Grünes Gewölbe - Pannen, Pech und ein Prozess

Sicherheitsmängel haben den Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden und damit den höchsten Schaden eines Kunstdiebstahls in der deutschen Nachkriegsgeschichte möglich gemacht. Der Jahrhundertdiebstahl ist eine Herausforderung für alle Museen.

Im Pretiosensaal des Grünen Gewölbes steigern Spiegel den Glanz der Schätze / Hans Christian Krass
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Dr. Butz Peters ist Publizist und Rechtsanwalt in Dresden. Er ist einer der führenden deutschen Experten zur Geschichte der RAF und hat mehrere Bestseller zum Thema Innere Sicherheit geschrieben.

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Keine vier Minuten, nachdem die beiden Einbrecher damit begonnen haben, die Glasvitrinen im Historischen Grünen Gewölbe im Dresdner Residenzschloss mit Äxten aufzuhacken, scheppert die Beute in einem Audi A6 Avant auf der Augustusbrücke über die Elbe: Mit Tempo 50 braust er über den Fuß- und Radweg. Für Kraftfahrzeuge ist die Brücke gesperrt. Sie ist Baustelle, wird komplett saniert. Nur durch einen beherzten Sprung zur Seite schafft es eine Radfahrerin, einem Zusammenstoß zu entgehen. In dem silberfarbenen Kombi schaffen die Täter die Beute aus dem Jahrhundertdiebstahl weg – über drei Jahre ist das her. 25. November 2019, 5.03 Uhr. 21 Schmuckstücke. Besetzt mit über 4316 Diamanten und Brillanten. Die meisten gehörten einst Sachsens Sonnenkönig August dem Starken (1670–1733).

Der höchste Schaden eines Kunstdiebstahls in der deutschen Nachkriegsgeschichte. 113,8 Millionen Euro – mit diesem Betrag bezifferte später die Dresdner Staatsanwaltschaft den Wert der Beute. Er resultiert aus Versicherungswerten. Tatsächlichen und geschätzten. Für historischen Schmuck wie aus dem Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes gibt es weder einen Marktpreis noch einen Wiederbeschaffungswert. Anders als bei historischen Briefmarken oder altem Meißner Porzellan. Nicht zu beziffern ist der kulturhistorische Schaden. Er ist immens. Betroffen sind die „Kronjuwelen Sachsens“, sagt Dirk Syndram, seinerzeit Direktor des Grünen Gewölbes – „das ist das, was beispielsweise England im Tower hat“. 

Aus Augusts Allerheiligstem

Die 21 gestohlenen Geschmeide stammen aus drei „Garnituren“, die Teil von Augusts Beeindruckungsstrategie waren. Jeweils ein Ensemble zusammengehöriger Schmuckstücke, die zu besonderen Anlässen an der Kleidung aufgenäht oder aufgesteckt wurden: Rock- und Westenknöpfe, Manschettenknöpfe, Zierschnallen für Schuhe, Hosen und Hut. Zehn derartige Garnituren ließ August anfertigen. Die Täter erbeuteten kostbare Teile aus der „Diamant­rosen-“ und „Brillantgarnitur“ sowie dem „Diamantschmuck der Königinnen“. 
 

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Wertvollstes Beutestück ist die „Epaulette“ aus der Brillantgarnitur: ein 20 Zentimeter langes „Achselband“, das der König auf der Schulter trug –  mit dem 50 Karat schweren „Sächsischen Weißen“ und zwei weiteren großen Diamanten. Viele kleine Diamanten baumeln locker herunter. Damals war der Wert dieser „Epaulette“ unvorstellbar: 280.000 Taler – allein für den „Sächsischen Weißen“ und einen anderen großen Diamanten. Fast so viel, wie die Dresdner Frauenkirche kostete: erbaut für 288.000 Taler – zwischen 1726 und 1743. 95 Meter hoch.

