Corona-Berichterstattung - Mal wieder herrscht Vertrauenskrise

In Krisenzeiten sind Journalisten in besonderer Weise gefordert, möglichst fair und kritisch zu berichten. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie lässt sich bilanzieren: Das ist den deutschen Medien in der Summe nicht ausreichend gelungen. Dabei sind die Versagensmuster in der Corona-Berichterstattung gar nicht neu. Im Gegenteil: Man kennt sie schon aus anderen Krisen – und hätte es von Anfang an besser machen können.

Ein Stapel Tageszeitungen (Symbolbild) / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Mit jeder Zeile, die ich als Journalist schreibe, laufe ich Gefahr, einen Fehler zu machen. Hier ein kleiner Blick hinter die Kulissen meiner Arbeit: Meine größte Achillesferse sind – und das mag banaler klingen, als es ist – Namensschreibungen. Ich weiß nicht, warum, aber ich neige dazu, aus einem Torben einen Thorsten zu machen oder aus einem Martin einen Markus. Das ist ärgerlich, weil ein Text noch so gut recherchiert und geschrieben sein kann. Dem Leser fällt halt meist ins Auge, was offensichtlich ist. Und weil das so ist, kontrolliere ich die Namen, die in meinen Texten vorkommen, mittlerweile immer und immer wieder, bis ich ganz sicher bin, dass Thorsten nicht Torben heißt. 

Warum ich das erzähle? Weil Menschen Fehler machen und auch Journalisten nur Menschen sind. In Krisenzeiten wie diesen, in denen meine Zunft besonders gefordert ist, weil die Leute freilich wissen wollen, was zur Hölle da draußen los ist, stehen wir gleichwohl unter besonderer Beobachtung. Und nicht selten wird dann mit dem Ziel genauer hingeschaut, nicht das große Ganze zu sehen – die gute Recherche und die gute Schreibe –, sondern akribisch zu forsten nach Unstimmigkeiten, Fehlinformationen oder schlicht nach irgendeinem Blödsinn, dem der Journalist, weshalb auch immer, aufgesessen ist.

Eine Handvoll Irrer

Diese Einleitung soll nicht als Beschwerde verstanden werden. Mir geht es um etwas anderes: Aus Fehlern – Binse hin oder her – lernt man, und idealerweise ist man hinterher klüger als davor und vor allem beim nächsten Mal. Doch wer sich, wie ich, schon länger mit Medien beschäftigt – nicht nur, weil ich in der Branche tätig bin, sondern auch regelmäßig über sie schreibe –, der kommt vielleicht zu dem Schluss, dass die Corona-Berichterstattung unschöne Parallelen aufweist zu jener über andere viel diskutierte Krisen der jüngeren Zeit, über den Klimawandel etwa, aber auch über die Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016, deren politische und gesellschaftliche Nachwehen heute noch spürbar sind.

Das beginnt beim Offensichtlichen, wie etwa der Zuschreibung gewisser Etiketten, die wahlweise überaus schwammig („Schwurbler“) daherkommen oder nicht von ungefähr an „Holocaust-Leugner“ erinnern. Oder dort, wo bei der Berichterstattung über Demonstrationen explizit auf jene fokussiert wird, die zweifellos unangenehme Zeitgenossen sind und in der Folge dann derart ins Zentrum eines Beitrags rücken, dass der Rezipient zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen muss, 50 Neonazis stünden exemplarisch für 3000 Demonstranten – oder für fast ein Viertel der Bevölkerung, das nach wie vor ungeimpft ist.

Die Tücken der Distanzierung

Zweifellos kommt es im Zuge der Corona-Demonstrationen zu Aufmärschen von Rechtsaußen. Das ist nicht schön, aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass es, nüchtern betrachtet, überaus verwunderlich wäre, wenn Rechtsradikale nicht an Demonstrationen teilnehmen würden, bei denen es im Kern um Kritik am Regierungshandeln geht; was in anderen Zeiten und bei anderen Themen ebenso auf Genossen aus dem linksradikalen Spektrum zutrifft. Man denke an die gewaltsamen Proteste am Rande des G20-Gipfels in Hamburg.

