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Anja Stiehler/Jutta Fricke Illustrators

Klassische Musikerziehung - Mit Bach wäre das nicht passiert

Unser Kolumnist Daniel Hope über die Abgründe klassischer Musikerziehung: Wie der Stargeiger einmal in einem Internats-Badezimmer an Mendelssohn scheiterte und sich dennoch in eine Melodie verliebte 

Autoreninfo

ist Violinist und für seine Einspielungen von Musik des 18. und 19. Jahrhunderts berühmt. Zuletzt erschienen sein Buch „ Toi, Toi, Toi - Pannen & Katastrophen in der Musik“ und die CD „The Romantic Violinist“.

Foto: Harald Hoffmann / Deutsche Grammophon

So erreichen Sie Daniel Hope:

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Bei meinem letzten Stopp in Berlin besuchte ich Mendelssohn. Der große Komponist liegt auf dem Friedhof am Halleschen Tor in Kreuzberg. Im Gegensatz zu anderen opulenten Denkstätten ist dieser Ort trist und umkreist von Wohnhäusern, die auf Legenden herunterschauen, ohne es zu ahnen.

Felix Mendelssohn Bartholdys himmlische Musik fasziniert mich nicht weniger als sein ungeheures Arbeits- und Reisepensum. In Berlin wuchs er auf, Düsseldorf bot ihm die erste Anstel­lung, in Frankfurt am Main fand er seine Frau, Leipzig mit dem Gewandhaus wurde neben London die wichtigste Wirkungsstätte. Ende zwanzig – da er schon lange komponierte und als Pianist Aufsehen erregte, da er Goethe in Erstaunen versetzt hatte, von Cherubini in Paris als außergewöhnliche Begabung erkannt worden war – schrieb er sein Violinkonzert.

Die verbotene Musik
 

Meine erste Begegnung mit dem Konzert war nicht einfach. Mit acht Jahren vertraute ich meinem Zimmergenossen Ikki im Musikinternat in England an, dass ich lieber als alles andere dieses Werk spielen würde. Yehudi Menuhin hatte mit sieben Beethovens Violinkonzert gespielt, ​ich würde Mendelssohn meistern – dachte ich mir. Ich musste nur einen Ort finden, wo ich unentdeckt üben konnte. Meine Lehrer würden nicht einverstanden sein, wenn ich ein Stück spielte, das viel zu schwierig für mich war.

Das Badezimmer auf dem Gang schien mir ideal. Ich kam kaum über ein paar Takte hinaus. Es muss geklungen haben, als strangulierte jemand mehrere Katzen gleichzeitig. Aber es war ein Akt der Befreiung, ich fühlte mich wie ein Vollblutmusiker. Ich war durchdrungen von dieser wunderbaren e‑Moll-Melodie am Anfang des Konzerts, ​als ich plötzlich erstarrte.

Es hatte laut geklopft. „Würdest du bitte die Tür öffnen“, hörte ich die Hausmutter mit ihrem strengen irischen Akzent. „Was um alles in der Welt fällt dir ein?“, fuhr sie mich an. Sie zerrte mich am Ohr und schnappte sich gleichzeitig meinen Notenständer, den ich in die Badewanne gestellt hatte. Draußen hatten sich schon meine Mitschüler feixend versammelt.

Einige Tage später wurde ich zum Musikdirektor gerufen und war erstaunt, meine Eltern dort vorzufinden. „Mr. und Mrs. Hope“, begann der Direktor, „ich habe Sie aus London hierhergeholt, weil ich Ihnen leider mitteilen muss, dass Ihr Sohn ohne Erlaubnis das Mendelssohn-Konzert geübt hat. Er wurde ertappt – im Badezimmer. Bach soll er üben, nicht Mendelssohn!“ ​Wie sagte einst Mendelssohn: „Es wird so viel über Musik gesprochen und so wenig gesagt.

Ich glaube überhaupt, die Worte reichen nicht hinzu, und fände ich, dass sie hinreichten, würde ich am Ende keine Musik mehr machen.“ Zwei Wochen später verließ ich das Internat und wechselte meinen Geigenlehrer. Das erste Stück, das ich mit dem neuen Lehrer erarbeitete, war das Violinkonzert von Mendelssohn. Seitdem ist dieses Meisterwerk mein ständiger Begleiter. Außer im Badezimmer.

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