Joana Mallwitz - Die Musikverliebte

Zu nett? Zu begeistert? Zu betulich? Genau das ist das Erfolgsgeheimnis von Joana Mallwitz, die Chefdirigentin des Berliner Konzerthausorchesters wird. Eine gute Wahl.

Joana Mallwitz wäre sicher auch eine Kandidatin für die Staatsoper in Berlin gewesen / dpa
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Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Vielleicht hat Joana Mallwitz ein bisschen zu früh Ja gesagt, als sie den Vertrag beim Konzerthaus­orchester in Berlin unterschrieb. Aber sie hatte Nürnberg auf allen Levels durchgespielt: fünf Jahre Generalmusikdirektorin, im zweiten Jahr bereits „Dirigentin des Jahres“ – und seither: eingeladen bei allen großen Orchestern. Ihr neues Berliner Ensemble kann ihr allerhand bieten. Das Konzerthaus ist als gemütliche Heimat für einen globetrottenden Familienmenschen sicherlich angenehm. Außerdem wird Mallwitz Nachfolgerin von Dirigentenlegenden wie Eliahu Inbal, Lothar Zagrosek, Iván Fischer oder Christoph Eschenbach – auch nicht schlecht. Aber hätte sie mit ihrer Unterschrift noch ein wenig gewartet, wer weiß: Für die Nachfolge von Daniel Barenboim an der Staatsoper bei der Staatskapelle Berlin wäre sie sicherlich ebenfalls eine heiße Kandidatin gewesen.

Joana Mallwitz war bereits als jugendliche „Frühstudentin“ an der Musikhochschule in Hannover eingeschrieben, wurde mit 27 Jahren jüngste Orchesterchefin Deutschlands an der Oper in Erfurt – dann kam die Karriere in Nürnberg. Und nun eben: Berlin. 

Eine leise Musikbegeisterte

Mallwitz’ Weg ging steil bergauf, und sie schien dabei keine Sekunde lang zu schwitzen. Dabei warnten ihre Freunde: „Lass es lieber sein.“ Mallwitz hätte nicht den Charakter, um Karriere im harten Dirigentenzirkus zu machen. Sie würde erröten, wenn ihr etwas peinlich sei, lächeln, wenn sie etwas erklärt. Ellenbogen hat sie höchstens dazu, um sie beim Essen nicht auf den Tisch zu legen. Joana Mallwitz ist das Gegenteil von Cate Blanchetts skrupelloser Filmdirigentin Tár. Sie ist ein Mensch, dem früher nur wenige eine große Karriere zugetraut hätten. Zu nett. Zu begeistert. Zu verliebt in die Musik.

Doch genau diese Tugenden sind heute das Erfolgsgeheimnis von Joana Mallwitz. Sie ist der Beweis, dass die Klassikszene sich ändert, dass die Pauken und Trompeten nicht mehr die ersten Geigen spielen, sondern dass auch das Piano längst eine Stimme hat. 

 

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Joana Mallwitz ist Publikumsliebling, auch, weil sie unbeirrbar an das Gute in der Musik glaubt, daran, dass ein Abend im Symphoniekonzert die Menschen verändern kann. „Alle hören zu, am Ende können sie es toll finden oder scheiße“, sagt Mallwitz (ja, sie sagt „scheiße“!), „aber Konzerte sind immer eine Zeit der gemeinsamen Erfahrung, ein Moment, in dem wir alle vereint sind.“ Manchmal käme es ihr nach einem Auftritt unwirklich vor, dass die Welt sich nicht grundlegend verändert habe, sagt Mallwitz. Weil sie daran glaubt, dass Musik Spuren hinterlässt. Immer. Und dass Musik jeden erreichen kann. Überall.

Vielleicht ja doch noch Staatsoper

Hin und wieder merkt man, dass die Dirigentin Kind eines Lehrerpaares ist. Egal, ob in ihren „Expeditionskonzerten“ oder ihrer Videoreihe, wo sie vom Klavier aus „Rundgänge“ durch verschiedene Klassikwerke unternimmt, Mallwitz wirkt zuweilen wie eine begeisterte Realschullehrerin. Ihr Habitus erinnert dann ein wenig an den deutschen Vater der Musik-Aufklärung, an Justus Frantz. Nicht falsch, nicht blöde – aber irgendwie: von gestern. Ein wenig betulich, ein bisschen aus der Zeit gefallen. Aber auch dafür wird Joana Mallwitz vom Publikum geliebt. 

Wenn sie dirigiert, wirkt sie aufgelöst in der Musik, voller Leidenschaft – sie weiß, was sie in den Partituren sucht. Und sie versucht, ihre Musikerinnen und Musiker durch tanzende Bewegungen mitzureißen. In der Regel gelingt ihr das sehr gut.

Und auch das ist eine Stärke von Joana Mallwitz: Sie vertraut dem Moment des Musikmachens mehr als seiner Nachlese. Als sie bei den Salzburger Festspielen Mozarts Oper „Così fan tutte“ dirigierte, überließ sie die Auswertung der Kritiken ihrem Mann, dem Tenor Simon Bode. Man nimmt der Mallwitz ab, dass sie Musik nicht aus Eitelkeit macht, dass sie einfach unbedingt Musik machen will. Und das erzählt sie auch gern: „Wenn die Menschen dir abraten, Dirigentin zu werden und du es trotzdem machst – dann bist du wahrscheinlich richtig in deinem Job.“

In ihrem letzten Symphoniekonzert in Nürnberg wollte das Publikum nicht aufhören zu applaudieren. Nach Mahlers vierter Symphonie standen Mallwitz’ „Herzensstücke“ auf dem Programm: Prokofjews „Krieg und Frieden“ – ihr erster großer Opernerfolg in Nürnberg, und die „Symphonie classique“, mit der sie vor fünf Jahren hier angetreten war. Am Ende kniete Intendant Jens-Daniel Herzog vor ihr nieder. Und Joana Mallwitz kniete sich ebenfalls auf den Boden. Weil sie eine Dirigentin auf Augenhöhe sein will. Im Sommer zieht sie mit ihrer Familie nach Berlin. Ihre Arbeit wird vom Konzerthaus bis in die Philharmonie strahlen. Und sie wird wissen, dass es vom Gendarmenmarkt zur Staatsoper nur ein Katzensprung ist.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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