Andererseits – und das wird bei all den Distanzierungsforderungen in all den Meinungsspalten dieser Republik gerne vergessen – hat auch das Distanzieren seine Tücken: Es ist nämlich gar nicht so einfach, einzelne Personen von einer öffentlichen Demo auszuschließen, solange sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Meist bleibt da als letztes Mittel nur, ihnen kein Rederecht zu geben, sie also nicht mit Mikro auf die Bühne zu lassen. Unten demonstrieren können sie freilich trotzdem. Und was meine Sicht auf derlei angeht, so finde ich es mindestens genauso schäbig, aktiv den Schulterschluss mit Neonazis zu suchen, wie von einer legitimen Meinung abzuweichen, bloß weil andere selbige in ihr verqueres Weltbild einzubinden wissen.

Ein neues Reportergenre

Im Zuge dessen hat sich in den vergangenen Jahren dennoch ein – wie ich finde – seltsames neues Reportergenre entwickelt, das seinen Ursprung wohl im Boulevard hat und das sich auch bei der Berichterstattung über die Corona-Proteste einer gewissen Beliebtheit erfreut: Journalisten suchen, meist mit der Kamera in der Hand, gezielt die Konfrontation mit ausgewählten Protestlern, bei denen man schon aus der Ferne erkennen kann, dass das Depperl-Level relativ hoch ist, um dann hinterher darüber zu berichten, dass es zu einer Konfrontation gekommen ist.

Selbstredend: Angriffe auf Journalisten sind immer und überall inakzeptabel. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, weil es da nichts zu diskutieren gibt. Aber ich sehe schon einen Unterschied darin, ob Gewalt einseitig und aktiv von Protestlern ausgeht, weil die es nicht ertragen können, dass Journalisten einfach nur ihren Job machen. Oder ob ein Journalist eine Konfrontation gezielt sucht, weil er bestimmte Bilder für seine Berichterstattung braucht oder für die eigene, reichweitenoptimierte Selbstvermarktung in Funk und Fernsehen.

Bevor Sie jetzt trotzdem empört gegen den Krischke posten, möchte ich anmerken: Ich war als Journalist selbst auf solchen Demos, werde wohl auch wieder über eine dieser Corona-Demos berichten und habe selbstredend großes Interesse daran, als Journalist in einem Stück in den Feierabend zu kommen. Es ist nur so, dass ich in den vergangenen Jahren eher die Erfahrung gemacht habe, dass die meisten Menschen sehr gesprächsfreudig sind, wenn man sie nur höflich fragt. Ich finde es auch nicht verwerflich, einen Depp einen Depp sein zu lassen und sich jenen zuzuwenden, die möglicherweise ein legitimes Anliegen haben. Außerdem ist eine reine Überlegung noch keine finale Wertung, und das Hinterfragen – auch des Handelns meiner Zunft – Teil meiner Jobbeschreibung. Oder auch, zu fragen, woher diese Aggressionen gegen Journalisten eigentlich kommen.

Ein halbseidenes Gewerbe

Zur Wahrheit gehört freilich, dass auch ich gewisse Prinzipien habe, was meine Vorstellungen von halbwegs gutem Journalismus über das reine Handwerk hinaus angeht. Ich bin zum Beispiel kein Freund davon, wenn Journalisten durchs Gendern aktiv in die deutsche Sprache eingreifen oder alles, was sie tun, immer mit so einem moralischen Impetus versehen, als wollten sie sich für das Amt des Bundespräsidenten bewerben. Daher glaube ich auch nicht, dass es Aufgabe des Journalismus ist, Menschen vom Impfen zu überzeugen, weil das angeblich ein Akt der Solidariät sei. Das klingt mir zu sehr nach Bibelkreis.

