Jan Böhmermann - Jenseits von Witz und Wirklichkeit

Jan Böhmermanns Sendungen sind voller Fehler. Für seine oft rufschädigenden Recherchen lässt er sich gerne von Lobbyisten einspannen. Seine Kampagne gegen Arne Schönbohm erzeugte einen Kollateralschaden, der auf ihn selbst und den Sender ZDF zurückwirken dürfte.

Jan Böhmermann will gleichzeitig Quatschmacher und moralischer Aufklärer sein. Journalistische Standards interessieren ihn nicht / Lisa Rock
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Auf diese Sendung des ZDF Magazin Royale scheint das ZDF immer noch ganz besonders stolz zu sein. Auf der Website des öffentlich-rechtlichen Senders findet sich direkt unter dem Video vom 7. Oktober 2022 eine Meldung mit dem Titel „BSI-Chef Schönbohm muss gehen“. Und dieser Beitrag beginnt dann mit den Worten: „Die Recherchen des ZDF Magazin Royale vom Freitag haben Konsequenzen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will den Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, nach ZDF-Informationen abberufen.“

Das ist bekanntlich tatsächlich so geschehen. Aber darüber, dass die mit wüsten Beschimpfungen und Lächerlichmachen („Cyberclown“) vorgetragenen Vorwürfe haltlos oder zumindest extrem aufgebauscht sind und nichts Relevantes gegen Schönbohm vorliegt, wie das Innenministerium schließlich sieben Monate später feststellte, erfährt man auf der Website der Sendung nicht das Geringste. Eine vorgerichtliche Unterlassungsaufforderung des Schönbohm-Anwalts Markus Hennig (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Hauptautor der Böhmermann-Redaktion) wurde zurückgewiesen. 

Die perfide Böhmermann-Masche

Böhmermann und das ZDF lassen es nun auf einen Prozess ankommen – der zweite in der Affäre neben demjenigen gegen Faeser selbst, den Schönbohm begonnen hat. Böhmermann und das ZDF zeigen in dieser Angelegenheit eine erstaunliche Selbstgewissheit an der Grenze zur Unverfrorenheit. Auf eine Cicero-Anfrage reagieren Böhmermanns persönliches Büro und seine Firma überhaupt nicht. Die Pressestelle des ZDF ignoriert konkrete Fragen (zum Beispiel, was man zu tun gedenke, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden) und verschickt stattdessen diesen erstaunlichen Satz: „In der Sendung wird weder direkt noch indirekt behauptet, dass Arne Schönbohm bewusst in Kontakt mit Nachrichtendiensten aus Russland oder anderen Ländern gestanden habe.“

Das ist absurd: Die ganze Sendung ist schließlich von dieser Behauptung durchdrungen. Schon in der Unterzeile zur Sendung in der ZDF-Mediathek heißt es: „Die Spur führt … in den Kreml“. Der Satz aus der Pressestelle ist wohl dadurch zu erklären, dass Hennig in seiner vorgerichtlichen Unterlassungsaufforderung genau das verlangte, nämlich nicht mehr zu behaupten, Schönbohm habe bewusst in Kontakt mit Nachrichtendiensten aus Russland oder anderen Ländern gestanden.

In einem Interview, das Böhmermann der dpa gewährt, bleibt er jedenfalls dabei: „Unsere Recherche steht – und nein, wir haben keine falschen Behauptungen oder unwahren Vorwürfe erhoben. Unsere Recherche ist nicht inhaltlich widerlegt worden oder auch nur presserechtlich zu beanstanden.“ Allerdings steht, wie Hennig betont, nicht der diskreditierte Schönbohm in der Pflicht, den Inhalt der Sendung zu widerlegen, sondern Böhmermann müsste nachweisen, dass seine Anwürfe zumindest plausibel sind.

