Negative Campaigning in Bayern - Alle 11 Minuten schmutzkübelt ein Sozialdemokrat über Twitter

Eine aktuelle Studie wirft ein Schlaglicht auf die politische Diskursfähigkeit von SPD und Grünen in Bayern. Demnach betreiben die Parteien deutlich mehr Negative Campaigning rund um die anstehende Landtagswahl als die Konkurrenz.

Der bayerische SPD-Chef Florian von Brunn bei der „AusgeTrumpt“-Demo in München / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Wahlen allein machen noch keine Demokratie“, sagte einmal der ehemalige US-Präsident Barack Obama. Recht hat er. Für eine lebendige Demokratie braucht es deutlich mehr, darunter die Bereitschaft zur inhatlichen Diskussion und zum Meinungsaustausch; Toleranz gegenüber anderen Meinungen, sofern diese keine strafrechtlichen Grenzen überschreiten. Außerdem sollten von Seiten der Politik echte Angebote an den Wähler gemacht werden, die sich nicht marktschreierisch darin erschöpfen, stets zu betonen, dass jene der Konkurrenz einfach nur schlecht seien. 

Interessant ist in dem Zusammenang allemal, dass im linksgrünen Milieu viel und gerne über Demokratie gesprochen und vor dem Ende selbiger gewarnt wird, wenn es zum Beispiel darum geht, die Bundesrepublik vor dem vierten Reich zu bewahren, das in Gestalt der AfD bereits an die Tore klopfen soll. Manch einer, wie Georgine Kellermann vom WDR, findet sogar, dass man die Demokratie auch mit undemokratischen Mitteln verteidigen müsse. Intellektuell ein ziemlicher Offenbarungseid, wenn Sie mich fragen, weil das in etwa so ist, als wolle man die Gesellschaft dadurch befrieden, dass man herumrennt und anderen Menschen auf die Fresse haut.

Schlaglicht auf die Diskursfähigkeit

Eine Demokratie, die mit undemokratischen Mitteln verteidigt wird, ist keine Demokratie. Und eine Demokratie, in der sich Politiker dem inhatlichen und damit konstruktiven Streit der Meinungen verweigern und vor allem auf die Diffamierung des politischen Gegners aus sind, hat mindestens einen behandlungsbedürftigen Meniskusschaden.
 

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Jüngst ist in dem Zusammenhang ein vielsagender Teil einer Studie publik geworden, der ein Schlaglicht auf die Diskursfähigkeit – und damit letztlich auch auf die Demokratiefähigkeit – linksgrüner Politiker in Bayern wirft: Alle 11 Minuten pöbelt ein bayerischer Sozialdemokrat auf Twitter*: So oder so ähnlich lässt sich frei nach dem bekannten Slogan einer Partnervermittlung eine Erkenntnis beschreiben, die auf Jasmin Riedl, Professorin für Politikwissenschaft an der Bundeswehr Universität München, und ihr Team zurückgeht.

Linksgrüne „Schmutzübelkampagnen“

Riedl leitet das Projekt „Sparta“, in dessen Rahmen Twitter-Daten vor Landtagswahlen in Echtzeit analysiert werden. Dafür werden Tweets der Partei- und Fraktionsaccounts der Spitzenkandidaten oder des Vorstandes ausgewertet. Das hilft etwa dabei, zu identifizieren, zu welchen Themen die ausgewerteten Accounts besonders fleißig twittern. Schöner Nebeneffekt: Auch eine Auswertung zum Thema Negative Campaigning ist Teil dieser Arbeit, womit gemeint ist, dass Parteien versuchen, beim Wähler zu punkten, indem sie den politischen Gegner schlecht dastehen lassen. Im Österreichischen nennt man derlei „Schmutzkübelkampagnen“, was es deutlich besser auf den Punkt bringt. 

