Flaue Adventsstimmung - Der Erlöser kommt leider wieder nicht

Bei unserem Genusskolumnisten mag sich keine echte Adventsstimmung einstellen. Zu bedrückend sind die vielfältigen Kriege und Krisen und der Zustand unserer Gesellschaft. Und so sucht er nach ganz kleinen Momenten der Besinnung und der Freude.

Der im Regen versunkene Römerberg in Frankfurt am Main / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Stell dir vor, es ist bald Weihnachten und keiner merkt es. Das ist sicherlich etwas übertrieben, aber von der viel besungenen Adventsstimmung ist wenig zu spüren. Das mag ein recht subjektiver Eindruck sein, aber in den meisten Straßen und Geschäften jenseits der großen Konsummeilen sind die in der Vergangenheit bisweilen arg üppigen Dekorationen auf ein Minimum reduziert oder fallen sogar komplett aus. 

Eine seit Jahrzehnten in einem Berliner Altstadtkiez präsente Blumenhändlerin beklagt, dass ihr klassisches Adventsgeschäft mit Kränzen und Gebinden quasi ausgefallen ist. Auch einige Gastronomen verzeichnen deutliche Einbußen beim Geschäft mit den Weihnachtsfeiern – wenn sie denn überhaupt genug Personal haben, um derartige Veranstaltungen durchführen zu können.

Wer glaubt noch an den Heiland

Dabei soll es doch, vor allem für Christen, eine Zeit der frohen Erwartung sein. Schließlich geht es ja um nichts Geringeres als die Geburt des Heilands, der die Menschheit von allen Übeln erlösen soll. Es soll eine frohe Zeit und vor allem eine Zeit der Vergebung, der Großzügigkeit, der Nächstenliebe, der Besinnlichkeit und des Friedens sein.  

Soweit die Theorie. Aber zum einen ist der Anteil der bekennenden Christen an der Gesamtbevölkerung kontinuierlich gesunken. Was weniger an der Zuwanderung aus nichtchristlichen Ländern als vielmehr an dem massiven Vertrauens- und Bedeutungsverlust liegt, den die christlichen Kirchen zu verzeichnen haben. Natürlich kann man sich auch als Agnostiker von einer adventlichen Stimmung erfassen lassen, sozusagen als säkulare Variante. Auch ich habe – fernab jeglicher religiösen Bindung – stets ein bisschen adventliche Deko zelebriert, mit Nadelgrün und Kerzen. Doch in diesem Jahr habe ich keine Lust dazu.

Keine Spur von Frieden und Besinnlichkeit

So was wie Adventsstimmung wird einem  – und das nicht erst seit diesem Jahr – zunehmend vergällt. Natürlich sind wir längst daran gewöhnt, dass es auch in der Adventszeit irgendwo in der Welt stets Kriege, Vertreibungen und Hungerkatastrophen gibt, und wir haben gelernt, das so gut wie möglich zu verdrängen. Doch das funktioniert nicht mehr. Der Krieg im Nahen Osten findet längst auch hier statt, wenn auch nicht mit Massakern, Bomben und Raketen. Und der Krieg in der Ukraine ist einfach viel zu nah und seine Folgen für Deutschland sind viel zu unmittelbar, um sie einfach ausblenden zu können.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Doch das ist nicht alles. Große Teile der Gesellschaft wirken zunehmend müde, kraftlos, ausgelaugt, wütend und vor allem nicht gehört. Viele haben Angst vor ihrer persönlichen Zukunft und vor dem gesellschaftlichen Verfall. Unsere vor gut zwei Jahren als „Fortschrittsprojekt“ angetretene Regierung ist längst nicht mehr handlungsfähig, sie verbreitet eher das Gefühl des Niedergangs als des Aufbruchs. Die Statements der meisten Politiker wirken seltsam entrückt und manchmal auch zynisch, Parteitage dienen nur noch der trotzigen Selbstvergewisserung, und das mitunter im Comedy-Format. Und während die AfD jetzt das erntet, was die herrschende Politik in den vergangenen Jahren gesät hat, stellt sich ausgerechnet unser Kanzler hin und wirft ihr vor, eine „Schlechte-Laune-Partei“ zu sein. Ohne sich zu fragen, wo die schlechte Laune denn herkommt, und wie man vielleicht für bessere Laune sorgen könnte.

