Der Flaneur - Lob des Lärms

Manchmal muss es einfach laut werden. Automotoren, die nur noch leise vor sich hin surren, sind für viele Autofahrer eher Quell der Kränkung als des Stolzes. Was sich die Wagenbauer von Staubsaugern abschauen sollten, erklärt unser Kolumnist Stefan aus dem Siepen.

„Brumm brumm!“ ist out. Sollen Kinder mit Spielzeugautos künftig etwa nur noch leise hauchen? / dpa
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Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Der Straßenverkehr wird leiser. Das Dröhnen der Motoren, dieses liebenswürdige Grundgeräusch der Moderne, zieht sich, langsam, doch stetig, zurück. Immer mehr Autos fahren elektrisch, daher muss man als Flaneur noch schärfer aufpassen als früher, um nicht – jetzt lautlos – überrollt zu werden. Selbst Busse schweben so leise heran, wie es bisher nur Straßenbahnen taten; diese erzeugen wenigstens noch kreischende Geräusche in den Gleisen, doch auch dagegen findet sich sicher bald ein Mittel. Passagierflugzeuge gleiten mit dezentem Flüstern, fast wie Segelflieger, durch den Himmel; es scheint, dass sie selbst von Flugscham ergriffen sind, daher stehlen sie sich möglichst unauffällig über unsere Köpfe hinweg. 

Die Freude über diese Entwicklung ist nicht ungeteilt. Viele Autofahrer empfinden es als eine seelische Kränkung, dass sie nicht mehr so herrlich lärmen dürfen wie früher. Als fühlender Mensch habe ich dafür Verständnis. Das Dröhnen ist die Seele des Autos – der „Verbrenner“ singt, in weitem Radius hörbar, das Hohelied der Kraft und Geschwindigkeit! 

Lärm ist Leistung

Schon kleine Kinder machen, wenn sie mit ihren Blechautos spielen, freudig „Brumm brumm!“; sollen sie etwa künftig nur noch hauchen? Einen Ferrari hört man schon von Weitem herankommen, der Motor brüllt, faucht, gurgelt, als streifte ein Löwe durch die Straßen. Ist es nicht ein barbarischer Akt, ein solches Prachtauto mit einem E-Motor auszurüsten? Der Rocker auf seiner Harley-Davidson kennt im Leben kein größeres Erfolgserlebnis als das Donnern seines Auspuffs. Was wird aus ihm, wenn sein Potenzsymbol nur noch säuselt?

 

Mehr vom Flaneur:

 

Marktforscher haben herausgefunden, dass Staubsauger, die mit einem sehr leisen Motor ausgestattet sind, bei den Kunden wenig Anklang finden. Sie gelten als nicht saugkräftig – Lärm steht für Leistung! So erklärt es sich, dass selbst die fortgeschrittensten Modelle noch immer ein solides Brummen hören lassen. Lautlose Sauger mögen für Altersheime geeignet sein, nicht für den coolen Hausmann und die dynamische Powerfrau!

Wann kommt der laute Stromer?

Nochmals die Marktforschung: Kartoffelchips erfreuen sich beim Kunden umso größerer Beliebtheit, je lauter das Krachgeräusch ist, das beim Essen entsteht. Lärm als sinnlich-ästhetischer Genuss! Die Herstellerfirmen arbeiten am „Geräuschdesign“, um den akustisch optimalen Chip zu erzeugen. Knabbereien, die still zwischen den Zähnen zusammenfallen, sind wie ein Elektroporsche.

Wenn man mit dem Handy ein Foto macht, ertönt jenes klickende Geräusch, das man von den alten Kameras her kennt. Es zeigt an, dass „etwas geschieht“, dass das Handy „arbeitet“. So winzig der Laut auch sein mag – er beruhigt die Nerven. Wo man nichts hört, beschleicht einen Ungewissheit. Hinter der Stille lauert das Nichts. 

Seit Jahren werden die Karosserien der Autos immer wuchtiger, die Kühler immer aggressiver, die Scheinwerfer immer größer. Man ahnt den Grund: Die optische Auftakelung soll dazu dienen, die frustrierten Kunden zu trösten, ihnen wenigstens einen schwachen Ersatz für den akustischen Verlust zu bieten. Wer im Rückspiegel das haifischartige Gesicht des neuen BMW auftauchen sieht, zuckt zusammen wie beim Röhren eines V12-Motors.

Derlei gab es schon früher. In meiner Jugend brachten viele Opel-Kadett-­Fahrer an der Antenne ihres Vehikels einen Fuchsschwanz an. Dieser ersetzte nicht nur PS, sondern auch Dezibel. Einfälle sind alles! Warum entwickeln die Hersteller nicht endlich einen E-Motor, der ebenso laut röhrt wie ein Verbrenner? Was uns bei Staubsaugern recht ist, sollte uns bei Autos billig sein.

 

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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