Die Epaulette mit dem Sächsischen Weißen aus der
Brillantgarnitur war das wertvollste Beutestück

August stellte damals seine Garnituren genau dort aus, wo sie fast 300 Jahre später Mitglieder des Berliner Remmo-Clans an dem feucht-kalten Novembermorgen stahlen: im Juwelenzimmer, das er als achten und letzten Raum auf dem Rundgang – entlang an 3000 Schätzen – als emotionalen Höhepunkt konzipiert hatte. Überall funkelt, glitzert, strahlt es. Diamanten, Silber, Gold, Elfenbein, Kupfer, Bergkristall. Die Eröffnung des Grünen Gewölbes 1729 war die Selbstkrönung seines barocken Lebenswerks. Ausdruck seines Reichtums wie auch seiner absolutistischen Macht. Eine Mixtur aus üppiger Schatzkammer und einzigartigem Museum. 

Vor der Weltgeschichte geschützt

Rasch wird Augusts Schatzkammer zum Besuchermagneten. Als sie der junge Arthur Schopenhauer 1804 besucht, ist er von dem „Reichthum“ überwältigt und „glaubt sich in einen Feen-Palast versetzt“. Das Ensemble des Grünen Gewölbes übersteht, weitgehend unbeschadet, 290 Jahre – Kurfürstentum und Königreich Sachsen, die Weimarer Republik. Auch den Nationalsozialismus und den Sozialismus. Bis die Schlossdiebe kommen.

So erklärt sich, warum ihre Tat ein tiefer Stich in die Dresdner Seele war. Während des Zweiten Weltkriegs lagern die Schätze in 165 Kisten in den Kasematten der Festung Königstein. Eine der größten Bergfestungen Europas in der Sächsischen Schweiz. Der verheerende Bombenangriff in der Nacht zum 14. Februar 1945 legt das Grüne Gewölbe in Trümmer.

Eine Woche nach Kriegsende erscheint auf der Festung die Trophäenkommission der Roten Armee und lässt die Kunstschätze in die Sowjetunion schaffen. 13 Jahre später beschließt Moskau im Lichte der sich entwickelnden Nachkriegsordnung, die Kunstwerke wieder nach Dresden zurückzugeben. Am 28. Februar 1958 erfolgt die feierliche Übergabe im Dresdner Rathaus. „Dieser Tag wird einen Ehrenplatz in der Geschichte einnehmen“, sagt DDR-Kulturminister Alexander Abusch. Die Übergabe muss „gewirkt haben wie die Rückkehr der verlorenen Seele“, urteilt Hans-Peter Lühr, langjähriger Herausgeber der Dresdner Hefte. 

Von wegen Fort Knox

2006 öffnet das Historische Grüne Gewölbe im wieder aufgebauten Residenzschloss – exakt dort, wo die Schätze mehr als 60 Jahre zuvor in Kisten verpackt wurden. „Ein Glanzstück europäischer Kultur in einer der schönsten Städte Europas“, schwärmt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Von einem „sächsischen Louvre“ spricht Ministerpräsident Georg Milbradt. Vom ersten Tag an ist das Historische Grüne Gewölbe ein Publikumsrenner: Pro Jahr kommen mehr als 200.000 Besucher.

In Sachen Sicherheit des Grünen Gewölbes gaben sich die Vertreter der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) stets davon überzeugt, dass diese gewährleistet sei. Selbstverständlich. Natürlich. „Wir haben eine alte Tradition“, erklärte beispielsweise Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, bei der Wiedereröffnung – darüber hätte er auch geforscht: „Wir haben kaum Verluste durch Diebstahl. Und wir werden diese Tradition fortführen.“ Ähnlich sein damaliger Chef Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen: „Die beste Sicherheit ist immer die, die sich nicht sehen lässt. Wenn Sie bei uns ins Grüne Gewölbe gehen, scheint das nicht geschützt zu sein.“ Aber es sei „gesichert wie Fort Knox“. Die Alarmsysteme seien nur eben „unsichtbar“.

