Das Journal: Buchrezension - Leergutreden

Literatur der Arbeitswelt Kathrin Röggla singt Loblieder auf das Leistungsprinzip, um die New Economy und deren Personal zu kritisieren

Seit Kathrin Röggla vor vier Jahren mit ihrem Erzählungsband «Irres Wetter» für einiges Aufsehen sorgte, avancierte die 1971 geborene Salzburgerin in den angewandten Künsten von Feuilleton und Theater zur emsigen Zeitdiagnostikerin. Als die Anschläge vom 11. September 2001 in ihren New Yorker Stipendien-Aufenthalt einbrachen, gelang der Erzählerin der Sprung zwischen den Buchdeckeln hervor auf die Bühne. 
 
Bereits ihre Stories vom  Leben und Leiden der «Generation Berlin» hatte Röggla mit einem deutlichen Hang zum Theatralischen in Szene gesetzt. In der Gegenbewegung tendieren ihre Theaterstücke zum Rededrama: Die Figuren sind keine psychologischen Individuen, sondern haspeln mechanisch endlose Wegwerfsätze aus Medienzitaten und Jargonbruchstücken herunter. Dass diese Methode ihre passabel grotesken Resultate haben kann, erwies das 9/11-Stück «fake reports», in dem sich das endlose Gerede der Medien buchstäblich fusselig quasselte. Nicht ganz unähnlich verhält es sich auch mit Rögglas jüngstem Werk, das zugleich als Theaterstück wie als «Roman» in Erscheinung tritt – dabei ist es weder das eine noch das andere. 
 
Was man gegen Ende des Wirtschaftswunders in Deutschland als «Literatur der Arbeitswelt» kennen lernte, kehrt mit «wir schlafen nicht» zu Zeiten der New Economy zurück. Der Titel sagt es bereits: Anders als in der Ford-Taunus-Ära ist es heutigen Desktop-Arbeitern verwehrt, nach ihrer betrieblichen Dienst-Leistung den Feierabend zu ehren: Rögglas Mittzwanzig- bis Mittvierzigjährige gönnen sich weder Rast noch Ruh’. Sie leben und arbeiten nach der Stechuhr der Selbstversklavung. 
 
Getreu dem Bild, das der US-Soziologe Richard Sennett 1998 im «flexiblen Menschen» zeichnete, ist in umstrukturierten, zudem rezessiven Zeiten der Arbeitnehmer selbst sein schlimmster Sklaventreiber. Ohne eine Wahl zu haben, übererfüllt er nicht nur in seiner dienstlichen Performance sein Plansoll, sondern auch in persona – wo der Neusprech der Neuen Ökonomie nur Vokabeln für erfolgreiche Pflichterfüllung vorsieht und keine Wörter mehr fürs physisch-psychische Bedürfnis, muss Letzteres vernachlässigt werden: «meist gingen die leute dann weniger aus moralischen gründen, sondern weil der life-style sie total ankotze: all das short-sleeping, quick-eating und diese ganzen nummern. und das hotelgeschlafe, das business-class-gefliege, das rst-class-gewohne. irgendwann könne man das alles nicht mehr sehen.»
 
Kunst-Turnen im Konjunktiv Rögglas sprachversessene Partitur lässt sechs Personen auftreten, die Loblieder auf das Leistungsprinzip singen. In thematischen Gruppen organisiert, intonieren Key-Account Manager, Online-Manager und Senior Associates ihre Schmettergesänge der Selbstdarstellung. Es liegt in der Perdie der montierenden Methode, dass die einzelnen Karriere-Arien in der Zusammenschau einen schrillen Schwanengesang ergeben: Die Leute arbeiten sich kaputt und nden das auch noch toll. Wie die übersmarten Manager in Martin Suters «Business Class» oder Sibylle Bergs neurotische Großstadtsklaven gehen Kathrin Rögglas Figuren sich mit ihren angepassten Lebensentwürfen selbst auf den Leim. Im Unterschied zu ihren Kollegen bei Suter oder Berg sind sie dabei jedoch nur begrenzt komisch.

Denn sie sind «Kunst», die vielleicht ein wenig zu sehr als Kunst turnen will – sie sprechen nur im Konjunktiv. Diesen wirkungssicheren und klugen Trick hat Ernst Jandl 1979 mit seinem Stück «Aus der Fremde» in die Literatur eingeschrieben: Wenn eine einsame Figur auf der Bühne über sich selbst in der dritten Person Konjunktiv spricht («sie habe kein privatleben. nicht, dass sie davon wüsste»), entfesselt das manch belebende Irritation: Wer spricht, wenn er sagt, er spräche? Wie schon in «fake reports» übernimmt Kathrin Röggla diesen grammatikalischen Kniff auch im neuen Werk, um Namenlosigkeit und Entfremdung ihrer Figuren zu konturieren. Die Sache ist nur: Was gedanklich stimmig ist, muss nicht immer sinnlich richtig sein. Das dramaturgische Potenzial der komplizierten Form ächzt nicht nur unter Kunstanspruch und aufklärerischem Gestus, sondern auch unter den nervenzehrend endlosen Leergutreden.

Andererseits: hat irgendjemand je behauptet, dass gescheite Zeitkritik eingängig oder schmeichelweich wäre? Nein, es darf schon ein wenig kratzen und harzen, wenn Kathrin Röggla (in aufrechter Adorno-Nachfolge) «Reflexionen aus dem beschädigten Leben» anstellt. Dass die Feinstufen zwischen Diskursroman, Papiertheater und Journalismus noch gefunden werden müssen, gesteht man einer 33-jährigen Autorin gerne zu.


Kathrin Röggla

wir schlafen nicht S. Fischer, Frankfurt a.M. 2004. 224 S., 18,90 €

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