Kay Voges im Porträt - Der Volkstheatermacher

Seit fünf Jahren ist Kay Voges Intendant am Wiener Volkstheater. Dort verschraubt er Fiktion und Wirklichkeit – und ist damit fast schon gefährlich zeitgemäß. Berüchtigt ist etwa seine Berliner Inszenierung des angeblichen „Geheimplans gegen Deutschland“.

Kay Voges / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Mladen Savić ist Autor, Lektor und Übersetzer und lebt in Wien.

So erreichen Sie Mladen Savić:

Anzeige

Das klassische Theater war seit jeher Ausdruck sozialer Interessen. Angepasst und nur selten einmal auf der Höhe der Zeit. In Abgrenzung dazu: die Volkstheatertradition. In dieser führte man immer schon Ästhetisches auf materielle Realitäten zurück und verstand sich früh als Aufdecker und politischer Wirkfaktor. Genau die richtige Herangehensweise, so sollte man meinen, für einen linken Theatermacher wie Kay Voges. 

Der 1972 in Düsseldorf geborene Regisseur, Künstler und Aktivist hatte am Volkstheater der Stadt Wien, der laut Presse zwar lebenswertesten, aber eben auch unfreundlichsten Stadt der Welt, dennoch keinen leichten Start. In dem 1889 eröffneten Haus, dessen Intendant er bis Jahresende noch sein wird, ehe er 2025 zum Schauspiel Köln wechselt, stand 2019 eine zeitaufwändige Gebäudesanierung an. Obendrein war die Bühne aufgrund der strengen Corona-Maßnahmen lange geschlossen.

Doch Voges kämpfte sich durch; nicht zuletzt, weil er mit seinem eigenen progressiven Ansatz wunderbar zu dem altehrwürdigen Theater am Arthur-­Schnitzler-Platz passte, das sich immer schon als Gegenpol zum kaiserlichen Hoftheater verstehen wollte. Und so wurde das Wiener Volkstheater unter Voges Führung bald schon zur zweitbesten Bühne im deutschsprachigen Raum gekürt. Weder mied der Intendant für diesen Erfolg Zigaretten und Rauchwerkzeug in Interviews noch den Baustellenhelm bei Führungen – und erst recht keine kontroversen Themen. Da sich Voges dem Aufdeckungsgestus verschrieben hatte, wollte er „waghalsige Projekte“ und den „Geist der Opposition“ in bester Volkstheatertradition realisieren, und das ohne Grenzen zwischen Theaterbühne und bildender Kunst. 

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

In dieser Hinsicht glich er vielleicht von Anfang an seinem aktivistischen Freund Jean Peters, mit dessen Künstlergruppe Peng! er bereits während seiner gut zehnjährigen Intendanz am Schauspiel Dortmund Erfahrungen gemacht hatte. Beide setzen sie ganz auf postmoderne Wunschkaskaden: Aufmerksamkeit – Diskurs – Wandel.

Unter Zuhilfenahme aller Schwesterkünste führte Voges Klassiker, aber auch die multimedialen Ego-Shooter-Eskapaden von Hausautorin Lydia Haider oder die postdramatischen Weltuntergangskomödien von Kristof Magnusson auf. Aber auch Gesprächsabende standen in Wien auf dem Programm, etwa zwischen Jean Peters und Julian Hessenthaler, dem Produzenten des in Österreich noch immer viel diskutierten „Ibiza-Videos“, das 2019 zum Sturz der Regierung aus ÖVP und FPÖ geführt hatte. 

Die Dorfdeppen sind am Rechtsruck schuld

Von ähnlichem politischen Interventionsgeist getrieben, führte Voges Mitte Januar 2024 eine szenische Lesung auf, die auf den Correctiv-Bespitzelungen eines vermeintlichen Potsdamer Geheimtreffens fußte, bei dem sich österreichische Identitäre mit deutschen AfD-Politikern getroffen hatten. Mit Lolita Lax und wiederum Jean Peters – Letzterer hatte sich mittlerweile zum Correctiv-Journalisten ausbilden lassen – hatte Voges die Gedächtnisprotokolle der Recherche zu einer Bühnenfassung umgearbeitet. Titel: „Geheimplan gegen Deutschland“. Kaum eine Woche später war das Stück im Berliner Ensemble zu sehen, und das nach einem Tag Probe. 

Laut Correctiv, in deren Webshop noch immer ein Video der Inszenierung erhältlich ist, sei es bei dem Treffen um nicht weniger als um „die Zerstörung der Demokratie“ gegangen. Was hier indes nicht erwähnt wird: Die Berliner Ampelkoalition hatte zuvor selbst über ein „Rückführungsverbesserungsgesetz“ sowie über „Bezahlkarten für Asylsuchende“ diskutiert. Vor diesem Hintergrund fiel Voges Lesung am Ende eher unangenehm denn sonderlich subversiv ins Gewicht. Das große moralische „Wir“, das in dem Stück beschworen wurde, trug offensichtlich ideologische Züge.

Theaterkritiker Janis El-Bira jedenfalls sah in der Inszenierung „gratismutiges Empörungsfutter für ein bürgerliches Publikum“. Und der Welt-Journalist Deniz Yücel erblickte darin die „kulturindustrielle Verramschung des Politischen“. Zudem aber fand eine interessante Zeichenverschiebung statt. Die ästhetische Widerspiegelung, gemäß dem Philosophen Georgi Plechanow „Ausdruck der sozialen Psyche“, verwischte die Trennlinie von Realität und Fiktion.

Hinzu kam – kaum verwunderlich – inmitten medialer Emotionalisierung eine stille Entpolitisierung. Voges nämlich führt den Rechtsruck sehr vereinfacht auf „die Dorfdeppen“ zurück, die sich dank Digitalisierung als Dorfdeppen aller Welt vernetzen. Es gehört zur spießigen Tragödie der Gegenwart, dass derlei simple Erklärungen auf ein zynisches Finale hinauslaufen: Die Widersprüche der Welt, in Voges Ästhetik sollen sie „als Schönheit erfahrbar werden“.

 

Die April-Ausgabe von Cicero können Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen.

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige