Närrische Zeiten - Die zum Dauerzustand gewordene Karnevalisierung der Politik

Vor zweihundert Jahren rollte der erste Rosenmontagszug durch Köln. Das hatte damals politische Relevanz. Inzwischen hat sich das Verhältnis von Karneval und Politik umgekehrt. Der Karneval ist unpolitisch geworden und die Politik karnevalesk.

Es bedarf zuweilen nicht immer einer Verkleidung, um närrisches Treiben zu erkennen: Außenministerin Annalena Baerbock / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist wieder einmal soweit: Die so genannte fünfte Jahreszeit nähert sich ihrem Finale. Spätestens wenn sich am Rosenmontag die großen Umzüge durch die Innenstädte von Köln, Düsseldorf und Mainz schlängeln, findet das närrische Treiben auch seinen offiziellen Höhepunkt. Insbesondere in den eben genannten und gerne als Hochburgen titulierten Rheinstädten gibt es dann kein Halten mehr.

In Köln feiert man heuer Jubiläum: 1823, genauer: am 10. Februar 1823 fand dort der erste Rosemontagszug statt. Und man versteht diese eigenartige Zeremonie nicht, wenn man übersieht, dass sie Produkt einer Verbürgerlichung ursprünglich eher anarchischer Zustände war. Aus einem zügellosen und fleischeslustigen kollektiven Besäufnis – carne vale: Fleisch, lebe wohl – sollte ein bürgerliches Fest mit gesellschaftspolitischer Botschaft werden. Zwischen vergnügungssüchtigem Volk und den hermetischen Festen des Adels beanspruchte nun das Bürgertum den öffentlichen Raum als Ort organisierter Selbstdarstellung.

 

Mehr aus der „Grauzone“:

 

Das richtete sich auch gegen die Preußen, die seit 1815 in Köln das Sagen hatten. Insbesondere König Friedrich Wilhelm III., im Grunde liberal gesonnen, jedoch dem Klassizismus und einer gewissen Contenance verpflichtet, fand das ursprünglich derbe rheinländische Treiben eher abstoßend.

Also beschloss man in Köln, die Anarchie in geordnete Bahnen zu lenken. Im Winter 1822/23 formierte sich das bürgerliche „Festordnende Comité“. Erster Karnevalsprinz war bezeichnender Weise ein Fabrikant: Emanuel Ciolina Zanoli, ein Produzent von Kölnisch-Wasser. Doch so ganz harmlos waren diese Veranstaltungen des selbstbewussten rheinischen Bürgertums nicht: 1830 etwa wurde der Umzug aufgrund zu politischer Inhalte verboten.

Man weiß, welche Satire genehm ist

Das ist heutzutage natürlich nicht mehr notwendig, im Gegenteil. Der Karneval ist brav geworden. Man weiß, welche Satire genehm ist und welche nicht. Also positioniert man sich unauffällig und kritisiert das, was alle kritisieren. Putin nimmt man dieses Jahr ins Visier, den Gas-Notstand, den Klimawandel und Giorgia Meloni mit Faschistenhaube – Jodd, wat sinn mir orjinell.

Aber die Jecken haben es auch nicht einfach. Wie soll man Karneval feiern in karnevalesken Zeiten? Junge Menschen, die sich fanatisiert auf Straßen festkleben; eine Chef-Diplomatin, die nebenbei den Krieg erklärt; ein Wirtschaftsminister, der nicht weiß, was insolvent bedeutet; eine Armee ohne Waffen, aber mit tollen Kitas; eine Regierung, die Kohle- und Atomstrom abschafft und diesen dafür importiert; ein Land, das den Verkehr elektrifizieren will, ohne auch nur annähernd die Infrastruktur dafür zu haben – und so weiter und so fort.

Passend dazu werden Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt. Emanzipation ist, wenn man mitmacht, Opportunismus gilt als Ausdruck von selbstständigem Denken und die Ausgrenzung von Meinung als Zeichen von Demokratie.

Das karnevaleske Element, es hat sich in den letzten Jahrzehnten nach und nach in die Politik eingeschlichen, forciert durch eine öffentliche Meinung, die der zunehmenden Karnevalisierung der Politischen geradezu euphorisch gegenüberstand und als Ausdruck von Progressivität verstand.

Grenze zwischen Narrheit und Vernunft ist aufgehoben

Ein wichtiger Grund für diese erstaunliche Entwicklung sind sicher die neuen Medien. Sie verwandeln die Politik in einen ganzjährigen Rosenmontagszug. Fast täglich wird ein anderer Motivwagen durch die mediale Öffentlichkeit gezogen. Von den großen Politvereinen werden die verbalen Kamellen mit vollen Händen über die Menge gekübelt, die Strüßjer fliegen und die Narrenprinzen winken dazu gut gelaunt ins Volk. Und kaum ist der eine Wagen vorbeigezogen, kündigt sich schon der nächste an.

Das funktioniert auch deshalb so gut, weil in einer zunehmend pluralistischen und hochgradig heterogenen Gesellschaft ein jeder des anderen Narr ist. Die klare Grenze zwischen Narrheit und Vernunft ist aufgehoben. Jeder hält den anderen für den Kasperl oder schlimmer noch: den Beelzebub. Das Ergebnis ist eine andauernde Kakophonie, die keinen Aschermittwoch kennt, sondern sich munter weiter und weiter perpetuiert.

So gesehen, sind die närrischen Tage geradezu eine Erholungsphase. Der harmlose Karneval der Straße und der Kneipen übertönt die zum Dauerzustand gewordene Karnevalisierung der Politik.

In diesem Sinne: Alaaf und Helau!

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