Kurz und Bündig - Julia Franck: Die Mittagsfrau

Immer stehen in Julia Francks Romanen gebrochene Frauen im Mittelpunkt. Das war in ihrem Debütroman «Liebesdiener» (1999) über den Alltag Dreißigjähriger in Berlin so, es gilt auch für den Roman «Lagerfeuer», der vor vier Jahren erschien und die Flucht einer Familie aus der DDR in den siebziger Jahren beschrieb.

Immer stehen in Julia Francks Romanen gebrochene Frauen im Mittelpunkt. Das war in ihrem Debütroman «Liebesdiener» (1999) über den Alltag Dreißigjähriger in Berlin so, es gilt auch für den Roman «Lagerfeuer», der vor vier Jahren erschien und die Flucht einer Familie aus der DDR in den siebziger Jahren beschrieb. Dabei handelt es sich jeweils um starke Frauen, die durch bestimmte Konstellationen ins Schwimmen geraten sind – wie jetzt auch in Julia Francks neuestem Roman «Die Mittagsfrau», der sich noch tiefer als die beiden vorigen Bücher in die Vergangenheit gräbt. «Die Mittagsfrau» erzählt von einem Mädchen, das zu Anfang des vorigen Jahrhunderts aufwächst und dessen exzentrische Mutter vollends verrückt wird, als der Vater kurz nach seiner Heimkehr an den Folgen seiner Kriegsverletzungen stirbt. Helene, die nicht lang zur Schule gehen darf und dann als Krankenschwester arbeitet, ist ganz auf ihre ältere Schwester zurückgeworfen. Sie beginnt, Techniken der Abschottung zu entwickeln. Dies bessert sich nur für kurze Zeit, als die Schwestern gegen Ende der wilden Zwanziger nach Berlin gehen. Helene lernt hier ihre große Liebe Carl kennen, der aber tödlich verunglückt. Nach dem kurzen, heftigen Aufflackern von Zukunftshoffnungen und einigem Überschwang in der Beziehung mit Carl verliert Helene den Zugang zu sich selbst. Sie muss sich von einem blonden Blauäugigen retten lassen, der sie heiratet, obwohl sie Jüdin ist. Julia Francks Figuren verdrängen, bis auch dem Leser Hören und Sehen vergeht – Helenes Gedanken verlieren sich mehr und mehr, und die Wirklichkeit wird umso bedrohlicher, je mehr die Protagonistin sie innerlich von sich wegschiebt; am Ende kann sie sich selbst ihrem kleinen Sohn nicht mehr öffnen. Krieg, Faschis­mus und brutale Nachkriegserfahrungen in der Sowjetisch Besetzten Zone hat diese Helene überlebt. Geblieben ist ihr eine Abstumpfung der Seele, wie sie intensiver lange nicht beschrieben wurde.

 

Julia Franck
Die Mittagsfrau
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2007. 430 S., 19,90 €

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.