Klimaschutzdebatte bei Anne Will - „Künstliche Verknappung mit sozialen Härten und ohne Klimaschutz“

Am Abend des gescheiterten Berliner „Klimaentscheids“ wird auch bei Anne Will über Strom, Wärme und Antriebstechnologien diskutiert. Konsens herrscht etwa darüber, dass Deutschland bei der Wärmewende hinterherhinkt. Ein Glück, dass zudem eine echte Expertin dabei war.

Talkrunde bei Anne Will mit Expertin Messari-Becker (r.) / Screenshot
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Wieviel Schmerz kann ein „Aktivisti*“-Herz ertragen? Erst scheitert der „Klimaentscheid“ in der Hauptstadt an dieser nervigen Nebensächlichkeit namens Bürgerwillen, weil jedem halbwegs vernünftigen Menschen eben klar ist, dass eine Stadt wie Berlin nie und nimmer bis zum Jahr 2030 – also 15 Jahre früher als angedacht – klimaneutral werden kann. Jedenfalls nicht, ohne die halbe Bevölkerung nach Brandenburg umzusiedeln, wo sie dann mit Spaten und Schaufeln die gesamte Region mit Windrädern zuspargelt, statt „irgendwas mit Medien“ oder Kunst oder Aktivismus oder allen drei zu machen. 

Und am Sonntagabend dieses gescheiterten Volksentscheids wird dann unter dem Titel „Schluss mit Gas, Öl, Diesel und Benzin – Hat die Ampel dafür einen Plan?“ auch noch bei Anne Will über Sinn und Unsinn von Wärmepumpen-Diktaten und Öl- und Gasheizungsverbannungswünschen diskutiert. Und zwar halbwegs vernünftig, was ganz viel mit einem Gast zu tun hatte, der wirklich wusste, wovon er redet – respektive sie.  

Ein kleiner Funken Hoffnung

Mit von der Partie waren Konstantin Kuhle, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Grünen-Politiker Jürgen Trittin, CDU-Vize Jens Spahn, Zeit-Journalistin Petra Pinzler und Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, die jüngst auch im Cicero Podcast Wirtschaft mit Daniel Gräber zu Gast war – und so etwas wie der realitätsbezugnehmende Konterpart zu den Robert Habecks und Luisa Neubauers der Klimarepublik Deutschland ist.

Dank des Klimaentscheids und Messari-Beckers Expertise jedenfalls, die sie bei Anne Will unter Beweis stellte, wächst im Autor dieser Zeilen ein kleiner Funken Hoffnung, dass auch Jürgen Trittin mittlerweile eingesehen hat, dass die Energiewende eben doch etwas teurer ist pro Bürgerkopf als „eine Kugel Eis“, wie er dereinst behauptete. Und dann wäre da ja noch Verkehrsminister Volker Wissing von der nicht immer zu Unrecht viel gescholtenen FDP, der wohl maßgeblich mitverantwortlich ist, dass die EU in Sachen Verbrenner jetzt doch ein bisschen mehr auf Technologieoffenheit und etwas weniger auf Planwirtschaft setzen wird. Chapeau, Herr Wissing!

„Der Ausbau der Elektromobilität ist ganz wichtig. Aber E-Fuels sind eine Ergänzung, die wir brauchen werden“, sagte FDP-Politiker Kuhle hierauf Bezug nehmend bei Anne Will. Ihm zur Seite stand in dieser Frage Jens Spahn von der CDU, der zu Protokoll gab: „Ich bin der festen Überzeugung, dass es nach 2035 auch noch Verbrennermotoren auf der Welt geben wird.“ Und es ist schon ein starkes Stück, dass man solch Selbstverständlichkeiten in Zeiten des überstürzten Handelns überhaupt aussprechen muss, aber gut, dass es jemand macht. 
 

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Spahn jedenfalls hatte einen Punkt, als er unterm Strich sagte, dass China – das von Grünen-Politiker Trittin wegen seines hohen Anteils an E-Autos am Individualverkehr gelobt wurde – zwar bei der Elektromobilität weiter sei als Deutschland, die Bundesrepublik aber beim Verbrenner deutlich weiter sei als China und es daher kein Grund zur Nicht-Hoffnung gebe, dass mehr Technologieoffenheit Deutschland gut tun würde, um international nicht den Anschluss zu verlieren.

Und auch Trittin hatte einen Punkt, als er sagte, dass für ihn die Frage noch relevanter sei, „ob wir eine Dekarbonisierung auch und gerade in den Industriebereichen hin(kriegen), die bisher vom Erdgas abhängig sind“. Außerdem stellte Trittin das Dienstwagenprivileg infrage und forderte, dass sich Deutschland mehr bemühen müsse beim Ausbau der Nahwärmenetze. Auch Letzteres macht Sinn – entsprechend herrschte darüber auch Konsens in der Runde. 