Der Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer sagte mir im Gespräch einmal treffend, dass der Journalismus schon immer auch ein „etwas halbseidenes Gewerbe“ gewesen sei, und das sei auch gut so. Und ich finde, da ist viel Wahres dran. Denn freilich ist Journalismus nicht nur Informationsvermittlung, sondern auch Unterhaltung, also Entertainment, wie man neudeutsch sagt. Die allermeisten Leser, Zuhörer und Zuschauer wollen eben nicht nur sachliche Informationen, sondern auch gute Bilder und knackige Zitate.

Und ja, auch Journalisten haben Gefühle und Meinungen – und gerade in aufgewühlten Zeiten wie diesen ist es eben besonders schwer, sich davon immer frei zu machen. Denn auch für mich schließt das Wirtshaus in Bayern um 22 Uhr, und auch ich muss mich beim Einchecken in ein Hotel in Hannover an die 2Gplus-Regel halten, obwohl ich die für idiotisch halte. Da nützt es auch nichts, wenn ich an der Rezeption wie wild mit meinem Presseausweis winke. Gleiches Recht für alle. Außer beim Genesenenstatus freilich, da sind Bundestagsabgeordnete eben gleicher als andere.

Eine gewisse Fairness

Nein, auch Journalisten sind nicht frei von Emotionen. Genau deshalb ist es auch so wichtig, sich eine Meinung erst zu bilden, bevor man sie hat. Etwa, indem man sich nach bestem Wissen und Gewissen mit Sinn und Unsinn der Corona-Maßnahmen auseinandersetzt. Oder, indem man sich mit Demonstrationen erst beschäftigt, bevor man über sie schreibt, und sich wenigstens bemüht, Menschen, die gegen die Corona-Politik auf die Straße gehen, als Individuen zu sehen – nicht als homogene Gruppe, bei der sich von dem, was der eine sagt und tut, auf das, was der andere denkt, schließen lässt.

Das Ergebnis mag dann trotzdem nicht objektiv sein, weil man eben nicht alle 4000 Menschen, die zum Beispiel in München „spazierengehen“, ausführlich zu ihrer Weltsicht befragen kann. Aber dadurch gelingt vielleicht immerhin, dass sich in der eigenen Berichterstattung nicht nur Narrative und Klischees spiegeln, sondern auch der Wille des Journalisten erkennbar ist, sich einem Thema mehr oder weniger ergebnisoffen und in einer gewissen Fairness gegenüber allen Beteiligten zu nähern. Ich glaube, die meisten Leser haben dafür auch ein sehr feines Gespür.

Panikmache oder wirklichtkeitsgetreues Bild

Doch weil ich jetzt schon über 10.000 Zeichen über Journalismus geschrieben habe, wird es auch langsam Zeit, zum aktuellen Anlass dieses Textes zu kommen. Es gibt eine neue Umfrage des Allensbach-Instituts, das bekanntermaßen eher unverdächtig ist, in Komplizenschaft mit jenen zu stehen, die ständig von der „Systempresse“ raunen und deshalb – was ein bisschen lustig ist – jetzt alles glauben, was ihnen „alternative Medien“ und Blogger mit Sitz in Taka-Tuka-Land über die große Verschwörung des polit-medialen Komplexes erzählen.

Jedenfalls wollte das Allensbach-Institut in einer repräsentativen Umfrage zum bereits dritten Mal wissen, wie die Menschen im Land die Arbeit der hiesigen Journalisten in Seuchenzeiten bewerten. Die Frage lautete: „Vermitteln die Medien bei der Berichterstattung über Corona ein ‚wirklichkeitsgetreues Bild‘ der Lage oder ist das eher ‚Panikmache‘?“ Mal abgesehen davon, dass ich den Begriff „die Medien“ problematisch finde, weil es zwischen, sagen wir, RTL und arte und der Neuen Zürcher Zeitung und der taz doch gewisse Unterschiede gibt, ist das Ergebnis sehr ernüchternd.