Keines dieser Postulate überlebte den Praxistest. Über Nacht war alles anders. Immens die Fallhöhe. Der Fünf-Minuten-Blitzeinbruch sorgte dafür, dass das Bild eines praktisch unmöglichen Einbruchs im Grünen Gewölbe verpulverisierte. Zutage förderten dies Zeugenaussagen in dem seit über einem Jahr laufenden Grüne-Gewölbe-Prozess im Dresdner Hochsicherheitstrakt. Quintessenz: Die Staatlichen Kunstsammlungen waren nicht gewappnet für einen derartigen Bruch von Spitzenprofis. Davon abgesehen lief eine Menge schief in Sachen Sicherheit.

Ein neues Kriminalitätslevel

Und das vor dem Hintergrund, dass bei Museumsdiebstählen ein neuer Tätertyp unterwegs ist. Nicht mehr ein Klettermaxe, der sich die Fassade emporhangelt und mit der Brechstange ein Fenster aufhebelt, sondern Hightech-Gangster: ausgestattet mit hohem kriminellen Know-how und ebenso hoher krimineller Energie. Organisierte Kriminelle. Bezeichnend für ihr Vorgehen sind akribische und langfristige Vorbereitungen, Routine gepaart mit handwerklichem Geschick, Skrupellosigkeit, Brutalität und Chuzpe.

Zweieinhalb Jahre vor dem Einbruch ins Grüne Gewölbe stiegen Täter in Berlin vom Gleisbett in der Nähe des S-Bahnhofs Hackescher Markt ins Bode-Museum und transportierten die 100 Kilogramm schwere „Big Maple Leaf“-Goldmünze ab. Ihr Wert: 3,3 Millionen Euro. Später finden Ermittler Goldstaub in zwei vom Remmo-Clan genutzten Mercedes – so wie er entsteht, wenn ein Goldstück zerteilt wird. „Wahrscheinlich unter Verwendung eines Trennschleifers“, stellte das Landgericht Berlin fest, um es portionsweise zu verscherbeln. Das Gericht attestierte Wissam und Ahmed Remmo „Dreistigkeit, Mut und Risikobereitschaft ganz besonderer Güte“ und verurteilt sie zu vier Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe.

Eine Vitrine aus dem Juwelenzimmer, dem Höhepunkt von Augusts Schatzkammer

Die anderen Täter aus dem mindestens vier Personen umfassenden Einbruchskommando sind bis heute unbekannt. Nun sitzen die beiden verurteilten Remmos auf der Anklagebank im Grüne-Gewölbe-Prozess in Dresden: Im Zuge eines „Deals“ – Beute gegen Strafrabatt – gaben Mitglieder ihres Clans 18 der 21 Schmuckstücke zurück. Vieles ist ramponiert. Eine Sachverständige bezifferte die Schäden der demolierten Kunst auf 22 bis 24 Millionen Euro. 

Vorbild für Raub in Bayern

Drei Jahre nach dem Dresdner Einbruch stehlen im November 2022 Diebe aus dem Kelten-­Römer-Museum im oberbayerischen Manching einen 3,7 Kilo schweren Goldschatz – es ist der größte keltische Goldfund des vergangenen Jahrhunderts. Handelswert: 1,6 Millionen Euro. Von einer „Attacke auf unser kulturelles Erbe“ spricht der bayerische Kunstminister Markus Blume. Besorgniserregend sind die polizeilichen Erkenntnisse: Die Alarmanlage funktionierte nicht, weil die Täter, so die Polizei, „vor dem Einbruch in das Museum Glasfaserkabel in der näheren Umgebung durchtrennten“ – und damit auch 13.000 Telekommunikationsnutzer vom Netz abhängten. So wurde der Diebstahl, der um halb zwei in der Nacht geschah, erst am nächsten Morgen entdeckt. Die Einbrecher waren über alle Berge.

Tiefe Einblicke in die Art, wie die Täter des neuen Typus operieren, erbrachte die Beweiserhebung im Grüne-Gewölbe-Prozess. Das Einbruchskommando bestand aus sechs Personen. Mindestens. Die Täter setzten auch darauf, die Staatsmacht zu verwirren, indem sie an drei Tatorten in weniger als einer Viertelstunde operierten – in einem Radius von anderthalb Kilometern. 