Riedl und ihr Team haben jedenfalls herausgefunden, dass bayerische Politiker von SPD (36 Prozent der ausgewerteten Tweets) und Grünen (32 Prozent) besonders gerne Negative Campaigning rund um die im Freistaat anstehende Landtagswahl auf Twitter betreiben. Erst mit ordentlich Abstand folgen Politiker der AfD (20 Prozent), der CSU (18 Prozent), der Freien Wähler (16 Prozent) und der FDP (11 Prozent). Ergo: Jene, die von sich glauben und gerne behaupten, besonders demokratisch, tolerant und vielfalftsaffin zu sein, tun sich offenkundig schwer damit, die sachliche Ebene im politischen Streit nicht zu verlassen. 

Eine regelrechte Hysteriewelle

Mich wundert das mit Blick auf die bayerische Politik kein bisschen, deckt sich dieses Ergebnis doch sehr gut mit meiner anekdotischen Empirie: Man denke nur an den Auftritt des Freien-Wähler-Chefs Hubert Aiwanger bei der von der Kabarettistin Monika Gruber organisierten Heizungs-Demo in Erding. Seine Rede hat eine regelrechte Hysteriewelle unter bayerischen Politkern von SPD und Grünen ausgelöst, weil man dort offenkundig weder das Prinzip Bierzelt verstanden hat, aber sich auch sonst schwer tut mit Kritik an der eigenen Politik. 

Auf Twitter war anschließend der Teufel los. So behauptete etwa meine liebste Grünen-Politikerin aus Bayern, Jamila Schäfer, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder – der ebenfalls bei der Demonstration gesprochen hatte – und sein Vize Hubert Aiwanger hätten „mit Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen einem gemeinsamen Feindbild“ gefröhnt. Und die Grünen reichten sogar einen Dringlichkeitsantrag im Bayerischen Landtag ein, weil Aiwanger ein „geistiger Brandstifter“ (Grünen-Chefin Katharina Schulze) sein soll. Die Partei forderte Markus Söder auf, Aiwanger aus dem Amt zu entlassen – was freilich an den Mehrheitsverhältnissen im Bayerischen Landtag scheiterte. 

„Schönsödern“ und „machenstattsödern“

Wer unliebsame Konkurrenz derart plump absägen will, ist an einer inhatlichen Auseinandersetzung nicht interessiert. Wer so handelt, sollte den eigenen Demokratiekompass dringend zur Reperatur bringen. Gleiches gilt auch für die bayerische SPD, die sich mit einem Tweet unter anderem in die Aufregung über das ZDF-Sommerinterview mit Friedrich Merz einklinkte – freilich mit Verweis auf das Dritte Reich. Denn drunter macht man es bei der SPD in Bayern eben nicht: „Jetzt wirft #Merz alle Prinzipien über Bord und ist sogar zur Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten bereit. Wer das auf kommunaler Ebene macht, ist bald auch im Land und Bund dabei. Offenbar nichts gelernt aus der Geschichte ...“

Überhaupt die bayerische SPD: Begriffe wie „schönsödern“ oder „machenstattsödern“ gehören bei den Genossen im Freistaat, die in meinen Breitengraden mit Blick auf den Landtag ohnehin eher Nischenpartei sind, zum Grundrepertoire im derzeitigen Wahlkampf. Und als Reaktion auf die Heizungs-Demonstration in Erding organisierte man im Juni gemeinsam unter anderem mit den Grünen gleich eine ganze Gegendemo unter dem Titel „AusgeTrumpt“, mit der man gegen einen „rechten Kulturkampf“ und gegen „populistische Rhetorik“ aufstehen wollte.

Das linksgrüne Mindset dahinter brachte besonders gut die Vorsitzende von Verdi Bayern, Luise Klemens, auf den Punkt: „Wir sind die Guten“, sagte sie in einer Rede. Kann man so machen, heißt aber eben auch: Die anderen sind die Bösen. Ein „produktiver politischer Diskurs mit Themen und Lösungen“, den Klemens ebenfalls forderte, sieht definitiv anders aus. Aber es passt halt ins Bild, das dank Riedl und Team nun auch empirisch bestätigt wurde. Wer nicht inhaltlich streiten kann oder will, muss halt schmutzkübelkampagnen. 

*Die Studienautorin hat die Redaktion gebeten, an dieser Stelle deutlich zu machen, dass es sich lediglich um ein rhetorisches Stilelelement handelt. Die genannten 11 Minuten gehen aus der Studie freilich nicht hervor. 

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