Während im Jahr 2020 noch 47 Prozent der Befragten angegeben haben, die Medien zeigten ein „wirklichkeitsgetreues Bild“, hat sich die Stimmung innerhalb von zwei Corona-Jahren gänzlich gedreht. In der aktuellen Umfrage geben nun 46 Prozent der Befragten an, dass die Medien „Panikmache“ betreiben würden. Und nur noch 28 Prozent finden, sie bekämen aus den Redaktionen des Landes ein „wirklichkeitsgetreues Bild“ geliefert. Ich finde das verstörend und einen guten Anlass für Journalisten, mal wieder in sich zu gehen und darüber nachzudenken, was sie in den vergangenen zwei Jahren so alles getrieben haben.

Ein schleichender Misstrauensprozess

Ich schrieb ja bereits über gewisse Parallelen, die ich in der Berichterstattung über die Corona-Krise und jener über die Flüchtlingskrise zu erkennen meine. Das Ergebnis der Allensbach-Umfrage ist das nächste Déjà-vu. In diesem Fall, was die Bewertung der journalistischen Arbeit im Land durch die Bevölkerung angeht. Das Vertrauen in die Medien hat auch während der Flüchtlingskrise sehr gelitten, nicht sofort, aber mit der Zeit. So sehr, dass sich Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo später gar bemüßigt fühlte, um Entschuldigung zu bitten.

Auch in der Corona-Debatte zeigt sich langsam, was wir aus anderen Zusammenhängen bereits kennen: Kollegen (und damit meine ich dezidiert nicht Herrn di Lorenzo), die lange scharf jeden kritisiert haben, der in der Debatte über die Corona-Politik anderer Meinung war als sie, entdecken in sich den umsichtigen Versöhner, der doch immer nur auf Vernunftbasis getobt haben will.

Ich finde das ein bisschen ärgerlich, weil derlei Ausflüchte unnötig wären, wenn man von Anfang an fair geblieben wäre. Man hätte dann auch weniger verbrannte Erde hinterlassen und – vor allem das – weniger Leute ins Abseits geschrieben. Denn manche Menschen werden da noch eine ganze Weile stehen, während das Gewissen des betreffenden Journalisten längst wieder ein reines ist. Etiketten verteilen ist halt leicht, sie wieder loszuwerden aber ungleich schwerer.

Optmistisch sein und bleiben

Was mich betrifft, so war ich von Anfang an – obwohl geimpft – gegen eine gesetzliche Impfpflicht. Erstens finde ich, dass das zwei getrennte Diskussionen sind. Und zweitens finde ich, dass derlei Zwangsmaßnahmen nicht besonders demokratisch sind. Wenn man sie dennoch durchsetzen will, sollten dafür sehr hohe Hürden genommen werden müssen und gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt sein.

Zum Beispiel, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich als Geimpfter trotzdem an Covid-19 erkranke, gen Null tendiert. Oder auch, dass sich ein Virus innerhalb einer durchgeimpften Bevölkerung nicht mehr verbreiten kann. Und ich befürchte drittens, dass es in der Debatte um die Impfpflicht längst nicht mehr ums Impfen geht, sondern um gekränkte Eitelkeiten, weil manche Befürworter aus Politik und Medien nur schwer ertragen können, dass wohl nicht sie es sind, die die Pandemie par ordre du mufti beenden können – sondern das Virus selbst, indem es endemisch wird.

Weil dem so ist, bleibt uns am Ende des Tages eigentlich nur eins: optimistisch sein, dass die Omikron-Variante dazu führt, dass Sars-CoV-2 langsam, aber sicher zu einer Art Grippe mutiert. Und während wir weiter hoffen, können wir parallel ja einen ersten Versöhnungsprozess einleiten, um die gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Aber auch dafür müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel, dass sich die handelnden Akteure selbstkritisch hinterfragen. Das gilt insbesondere für Journalisten. Und da nehme ich mich selbst überhaupt nicht aus. Das Glashaus, Sie wissen schon.

 

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