Die 3 Tatorte

Tatort 1: Das Pegelhaus an der Augustbrücke. Keine 200 Meter vom Grünen Gewölbe entfernt. Dort stecken sie um 4.53 Uhr einen Stromverteilerkasten in Brand. Die Rauchsäule ist über 50 Meter hoch. Drei Minuten später gehen auf dem Platz vor dem Grünen Gewölbe die Laternen aus. Alles zappenduster. 

Tatort 2: Keine Minute später, Grünes Gewölbe: Die Täter ziehen ein Dreieck aus dem Gitter ganz links in der Fassade. Rausgeschnitten hatten sie es schon früher, vermutlich sechs Nächte zuvor – und mit einer Klebemasse wieder eingesetzt. Zwei Täter klettern durch das Loch und das aufgestemmte Fenster. Fünf Minuten später sind sie wieder da, springen mit ihrer Beute in den Audi Avant. Der rast davon. Eine Minute später trifft der erste Streifenwagen am Grünen Gewölbe ein. Vom Fluchtwagen sehen die Beamten nichts mehr. 

Tatort 3: Der Audi verschwindet zwei Minuten später in einer Tiefgarage. Vier Kilometer vom Residenzschloss entfernt. Dort stecken ihn die Täter in Brand – nachdem sie fünf Liter Benzin auf den Sitzen ausgeschüttet hatten. Die große Hitze verwandelt den Wagen in einen rostbraunen verschmolzenen Haufen aus Stahl, Aluminium und Kunststoff – und vernichtet alle Fingerabdrücke und DNA-Spuren. Die Flammen ziehen 60 Autos in der Tiefgarage in Mitleidenschaft. 

Und nix wie weg

Weiter flüchten die Täter mit einem Fake-Taxi über die Auffahrt Dresden-Neustadt auf die A 4 Richtung Berlin. Der weiße Mercedes ist ein Schaf im Wolfspelz: ein E 500 mit 750 PS. Beschleunigt wie ein Lamborghini. Um in Dresden nicht aufzufallen, hatten die Täter an ihn in RAF-Manier „Doubletten“ eines Kennzeichens montiert, das für ein Taxi in der Landeshauptstadt ausgegeben worden war. Eine halbe Stunde nach der Tat, als Streifenwagen an den Autobahnauffahrten in Dresden Position bezogen haben, ist die Fake-Taxe bereits 80 Kilometer weit weg – unterwegs in Brandenburg, wie später ein Kesy-Scan zeigt.

Das Gerät des Kraftfahrzeug-Kennzeichen-Erkennungssystems ist unauffällig auf einer Autobahnbrücke über die A 13 bei Großräschen montiert und erfasst die Kennzeichen aller unter ihm durchfahrenden Autos. Den Mercedes registriert Kesy um 5.37 Uhr. So erfahren die Ermittler, wie rasant sich die Täter aus dem Staub gemacht hatten.

Der Grund für die Sicherheitslücken

Wie aber war der Bruch möglich? Substanzielles dazu war in den vergangenen drei Jahren nicht von den Staatlichen Kunstsammlungen zu erfahren. Aber im Grüne-Gewölbe-Prozess offenbarten Zeugenaussagen enorme Sicherheitslücken – und zeigten, warum die Einbrecher ein so leichtes Spiel hatten. Fazit aus über einem Dutzend Aussagen: Es gab einen Kardinalfehler und sieben gravierende Fehler. 

