Julia de Funès im Porträt - Hasch mich, ich bin vergrübelt

Die Philosophin Julia de Funès trägt einen berühmten Namen. Doch die Enkelin des großen Filmkomikers Louis de Funès beschäftigt sich eher mit ernsteren Dingen. In ihrem jüngsten Buch zerlegt die Französin die Woke-Ideologie mit gedanklicher Eleganz.

Julia de Funès / Foto: Laurent Carré
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Martina Meister ist Korrespondentin in Frankreich für die Tageszeitung Die Welt.

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Bei dieser Frau geht alles schnell. Julia de Funès rauscht in die Pariser Brasserie hinein, erkennt auf den ersten Blick, wer auf sie wartet, ist sofort im Thema – und in weniger als einer Stunde legt sie einen Schnelldurchlauf quer durch die philosophischen Herausforderungen der Gegenwart hin. Von der Arbeitsethik der Generation Z über Angst, Populismus, Neofeminismus, Verlust der Autorität bis hin zu Identitätspolitik und Woke-Welle. 

Julia de Funès, promovierte Philosophin, Buchautorin, Publizistin, Referentin, Mutter von zwei Töchtern, lässt kein Thema aus, das die Gegenwart prägt. In ihrem jüngsten Buch zerlegt die Französin die Woke-Ideologie mit gedanklicher Eleganz. „Im 21. Jahrhundert ist Identität zum Kardinalwert geworden“, konstatiert de Funès und zeigt in ihrem Buch auf, wie das berechtigte Bedürfnis nach Anerkennung von Opfern und Beendigung von Diskriminierung in das genaue Gegenteil umschlug und in eine gesellschaftliche Sackkasse geführt hat. Gewidmet ist „Le siècle des égarés“ („Das Zeitalter der Verirrten“) ihren Eltern und Großeltern, die ihr beigebracht haben, „aus einem Namen keine Identität zu machen, sondern einen Anspruch“, wie sie in der Widmung schreibt. 

Enkeltochter der Schauspielikone

Ihr Name ist nicht irgendeiner. Die 44-jährige Französin ist die Enkeltochter der Schauspielikone Louis de Funès, genauer gesagt von Louis Germain David de Funès de Galarza, der als Mischung aus Buster Keaton und Charlie Chaplin wie kein anderer den Nerv der französischen Volksseele der Wirtschaftswunderjahre traf. Während jener Trente Glorieuses verlief die Wachstumskurve der heimischen Wirtschaft parallel zur Kurve der verkauften Eintrittskarten für die Kassenschlager des Komikers. 

Während der Pandemie, als ganze Familien zu Hause im Lockdown saßen und die französischen TV-Anstalten mit den Klassikern von de Funès wieder ein Millionenpublikum vor den Fernsehbildschirmen fesselten, erwiesen sich Filme wie „Drei Bruchpiloten in Paris“ als bestes Gegengift gegen den Lockdown-Koller. „Die Philosophie und der Humor sind enge Verwandte“, sagt de Funès, „beide zwingen dazu, Abstand zu nehmen.“ 
 

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Julia de Funès, eine zierliche Frau mit freundlichen Augen, verbindlichem Lächeln, sitzt in der Brasserie Le Coq am Place du Trocadéro vor einem Tee und beteuert glaubhaft, dass sie es in Frankreich um jeden Preis vermeidet, über ihren Großvater zu reden. Eltern und Großeltern haben den „Kult des Vorfahren“ zu verhindern gewusst und allen eingebläut, dass sie sich nicht auf Lorbeeren ausruhen sollten, die sie nicht selbst verdient haben. Die Söhne des Schauspielers durften sich nicht im Scheinwerferlicht des berühmten Vaters sonnen, sondern mussten ihren eigenen Weg gehen. Der eine wurde Mediziner, der andere Pilot. 

Sie selbst war nur vier Jahre alt, als Louis de Funès mit 68 an seinem dritten Herzinfarkt starb. Aber die Erinnerungen sind noch präsent. „Mein Großvater war diskret, er war schüchtern, alles andere als überheblich“, erzählt sie. Ihre Familie habe drei Werte hochgehalten, die für sie bis heute gelten: „Takt, Demut und Selbstironie.“ Dass auch sie sich für ihren eigenen Weg entschieden hat, verdankt Julia de Funès ihrer Philosophielehrerin, die ihr eine „mentale Architektur“ aufzeigte, die sie als junge Abiturientin verzaubert hat. Sie wollte genauso stringent denken lernen, sich in „Objektivität üben, den Scharfblick auf die Gegenwart trainieren, rational auf die Dinge blicken“, wie sie es formuliert. 

Einblick in die Arbeitswelt

Nach dem Studium arbeitete sie über zehn Jahre lang als Personalmanagerin, eine Tätigkeit, die ihr Einblick in die Arbeitswelt verschafft hat, die bis heute im Zentrum ihres Nachdenkens steht. 2010 hat sie ihre eigene Consultingfirma gegründet. Die Nachfrage nach philosophischer Beratung sei noch nie so groß gewesen, berichtet de Funès. Die großen Unternehmen hätten jetzt begriffen, dass die Veränderungen der Pandemie unumkehrbar seien und sie junge Arbeitnehmer nicht mehr allein mit Tischkicker, Rutschbahnen und Yogakursen in ihre Firmen locken können. 

Doch de Funès will die Generation Z weder als faul abstempeln noch sich moralische Urteile über die jungen Menschen erlauben, die mit den alten Vorstellungen von Karriere gebrochen haben. „Die Arbeit hat ihren Stellenwert verloren, sie ist nicht mehr Selbstzweck. Heute will man sich in der Arbeit entfalten, sie muss sinnvoll sein“, resümiert de Funès. 

Die Philosophie bezeichnet sie als „alte Dame“, die sich wieder größter Beliebtheit erfreut. Sie sei eine Form von „weltlicher Spiritualität“, argumentiert de Funès. Sie verschaffe spirituelle Orientierung. Humor und Denken haben offensichtlich Konjunktur in Zeiten, da es immer weniger zu lachen gibt und die klaren Linien verschwimmen. 

 

 

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