RAF oder die DDR sprechen. An diesem Ort also feierte Döpfner jüngst seinen runden Geburtstag. Geladen war auch eine alte Bekannte: Marion Horn. 

Von der Personalie überrumpelt

Von Oktober 2013 bis November 2019 war Horn Chefredakteurin der Bild am Sonntag und machte diese zur viel-, bisweilen zur meistzitierten Wochenzeitung der Republik. Als im September 2019 dann bekannt wurde, dass die Redaktionen von Bild und Bild am Sonntag zusammengelegt werden, kündigte Horn kurz darauf an, den Springer-Konzern zu verlassen. In einer Mitteilung begründete sie ihren Abschied damals mit den Worten: „Eine eigenständige Redaktion ist eine wichtige Basis für meine Art des Journalismus. Ich gehe deshalb auf eigenen Wunsch.“ Nach ihrer Zeit bei der Bild am Sonntag war sie dann unter anderem als Strategieberaterin bei der PR-Agentur Kekst CNC tätig und wollte eigenen Aussagen zufolge auch Drehbücher schreiben. 

Als Medienjournalist hätte man bei Döpfners Geburtstagsfeier jedenfalls gern gelauscht, worüber Döpfner und Horn im „Journalistenclub“ denn so plauderten. Nur wenige Wochen später ist nämlich klar: Horn war nicht nur geladener Gast bei Döpfners Geburtstag. Sie ist auch die künftige Vorsitzende der Bild-Chefredaktion. Im Gegenzug muss die bisherige Chefriege ihre Hüte nehmen; von der Personalrochade betroffen sind gleich drei verdiente Springer-Journalisten. Bild-Chef Johannes Boie: muss gehen. Bams-Chefin Alexandra Würzbach: muss gehen. Bild-Chefredaktionsmitglied Claus Strunz: muss gehen. Wohin, das ist derzeit noch offen. Entweder ganz weg, oder man findet eine andere, eine hausinterne Lösung, wie es heißt.

Auf den Kopf gestellt

Dem Vernehmen nach wurden von der Entscheidung nicht nur die Bild-Redakteure überrumpelt, sondern auch die Chefs selbst. Am Donnerstag wurde die Personalie bekannt. An diesem Freitagvormittag präsentierte sich Horn bereits der versammelten Bild-Belegschaft. Sie freue sich, wieder da zu sein, sagte Horn laut Teilnehmern. „Ich habe hier schon lange keinen Spaß mehr“, konterte dagegen ein bekannter Bild-Journalist. „Es wird Meinungen von euch geben, die ich total scheiße finde. Aber ihr habt alle die Chance, mich zu überzeugen“, sagte wiederum Horn. Eine ihrer ersten Ansagen an die Redaktion: Man solle die Klimakleber künftig nicht mehr als durchgeknallte Irre darstellen. Die Spiele haben begonnen.

Warum die ganze Nummer nun so holterdiepolter über die Bild-Redaktion hereingebrochen ist, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Nach Cicero-Informationen soll es zwischen Strunz und Boie regelmäßig gekracht haben, von „regelrechtem Hass“ ist die Rede. Eine andere Quelle sagt, der Dauer-Zoff habe sich über die Zeit etwas gelegt und Würzbach sei die eigentliche „Gifthexe“ gewesen, die regelmäßig versucht habe, gegen Boie zu intrigieren. Könnte der Streit in der Bild-Chefredaktion zu einer Kurzschlussreaktion Döpfners geführt haben?

Der Anti-Reichelt geht von Bord

Boie jedenfalls war der Nachfolger von Julian Reichelt bei Bild. Verglichen mit seinem Vorgänger ein eher zurückhaltender Typ, mehr Diplomat als Oberstleutnant. Aber seine Berufung an die Spitze von Deutschlands auflagenstärkster Tageszeitung war von Anfang an intern umstritten, weil Boulevardjournalismus eigentlich nicht Boies Blutgruppe ist. Er war zuvor Chefredakteur der Welt am Sonntag, früher mal bei der Süddeutschen Zeitung. Aus Döpfners Perspektive war Boies Beförderung zum Bild-Chef gleichwohl ein kluger Zug, mit dem der Springer-Chef gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.
 