Der Kardinalfehler war, dass die Verantwortlichen einen „Angriff von außen“ nicht ernsthaft ins Kalkül gezogen hatten. Gerichtet war ihr Augenmerk auf einen „Angriff von innen“: dass ein Besucher, nachdem der sich ganz brav ein Ticket gekauft hat, in die Pretiosen greift und türmt. So berichtete Grüne-Gewölbe-­Direktor Dirk Syndram im Gerichtssaal über seine Überraschung am Tatmorgen: „Als mich die Wache anrief und über den Einbruch informierte, dachte ich: Wie sind die durch die Tür gekommen?“

Eine Vitrine aus dem Juwelenzimmer, dem
Höhepunkt von Augusts Schatzkammer

Auf eine andere Idee sei er in diesem Augenblick nicht gekommen – und deshalb auch nicht darauf, dass die Täter durch ein Fenster eingestiegen sein könnten. Außerdem habe er angenommen, dass es praktisch keinen Markt für die 200 bis 300 Jahre alten raren Pretiosen gebe. „Ich persönlich habe immer gesagt“, erläuterte der promovierte Kunsthistoriker den Richtern, „wer vernünftig ist, der kommt nicht auf die Idee, etwas aus dem Grünen Gewölbe zu klauen.“ So gesehen handelten die Täter „unvernünftig“. Deshalb hatten sie Erfolg.

Auch hätte niemand „mit einem nächtlichen Einbruch gerechnet“, sagte SKD-Sicherheitschef Michael John im Zeugenstand. Das ist die grundlegende Erklärung dafür, warum das Unvorstellbare gelingen konnte – gegen Unvorstellbares wappnet man sich kaum.

Hat der Sicherheitsdienst geschlafen?

Das ist verblüffend, weil zweieinhalb Jahre vor dem Einbruch in Dresden auf ganz ähnliche Weise die Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen worden war. Auch dort kamen die Täter in der Nacht, um 3.20 Uhr, auch durch ein Fenster (im zweiten Obergeschoss) – ebenfalls, nachdem sie Tage zuvor den Schutz vor dem Fenster geknackt hatten: die Bolzen der „Sicherheitsscheibe“. Auch dort zerschlugen sie das Vitrinenglas mit Äxten und verschwanden mit ihrer Beute durch das Einstiegsfenster. Der ­Bode-Museum-Diebstahl ist die Blaupause für den Einbruch ins Grüne Gewölbe. In Dresden wurden aus ihm keine nennenswerten Konsequenzen gezogen.

Die sieben gravierenden Fehler, die hinzukommen: Erstens bekamen die Wachleute im Schloss von den offensichtlichen Ausspähungen der Täter überraschenderweise nichts mit – obwohl diese auf den Monitoren in der Sicherheitszentrale unübersehbar waren. Verblüffung, als im Gerichtssaal die Videoaufnahmen vorgeführt wurden: Sekundengenau ist zu sehen, wie die Täter in der Woche vor der Tat gleich vier Mal ihren Bruch in aller Seelenruhe ausbaldowerten. Aufgenommen von vier Überwachungskameras, die auf die Westfassade des Residenzschlosses gerichtet sind. Zu sehen sind vier „Überstiege“: Finstere Gestalten – mal sind es vier, mal zwei –, die Bildqualität ist lausig, klettern über eine 2,20 Meter hohe Mauer in den Bärengarten, den „Vorgarten“ des Grünen Gewölbes. Zwischen acht und 40 Minuten später sieht man, wie sie auf die Sophienstraße zurückklettern. Sichergestellt wurden diese Aufnahmen nach der Tat von Kriminalbeamten auf den Festplatten der Überwachungsanlage. 

Ungeklärt blieb in dem Verfahren, warum die Sicherheitsleute nicht reagierten. Sie verweigerten die Aussage. Gepennt? Die Ermittlungen gegen sie hat die Staatsanwaltschaft eingestellt – drei Jahre nach der Tat. Mangels hinreichenden Tatverdachts. 
Zweitens hat der „Außenschutz“ des Grünen Gewölbes nicht funktioniert. Zur Tatzeit hing 20 Meter über dem Einstiegsfenster ein Scanner. Er legt einen unsichtbaren elektronischen Vorhang über die Fassade. Das Prinzip: Kommt ihm jemand zu nahe, löst er Alarm in der Sicherheitszentrale aus. Aber das funktionierte in der Tatnacht nicht, weil der Scanner elf Stunden vor dem Einbruch, um 18.19 Uhr, Alarm gemeldet hatte und anschließend nicht wieder scharf geschaltet worden war. So konnte das elektronische Auge nichts sehen – und das System nicht anspringen. Warum wurde der Scanner nicht wieder aktiviert? Abermals: keine Antwort von den Nichtakteuren.