Wenn sich dieses Böhmermann-Prinzip – massenmediale Anwürfe gegen Einzelne sind legitim, solange sie nicht „inhaltlich widerlegt“ werden können – etabliert, droht wohl noch vielen Verdächtigten, was Schönbohm laut eigener Aussage nach der Sendung durchlitt: „Erhebliche Anwaltskosten, psychische Belastungen, Morddrohungen, Mobbing gegen die Kinder, Unterstellungen und Hetze im Netz, Reputationsverlust … Wünsche ich keinem.“

Vieles spricht für ein Komplott

Böhmermanns Sendung mit der vermeintlichen Entlarvung Schönbohms als „riesengroßes, blubberndes Leck in der deutschen Kompetenz-Pipeline in Sachen IT“ beruht vermutlich auf gleich zwei Informationsquellen mit politischen, vielleicht auch persönlichen Interessen. Über die Böhmermann-Kontakte ins Innenministerium wurde schon viel berichtet. Nicht nur belegen öffentlich gewordene Notizen, dass man sich dort auf Wunsch der Ministerin große Mühe gab, auch mithilfe des Verfassungsschutzes Belastendes gegen Schönbohm zusammenzutragen. Das gelang bekanntlich nicht. Ein weiteres, durch die Bild-Zeitung öffentlich gewordenes, Ministeriumsdokument enthält schließlich den entlarvenden Satz: „Das Ziel der Abberufung des Herrn Schönbohm als Präsident des BSI wurde erreicht.“

Böhmermann bestreitet auf dem sozialen Netzwerk Mastodon jede Zusammenarbeit mit dem Ministerium: „Uns schäumend-schwurbelnd einen geheimen ‚Komplott‘ mit dem [...] Bundesinnenministerium zu unterstellen, ist ziemlich bösartiger Bullshit und natürlich komplett frei erfunden.“ Der Verdacht ist allerdings nicht allzu weit hergeholt, weil durch Antworten des Bundesinnenministeriums auf parlamentarische Anfragen ein direkter Telefonkontakt zwischen Faesers Staatssekretärin Juliane Seifert und Böhmermann belegt ist und es auch einen wahrscheinlichen weiteren persönlichen Kontakt zwischen einer Böhmermann-Mitarbeiterin und Faesers Büroleiter Bastian Fleig (Selbstkennzeichnung: „Arbeiter im Weinberg der Demokratie“) gibt.

 

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Dass der Spitzenbeamte Schönbohm als CDU-Mitglied und Sohn des früheren konservativen CDU-Urgesteins Jörg Schönbohm im SPD-geführten Ministerium Faesers nicht gerade wohlgelitten ist, kann man sich vorstellen. Als Treibmittel für ein mögliches Komplott gegen ihn im Innenministerium kam dann vielleicht noch persönliche Missgunst dazu: Der für Cybersicherheit zuständige Abteilungsleiter Andreas Könen war zuvor Vizechef des BSI und hatte sich, wie in der Presse berichtet wird, seinerzeit Hoffnungen auf den vakanten Präsidentenposten gemacht, den dann 2016 – also noch unter dem CDU-Innenminister Thomas de Maizière – Schönbohm erhalten hatte.

Eine dubiose Quelle

Eine aktive Zuarbeit aus dem Innenministerium an Böhmermanns Redaktion nachzuweisen, dürfte sehr schwierig sein. Eindeutig stattgefunden hat allerdings eine andere Zuarbeit, von der interessanterweise in der Presse kaum die Rede ist. Böhmermann erwähnt sie auch in seinem dpa-Interview nicht. Allerdings hat er sie zu Anfang der Sendung vom 7. Oktober erwähnt.