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Mit Boie, der schon zwei Jahre als Döpfners persönlicher Referent gedient hatte, installierte Döpfner an der Spitze von Bild einen Mitarbeiter, der ihm mutmaßlich loyal ergeben war und gleichzeitig so etwas wie der „Anti-Reichelt“. Einer, bei dem man sich, sagt jemand aus der Bild-Redaktion, „überhaupt nicht vorstellen kann, dass er einer Frau zu nahe kommt“. Kein echter oder vermeintlicher Hallodri wie Boies Vorgänger Julian Reichelt einer gewesen sein soll; keiner mit allzu großem Empörungspotenzial. Sondern ein Journalist, der wieder Ruhe in den Laden bringen sollte. Außerdem war die Personalie ein Zeichen Richtung USA und der dort ansässigen Beteiligungsgesellschaft KKR, der knapp 45 Prozent am Springer-Konzern gehören. In dem amerikanischen Unternehmen ist man noch deutlich sensibler als hierzulande, was die Außenwirkung und Gender-Fragen angeht. Mögliches Signal von Döpfner: Wir haben verstanden.  

Mit der vom Verlag weder bestätigten noch abgestrittenen Rekordsumme von rund einer Milliarde US-Dollar hat Springer vor geraumer Zeit die US-Medienmarke Politico gekauft. Eines der spannendsten journalistischen Projekte der vergangenen Jahre und mittlerweile fest etabliert im Zentrum der Macht in Washington sowie in der Brüsseler EU-Bürokratie. Zu viel Tohuwabohu kann man sich in Deutschland eben nicht leisten, wenn man gerade dabei ist, in den USA (wo der woke Zeitgeist im Medienbusiness noch mehr spukt als hierzulande) Großes aufzubauen. Da passte ein ruhigerer Bild-Chef wie Boie gut ins Konzept. 

„Bild. Macht. Deutschland“

Es gibt eine vielbeachtete Amazon-Dokumentation über die Bild-Zeitung: Sie heißt „Bild. Macht. Deutschland“. Die Filmemacher hatten ziemliches Glück bei ihrem Projekt. Denn kurz nach Beginn der Dreharbeiten begann die Corona-Pandemie auch in Deutschland Politik, Gesellschaft und Medien auf den Kopf zu stellen. Würde man heute eine Fortsetzung drehen, eine zweite Staffel, böte sich der Titel „Bild. Macht. Schlagzeilen“ an, weil Deutschlands größte Tageszeitung das Schlagzeilen-Handwerk immer noch beherrscht wie keine zweite Gazette, aber seit geraumer Zeit immer wieder selbst zur Schlagzeile wird.

Themen unter anderem: Die Affäre um Ex-Bild-Chef Julian Reichelt (er musste wegen angeblicher sexueller Eskapaden mit Kolleginnen gehen), der Abgang Ralf Schulers (der bis dahin vielleicht wichtigste Politikjournalist des Hauses), woke Anwandlungen des Springer-Chefs Mathias Döpfner, ein Drogentest beim designierten neuen Bild-Chefredaktionsmitglied Robert Schneider, der wohl trotz der jüngsten Personalrochade im April von Focus, wo er die vergangenen Jahre Chefredakteur war, zu Bild wechseln wird. Und einige Schlagzeilen mehr. 

Die digitale Transformation vollenden

Dem Vernehmen nach war die Stimmung in der Bild-Redaktion schon vor dem jüngsten Rumms gelinde gesagt ausbaufähig. Mitarbeiter klagen über Unterbesetzung und lange Tage am Schreibtisch. Aber zu hören ist auch: Boie soll es immerhin gelungen sein, die Atmosphäre wieder zu verbessern, mit diplomatischem Geschick und vorgelebtem Fleiß. Einer aus der Bild-Redaktion sagt: „Ich weiß gar nicht, wann Boie noch Zeit zum Schlafen gefunden hat.“ Gleichwohl wird bemängelt, es sei ihm nicht gelungen, bei Bild Akzente zu setzen.