Aktenkundige Sicherheitslücke

Und dann auch noch das „Loch“ im unsichtbaren elektronischen Vorhang – und zwar exakt dort, wo die Täter das Dreieck aus dem Gitter herausschnitten. Dieser „tote Winkel“, ungefähr ein Drittel der Gitterfläche vor dem Einstiegsfenster, wird gebildet von einem Mauervorsprung über dem Fenster. An ihm kommt ein Teil des Scanner-Lichtstrahls von oben nicht vorbei. „Wer ein bisschen Verständnis von Geometrie hat, konnte das sehen“, erklärte ein Wartungstechniker. Diese Sicherheitslücke war sogar aktenkundig  – seit über einem Jahrzehnt. Aber niemand sorgte dafür, dass sie geschlossen wurde. Etwa durch eine Lichtschranke, wie andernorts im Schloss. 
 

Butz Peters im Cicero Gesellschaft Podcast:
„So viel Chuzpe ist unvorstellbar“ 


Drittens gab es kein „Alarmlicht“, das bei einer elektronischen Einbruchsmeldung automatisch alle Lampen im Gebäude angehen lässt. Andere Museen haben es. Im Grünen Gewölbe sollte in einem solchen Fall das Licht per Hand angeknipst werden. So die Dienstanweisung. Aber das tat der Sicherheitsmitarbeiter in der SKD-Zentrale nicht. 

„Babyphone liefern bessere Bilder“

Die Folge sind Videoaufzeichnungen in finster-lausiger Qualität. Schemenhaft ist auf ihnen zu sehen, wie zwei dunkle Gestalten mit Äxten Vitrinenglas zerhacken. Noch am Tatabend stellen die Ermittler eine 31-Sekunden-Sequenz ins Netz. Wegen der schlechten Bildqualität hagelt es ätzende Kommentare: Wenn „das Überwachungsvideo exakt 5 Pixel hat, sollte man sich dann nicht mal langsam Gedanken machen, wie geil die deutschen Museen wirklich gesichert sind?“, twittert Sebastian Heering.

„Tanzende Taschenlampen bei Nacht“, betitelt ein anderer das Video: „Tänzer leider unbekannt“. Und jemand spottet: „Babyphone und Webcam liefern da ja bessere Bilder, auch bei Nacht.“ Ein Newsportal bilanziert: „Die wohl schlechtesten Bilder in der Geschichte des modernen Kunstraubs.“ Für eine Fahndung sind die Aufzeichnungen ebenso unbrauchbar wie für eine Identifikation eines der Angeklagten im Gerichtssaal. Kameras, die bessere Bilder liefern, kosten heutzutage um die 100 Euro.

Überlistet mit einem Akku-Schneidegerät

Viertens wurde das Gitter vor dem Einstiegsfenster für praktisch unbezwingbar gehalten. Bezwingen könne man es nur, gab ein Sicherheitsingenieur seine Planungsüberlegungen wieder, wenn man es „aufschneidet oder rausreißt“. Dazu brauche man Strom. Entweder per Kabel aus dem Schloss oder von einem Lkw mit Generator. Beides falle auf – und scheide deshalb als zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit aus. 

Ein Irrtum, wie der Einbruch beweist. Die Täter knipsten das Gitter mit einem hydraulischen ­Akku-Schneidegerät durch – ein „Rettungswerkzeug“, hergestellt für Feuerwehr und Technisches Hilfswerk, um Unfallopfer schnell befreien zu können. „Jedes Hindernis schnell überwinden“, wirbt der Hersteller und erklärt: „Der Markt war beeindruckt von der Schneideleistung dieses Rettungsgeräts!“ Es ist 90 Zentimeter lang, 25 Kilo schwer und mit einer Druckkraft von über 100 Tonnen: via Knopfdruck auf einem Dashboard. Muskelkraft ist nicht erforderlich. Seine Messer durchschneiden einen Pkw-Holm ebenso lässig wie eine Küchenschere einen Strohhalm. So war die These des Sicherheitsstrategen fatal – ohne 220-Volt-Kabel keine Einbruchsgefahr.