Die Recherche, so kündigt er da an, habe gemeinsam mit dem Recherche-Netzwerk Policy Network Analytics stattgefunden. Diese Organisation tritt im Netz anonym auf und ist seit dem 25. November 2021 auf Twitter aktiv. Auffällig: Alle bisherigen PNA-Recherchen befassen sich ausschließlich mit russischem Einfluss in Deutschland. Es gibt keine Website und keinen öffentlichen Hinweis darauf, welche Personen sich hinter diesem sperrigen Namen verbergen. Hört man sich unter Journalisten um, die schon mit PNA zu tun hatten, stößt man auf eine Mauer des Schweigens – und den Hinweis, deren Arbeit könne man nicht buchen, die kämen nur aktiv mit eigenen Rechercheangeboten auf Redaktionen zu. Auf eine Kontaktanfrage über einen Mittelsmann haben wir jedenfalls keine Antwort erhalten. Das ist ungewöhnlich: Journalisten, die sich vor der Öffentlichkeit verstecken. 

Weder Böhmermanns Firma noch das ZDF haben auf unsere Frage reagiert, ob den Machern der Sendung die Identität der hinter PNA stehenden Personen bekannt sei. Dass man Informanten nicht namentlich nennt, wenn diese anonym bleiben wollen, ist für seriöse Journalisten Berufsstandard, allerdings gehört zu einer seriösen Redaktionsarbeit, dass intern klar ist, wer die Information liefert. Ob Böhmermann und das ZDF nun tatsächlich nicht wissen, wer hinter ihrer eigenen Sendung steckt, oder die Rolle des Netzwerks PNA einfach möglichst vergessen machen wollen: Der Verdacht ist naheliegend, dass dieses Netzwerk nicht nur vom reinen journalistischen Erkenntnisinteresse getrieben ist (das sich sonst eigentlich gerne mit seinen Ergebnissen schmückt), sondern Interessen von in diesem Fall höchster außen- und sicherheitspolitischer Relevanz im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg verfolgt.

Der Druck aufs ZDF wächst

Bei näherer Überlegung ist die These der Sendung aber auch schon in sich selbst unglaubwürdig. Das, was Schönbohm nämlich da zumindest implizit vorgeworfen wird, ist nicht nur eine moralische Verfehlung oder ein persönliches Versäumnis, das den Vertrauensverlust der Ministerin rechtfertigen würde. Es wäre eine Straftat, nämlich Landesverrat. Kann man sich wirklich vorstellen, dass die Redaktion eines Fernseh-Comedians einen Landesverrat aufdeckt, bevor die Strafverfolgungsbehörden davon Wind bekommen? Hätte, wenn die Behauptungen in der Sendung stimmten, nicht sofort ein Strafverfahren gegen Schönbohm aufgenommen werden müssen mit den Rechercheergebnissen als Beweismittel? Tatsächlich aber gab es nicht einmal für ein Disziplinarverfahren hinreichende Anhaltspunkte.

So bar jeder Selbstkritik und verschlossen gegenüber Fremdkritik sich Böhmermann und das ZDF in dieser Affäre auch geben: Der Druck steigt. Unangenehmer als lästige Journalistenanfragen wird für den Sender von Intendant Norbert Himmler die Kritik aus der politischen Sphäre sein. Zwei Mitglieder des ZDF-Fernsehrats haben auf Cicero-Anfrage ihr Missfallen geäußert. Der nordrhein-westfälische Medienminister Nathanael Liminski (CDU) sagt: „… guter Journalismus ist kritisch. Satire ist dabei ein wichtiges Stilmittel, aber auch Satire hat ihre Grenzen. Wenn Quellen für weitreichende Aussagen nicht hinreichend überprüft, Falschinformationen verbreitet und persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen getätigt werden, ist diese Grenze offenkundig erreicht. Es ist eine Pflicht der Programmverantwortlichen in den Sendern, redaktionelle Leitlinien zu setzen und zweifelhafte Vorgänge zu überprüfen.“ Sein Amtskollege Rainer Robra (CDU) in Sachsen-Anhalt hat Himmler bereits um Klärung zu „den näheren Umständen der fraglichen Sendung“ gebeten. 