Doch persönliches Engagement ist das eine, strategische Überlegungen aus der Belle Etage des Springer-Konzerns sind das andere. Wohin soll der Weg nun also gehen bei Bild und BamS? Das fragen sich Beobachter und Mitarbeiter gleichermaßen. Letztere wundern sich zudem auch, warum sie noch tagtäglich mit Volldampf an einer gedruckten Zeitung arbeiten, die doch schon bald nur noch online erscheinen dürfte. Nicht morgen, nicht übermorgen, aber in absehbarer Zeit. 

Das jedenfalls hat Springer-Chef Döpfner bereits Ende Januar angekündigt, als er Journalisten der Deutschen Presse-Agentur ins Aufnahmegerät diktierte: „Mein Ziel ist, die digitale Transformation zu vollenden und aus Axel Springer ein reines Digitalunternehmen zu machen.“ Ob man dafür gleich die gesamte Bild-Chefredaktion entlassen und die Mitarbeiter der größten Tageszeitung Deutschlands vor den Kopf stoßen muss, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Liberaler und politisch korrekter

Amtlich ist, dass Marion Horn die Bild-Zeitung nun in Döpfners Sinne weiterführen soll. Hinter vorgehaltener Hand heißt es allerdings auch, dass ihr Ruf – sie war ja bereits mehrere Jahre in Führungsverantwortung bei Springer – nicht der beste sein soll. Horn habe, sagt einer, der es wissen muss, einen „sehr harten Führungsstil“ und gehe bisweilen „unmöglich“ mit ihren Mitarbeitern um. Er mutmaßt, dass Horn den Posten nur bekommen habe, weil sie eine Frau ist und weil der Springer-Chef schlicht keine bessere Alternative gefunden habe.

Eine ehemalige Bild-Mitarbeitern beschreibt Horn als „Workaholic“, die „alles selbst machen und vermutlich auch sämtliche Titel künftig in der Hand haben will“. Und weiter: „Horn gefällt sich zuweilen als unkonventionelle und eher ordoliberale Person, möchte dann aber auch wieder als Feministin gefeiert werden.“ Politisch, sagt die ehemalige Mitarbeiterin, sei Horn „eher linksliberal“ einzuordnen mit einem „eher gefühligen Politikverständnis“, weshalb Bild künftig eine „liberale und politisch korrekte“ Ausrichtung bekommen könnte.

Stimmungsaufheller dringend gesucht

Ob Bild sich inhaltlich und bei der thematischen Schwerpunktsetzung unter der neuen Führung verändern wird, dürfte sich erst in einigen Wochen zeigen. Fakt ist jedoch: Die jüngsten Ereignisse wirken überstürzt und wenig durchdacht. Sie könnten also als ein Signal dafür interpretiert werden, dass dem allmächtigen Springer-Chef Döpfner die Sache ein Stück weit entglitten ist, dass er zumindest nicht mehr im heiklen Boulevard-Geschäft stets Herr des Geschehens ist. Auch der einigermaßen missglückte Versuch von Bild, sich als TV-Sender zu etablieren, ist kein Ruhmesblatt für Döpfner. Womöglich ist sein Interesse an den deutschen Medienmarken des Springer-Konzerns aber ohnehin nicht mehr so ausgeprägt, seit Döpfner verstärkt eine (seriöse) internationale Ausrichtung des Konzerns anstrebt.

Fakt ist jedenfalls: Anders als früher kann man bei Bild heute nicht mehr aus dem Vollen schöpfen, auch in der „roten Gruppe“ muss gespart werden. Und die jüngsten Turbulenzen in Sachen Führungspersonal dürften von der Belegschaft vor allem als Zeichen mangelnden Respekts und des sinkenden Interesses der Konzernführung an den einst strahlenden Marken Bild und Bild am Sonntag interpretiert werden. Ein dringend benötigter Stimmungsaufheller ist das alles nicht. 

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