Und damit widersprach sie auch dem, was die SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann im „Ratgeber für Diebstahlschutz im Museum“ des Deutschen Museumsbunds im Februar 2021 – erschienen zwischen Einbruch und Prozessbeginn – erklärt hatte: „Sicherheitssysteme in den Museen“ müssten  „permanent aktualisiert werden.“ 
Das Gitter geknackt hatten die Einbrecher bereits mehrere Tage vor der Tat – und anschließend die Stäbe mit einer Klebemasse wieder eingefügt. Nichts fiel auf. Anders wäre es gewesen, wenn es – fünftens – Außenkontrollen gegeben hätte. Heute gibt es sie.

Organisierte Unverantwortlichkeit

Sechstens fanden keine Alarmübungen statt, wie Zeugen berichteten. So kam auch erst nach dem Einbruch heraus, dass der Scanner auch andernorts an der Fassade nicht funktionierte. Für derartige Museen empfehlen Sicherheitsexperten ein oder zwei Alarmübungen pro Jahr. Aber die kosten natürlich Geld. Zusätzliches Geld für die Museen.

Und siebtens förderte der Prozess zutage, dass es weder ein umfassendes Sicherheitskonzept noch einen „Gesamtverantwortlichen“ für die Sicherheit im Grünen Gewölbe gab. So antwortete Michael John – Leiter der SKD-Abteilung für Bau, Technik, Sicherheit – auf die Frage des Vorsitzenden Richters, wer im Grünen Gewölbe „für die sicherheitsrelevanten Fragen“ zuständig sei, dass dies „eine schwierige Frage“ sei. Und zählte sodann ein halbes Dutzend sächsischer Institutionen auf. 

Was es gab, waren unzählige Besprechungen, Konzepte und Dienstanweisungen. Plus etliche Abstimmungen zwischen den Staatlichen Kunstsammlungen, dem Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, dem Landeskriminalamt, dem Amt für Denkmalpflege, dem Sicherheitsunternehmen und einem Planungsingenieur. Aber all das vermochte das Debakel nicht zu verhindern – vielmehr dürfte dies die Ursache dafür gewesen sein. Und ist zugleich der Grund, warum die Einbrecher ein so leichtes Spiel hatten. Organisierte Unverantwortlichkeit.

Über sechs Millionen Euro investiert

Bode-Museum, Grünes Gewölbe, Manching – die brachialen Methoden des neuen Tätertyps haben Deutschlands Strategen für museale Sicherheit alarmiert. Defizite wurden in vielen Häusern entdeckt. Offen darüber sprechen will niemand, um Einbrecher nicht auf Ideen zu bringen. Bei fast allen Museen ist der Bedarf für Sicherheit deutlich gestiegen. Ihn erfasst keine Statistik. „Bei größeren Museen liegen die Ausgaben für die Sicherheit mittlerweile im niedrigen zweistelligen Prozentbereich des Gesamtbudgets“, sagt Remigiusz Plath vom Arbeitskreis Gebäudemanagement und Sicherheit im Deutschen Museumsbund, „in der Regel zwischen 10 und 20 Prozent: Tendenz steigend.“

Im Grünen Gewölbe wurde bereits nachgerüstet – „baulich, technisch und organisatorisch-personell“. Mehr als sechs Millionen Euro wurden investiert. So wäre nun „ein Einbruch in dieser Art nicht mehr möglich“, sagt Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch. Sicher ist jedenfalls: Den Vergleich mit Fort Knox traut sich heute keiner mehr.

Die Fotos dieses Textes stammen von Hans Christian Krass für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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