Haus- und Hofwissenschaftler der „Letzten Generation“

Zeit-Journalistin Pinzler wirkte am Sonntagabend leider eher überflüssig. Und als sie in einem ihrer ersten Statements – es waren nicht allzu viele – direkt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme, als Kronzeugen anführte, dass es schneller gehen müsse mit Maßnahmen gegen den Klimaschutz, war der Autor dieser Zeilen schon geneigt, ab sofort jedes Mal den „Mute“-Knopf zu drücken, wenn Pinzler an der Reihe war.

Denn Quaschning ist so etwas wie der Haus- und Hofwissenschaftler der „Letzten Generation“, der verlässlich mittrommelt von wegen Klimaapokalypse und der Politik (sic!) nach dem gescheiterten Klimaentscheid – für Quaschning eine vertane Chance, „Geschichte (zu) schreiben“ – auf Twitter vorwarf, „Angst vor mehr Klimaschutz“ zu haben; was offenkundig Blödsinn ist. 

Ich frage mich, warum Leute wie Quaschning eigentlich so viel Angst davor haben, einfache Realitäten anzuerkennen und das, was CDU-Vize Spahn richtigerweise bei Will anmerkte: nämlich, dass überstürztes und kostspieliges Handeln auf Basis von Realitätsverweigerung „viel Akzeptanz kostet“ bei der Bevölkerung für den Klimaschutz, schließlich seien Auto und Haus die „größten Vermögensentscheidungen“ vieler Menschen im Land. (Nicht anders als die nervigen Aktionen der „Letzten Generation“ übrigens, die mit ihrem infantilen Protest dem Klimaschutz ebenfalls einen Bärendienst erweist.) 

Weg der künstlichen Verknappung

In dem Zusammenhang wurde dann auch über Habecks Vorstöße bei den Wärmepumpen und bei Öl- und Gasheizungen diskutiert. „Wir haben das Problem, dass wir keinen Plan haben, wer all die Wärmepumpen einbauen soll“, sagte Kuhle, der damit einmal mehr den nicht ganz unentscheidenden Faktor Realitätsbezug (Handrwerkermangel) ins Spiel brachte. Und Zeit-Journalistin Pinzler bekam doch noch die Kurve und sagte auch kluge Sachen, zum Beispiel: „Wenn die Ampel im Moment etwas verkehrt macht, dann ist es, dass sie die soziale Frage nicht wirklich diskutiert.“ Oder auch: „Wir sind das Land, in dem Technologie immer wichtig war.“

Nun aber endlich zum besten Gast in der Runde: Lamia Messari-Becker. Wenn Messari-Becker sprach, lauschten alle Teilnehmer – inklusive der Moderatorin – genau und geduldig. Und dazu hatten sie auch allen Grund wegen all der richtigen und wichtigen Sachen, die Messari-Becker am Sonntagabend zu sagen hatte. Im Folgenden eine Auswahl.

„Nachhaltige Mobilität bedeutet, dass wir viele Möglichkeiten haben, dass die Menschen günstig von A nach B kommen.“ / „Ich kann natürlich auch mit Strom heizen, aber ich kann nicht Gebäude, Industrie und Verkehr nur noch mit Strom versorgen.“ / „Wir brauchen eine Diversifizierung, damit wir eine Versorgungssicherheit haben.“ / „Deutschland hängt auch von Klimakooperationen mit anderen Ländern ab.“ / „Wir laufen gerade auf eine künstliche Verknappung zu mit sozialen Härten und ohne großen Klimaschutz.“ / „Eigentlich muss der Staat erstmal seine Hausaufgaben machen.“ Rumms! 

Auch Messari-Becker plädierte dafür – und obwohl sie gleichzeitig etwa kritisierte, dass Deutschland bei der „Wärmewende“ verglichen mit anderen Ländern 30 Jahre hintendran sei –, sich nicht nur um Klimaschutz zu bemühen, sondern auch darum, diesen nicht mit der Brechstange auf dem Rücken der Menschen im Land nach dem Prinzip „Koste es, was es wolle“ durchzudrücken: „Geben Sie den Menschen mehr Zeit und Optionen, da mitzugehen“, sagte sie. Natürlich hat Messari-Becker damit Recht. Und vielleicht führt Zeit-Journalistin Pinzler bei der nächsten Debatte lieber diese Frau als Kronzeugin für eine kluge Klimapolitik ins Feld – und nicht einen Wissenschaftler, der komische Sachen twittert. 
 

Hier geht’s übrigens zum Cicero-Podcast mit Messari-Becker. 

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