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Helge Schneider - Jazz an der Wursttheke

Helge Schneider verweigert sich in seinem Album und seinem Film „00 Schneider - Im Wendekreis der Eidechse“ gekonnt aller Sinnzumutung

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Daniel Haas lebt als freier Autor in Hamburg. Zuletzt war er Kulturkorrespondent der NZZ in Berlin.

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Natürlich ist auch der Diener wieder dabei. Kommt alle 20 Minuten auf die Bühne, Tablett, Kanne, stoisches Gesicht. „Ah, der Tee!“, sagt der Maestro und nippt am Tässchen. „Der Arzt hat gesagt, ich muss viel trinken.“ Verschmitztes Lächeln. „Ist schon lange tot, der Arzt. Er hat zu wenig getrunken.“

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Helge Schneider 2013, die gefühlt tausendste Tour, aber es geht nicht anders. Er ist ein Live-Künstler, ein Performer, wie es auf Neudeutsch heißt. Irgendwann wird er sich auch diesen Begriff vorknöpfen, wird die Silben zerkauen oder das Wort so lange wiederholen, bis es sich semantisch selbst zersetzt. Denn das ist es, was Schneider tut: auftreten und einem verblüfften Publikum zeigen, was drinsteckt in unserer Sprache, wie viel Witz, Wahnsinn, absurde Energie.

Schubidu-Heiterkeit im Fräswerk der Nervensägen


Sitzt also am Flügel und blättert in den Noten. „Die Seiten rosten schon“, sagt er, und man weiß nicht, sind die des Klaviers gemeint oder die aus Papier. Dann gibt es Mondscheinsonate mit Hustenbegleitung. So wird sich Thomas Mann das Tuberkulose-Keuchen seiner „Zauberberg“-Patienten vorgestellt haben. Deutscher Kanon in der röchelnden Dadaversion. Die Tournee muss sein, weil es ein neues Album gibt. „Sommer, Sonne, Kaktus“, der Titelsong, hat das Zeug zum Ohrwurm, genauer gesagt: zur Tinnitusfassung eines Ohrwurms. Schubidu-Heiterkeit im Fräswerk der Nervensägen.

Touren muss Schneider aber auch, weil seine Kunst im Moment entsteht, ein Hin und Her ist zwischen Artist und Rezipient. „Call and response“ sagen die Jazzer dazu, einer gibt ein Motiv vor, ein anderer antwortet. Tatsächlich, der Mann, den sie von Sylt bis Stuttgart Helge nennen, als sei er der Tankwart von nebenan, macht Jazz. Wobei der Begriff strukturell zu nehmen ist. Ein spontaner Einfall beginnt, dann wird improvisiert. „Jazz bedeutet Freiheit innerhalb bestimmter Grenzen“, sagt er, oder zumindest glaubt man, dass er das gesagt hat, er hat den Mund voller Tapas.

Seine Plattenfirma hat zum Gespräch in die Beletage gebeten, inklusive opulentem Brunchbuffet. „Die verrücktesten Typen sind jene, die sich Grenzen auferlegen“ – das hat man jetzt verstanden. Aber dann schmuggelt sich ein Frischkäsetörtchen in die Aussprache, und schon klingt er wie im Song „Mr. Bojangles“. Auch ein Stück von der neuen Platte, ein amerikanischer Evergreen. Schneider singt ihn, als sei er Tom Waits, der gerade an Kehlkopfkrebs verendet. Zum Schluchzen traurig. Zum Schreien komisch.

Dieser Verzweiflungshumor hebt ihn über die Kollegen hinaus, über die Cindys und Krömers, die Berufsfreaks, die es ohne Schneider nicht geben würde. Dass übergewichtige Proletendarsteller heute mit Hartz-IV-Witzen den Mainstream erobern, ist auch ihm zu verdanken.

Seit 1993, als sein erstes Album erschien, erinnert uns Schneider daran, dass im Abseitigen, Dysfunktionalen zentrale Aspekte von Unterhaltung liegen. Entsetzen und Gelächter sind zwei Facetten derselben Stimulanz.

Wo die Dramatik liegt


Er selber sagt, „ich parodiere nicht, ich interpretiere“. Das klingt kokett in Anbetracht seiner Verballhornung etablierten Materials (das neue Album besteht fast ausschließlich aus Standards). Aber letztlich ist es wohl genau das: eine Auslegung bestimmter Formen gemäß der eigenen künstlerischen Haltung. Für den „Bojangles“-Song habe er sich in Imbissabteilungen von Supermärkten herumgetrieben und die Rentner belauscht. Was man da zu hören bekommt? „Die Frau ist gestorben. Koche jetzt Sachen aus der Tiefkühltruhe. Aber nee, danke, geht mir gut.“ Griff zur Bagelplatte, die auf einmal etwas sehr Tröstliches hat. „In solchen Momenten“, sagt Schneider, „liegt Dramatik.“

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Aber die muss man heraushören wie ein sehr raffiniertes, im Hintergrund spielendes Motiv eines Jazzsongs, und dann übersetzt man sie in eine „Bojangles“-Version, durch deren schlürfende Nuscheligkeit das ganze Elend eines Außenseiterlebens schwappt.

Helge Schneider interpretiert alles - auch Filme

Auch sein neuer Film „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“, der am 10. Oktober startet, ist eine Interpretation. Ausgelegt wird das amerikanische Kriminalgenre der dreißiger und vierziger Jahre. Schneider hat ein Faible für die Helden der Hardboiled-Ära, Philip Marlowe, Mike Hammer, harte Typen im Kampf gegen das Verbrechen, aber vor allem gegen sich selbst, gegen die eigene Einsamkeit und Verzweiflung.

Duisburg ist nicht New York und Schneider nicht Al Pacino, aber die Genreregeln werden exakt eingehalten. Es gibt korrupte Cops und zwielichtige Nachtclubs, Femmes fatales und sadistische Schurken. Die Produktionskosten dürften die des Buffets zum Interview nicht überschritten haben. Das Ganze erinnert an einen krass unterfinanzierten Fassbinder, der Ionesco verfilmt, der Chandler gelesen hat, oder umgekehrt.

Die Grenze der Zumutbarkeit will er weiter in Richtung Groteske verschieben, das gilt für die Musik wie für den Film. „00 Schneider“ endet mit einer fünfminütigen Tanzsequenz: der Kommissar in der Tiefgarage, sich um sich selbst drehend und windend, als sei’s der Ausdruckstanz eines Epileptikers. Was soll das? Soll das überhaupt was? „Das Leben hat keine Pointen“, hatte Schneider im Gespräch gesagt. „Und auch in der Kunst ist das Abgeschlossene nicht erstrebenswert.“ Bleibt also wieder alles offen mit Helge Schneider. Und auch das ist nur ein vorläufiges Fazit.

 

 

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