Warum nicht mal gute Laune haben

Natürlich gibt es auch Gründe für gute Laune. Etwa beim Bahn-Vorstand, der sich pünktlich zur Adventszeit die Taschen mit „Erfolgsboni“ vollstopft, obwohl das Unternehmen eine Unpünktlichkeits-Rekordmarke nach der nächsten knackt und infrastrukturell auf der letzten Rille fährt. Was aber vollkommen unwichtig ist, denn der Bahn-Vorstand hat unter anderem seine Selbstverpflichtung zur Frauenquote in Spitzenpositionen sogar übererfüllt, was laut dem Berechnungsmodus für die Boni alleine dem Bahn-Personalchef Martin Seiler ein Zubrot von 256.000 Euro einbringt. Als ob es irgendeine Bahnkundin interessieren würde, ob der bundeseigene Konzern von Geschlechtsgenossinnen oder Männern zum Entgleisen gebracht wird.  

Das ist jedenfalls jener Martin Seiler, der nicht müde wird, im laufenden Tarifkonflikt mit der GDL gebetsmühlenartig zu verkünden, dass man über deren Forderung nach Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich nicht verhandeln will, da dies „maßlos überzogen“ sei. Bei den Lokführern sorgt das wiederum für eher schlechte Laune und Wut – was in diesem Fall auch gut und richtig ist.

Lob der kleinen Freuden

Es ist nicht einfach, in Zeiten großer multipler Krisen und alltäglichen Irrsinns einen klaren Kopf zu behalten und ein notwendiges Maß an Lebensfreude zu bewahren. Und so ist das Motto dieser Kolumne – Genuss ist Notwehr –  wichtiger und zeitgemäßer als ohnehin schon. Ich hoffe in der Adventszeit jedenfalls nicht erwartungsfroh auf einen Erlöser, sondern erfreue mich an ganz kleinen Dingen. Etwa daran, den mir bislang unbekannten Barockkomponisten Johann Christoph Pepusch für mich entdeckt zu haben. Ein in Berlin geborener Zeitgenosse von J.S. Bach und Händel, der in England große Werke in fast allen gängigen Genres schuf. Eine sehr gelungene neue Einspielung einiger seiner Werke höre ich derzeit rauf und runter.

Ich freue mich ferner, dass ich endlich wieder einen Wein entdeckt habe, der für meinen Geschmack optimal zu Austern passt und zudem vollkommen quer zu schnöseligen Wein-Narrativen steht. Denn der knochentrockene, sehr leichte „Elbling Tradition-Landwein der Mosel“ vom Weingut Ernst Hein kommt in der Literflasche mit Schraubverschluss für 5,50 Euro daher. Er bietet kein Aromenfeuerwerk, sondern ein stabiles Säuregerüst, feine Zitrusnoten und zarte Anklänge an grüne Äpfel – sonst nichts. Und er ist genau deswegen ein Traumpartner für die salzigen Austern.

Ich freue mich auch, wenn es mal nicht regnet – was in Berlin in den vergangenen Tagen eher selten der Fall war – und ich mit dem Fahrrad eine kleine, entspannte Runde an der Spree drehen kann. Und ich freue mich für die nächsten Tage auf ein paar Treffen in kleiner Runde mit angenehmen Menschen, mit gutem Essen, gutem Wein und guten Gesprächen.

Das alles ist nichts Besonderes, und mag angesichts der Zustände um einen herum vollkommen belanglos erscheinen. Aber vielleicht ist ja genau das der einzig gangbare Weg, um so eine Art Adventsstimmung zu erleben.         

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