Jenseits des ZDF und Böhmermanns Produktionsfirma Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld besteht längst ein Konsens, dass die haltlosen Unterstellungen in der Sendung die Behandlung Schönbohms durch seine Dienstherrin nicht rechtfertigen. Darum ist aus der Affäre Schönbohm längst eine Affäre Faeser geworden. Denn nicht über Schönbohm und dessen vermeintliche Kontakte zum russischen Regime wird nun debattiert, sondern über den möglicherweise rechtswidrigen Versuch Faesers, diese herbeizukonstruieren und damit einen unbescholtenen, aber politisch unliebsamen Spitzenbeamten auszuschalten. Wenn es tatsächlich ein Anti-Schönbohm-Komplott gab, also eine aktive Zuarbeit von Faeser und ihren engsten Mitarbeitern für Böhmermann, dann ist der Schuss nach hinten losgegangen. 

Wie Böhmermann rücksichtslosen Rufmord begeht

Nicht nur Faeser, sondern auch Böhmermann und das ZDF stehen nun unter wachsender Kritik angesichts ihrer mehr als fragwürdigen Recherchemethoden und einer als Satire verkleideten, mit Unflätigkeiten garnierten Verdachtsberichterstattung, die nicht journalistischen Standards entspricht. Immer fragwürdiger erscheint die öffentliche Rolle des sich selbst „Hanswurst“ oder auch „Arschloch mit Herz“ nennenden Böhmermann. Durch seine Vermischung von Satire und vermeintlichem Aufdeckungsjournalismus (das ZDF nennt es „Unterhaltung und Relevanz in einer neuen Dimension“ und eine „neue Ära der Gesellschaftssatire“) hat er nun schon mehrfach den Ruf einzelner Menschen geschädigt, obwohl sich seine Behauptungen als fragwürdig bis falsch erwiesen. 

Da war zum Beispiel die Sendung vom 2. Dezember 2022, in der die Biologin Marie-Luise Vollbrecht als „transfeindlich“ und unwissenschaftlich gebrandmarkt wurde, weil sie auf der Existenz von zwei Geschlechtern beharrt. Böhmermanns einziger Beleg war ein Zeitungsartikel, der auf einen anderen Artikel in der Fachzeitschrift Nature Bezug nahm. Eine interpretative Fehlleistung, denn dessen Autorin Claire Ainsworth behauptet keineswegs die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern, sondern: „Two sexes, with a continuum of variation in anatomy/physiology.“ 

Ein noch krasserer Fall ist die Sendung vom 17. Februar 2023, in der Böhmermann den CSU-Politiker Christian Schmidt, ehemaliger Bundeslandwirtschaftsminister und seit August 2021 Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, als „fränkischen CSU-Regional-Depp“, „fränkischen Schweinenacken“ und „fränkischen Trottel-­Prophet“ tituliert. Krsto Lazarevic, aus Bosnien stammender Pressesprecher eines Europaabgeordneten der deutschen Grünen, konnte Böhmermann mehrere eklatante Fehler nachweisen.

Böhmermann lässt sich von Lobbyisten einspannen

Die Behauptung, Schmidt habe die Medienfreiheit infrage gestellt, weil über den Besuch des Sohnes von Serbiens Präsident Aleksandar Vucic bei einer nationalistischen Parade der bosnischen Serben berichtet wurde, ist ebenso haltlos. Schmidt hatte nur kritisiert, dass eine diplomatische Note veröffentlicht wurde, die sicherheitsrelevante Details enthält. Die Böhmermann-Redaktion behauptete, sie habe Schmidt vor der Sendung explizit nach Sicherheitsbedenken gefragt und keine Antwort bekommen. Der Süddeutschen Zeitung liegt allerdings genau das vor: eine Antwort aus Schmidts Büros an Böhmermann, die besagt, dass sich Schmidt mit den Botschaftern der im Friedensimplementierungsrat vertretenen Staaten abgestimmt habe, ehe der Verstoß schließlich beim bosnischen Außenministerium angezeigt wurde.

Böhmermanns schärfster Vorwurf, Schmidt habe zugunsten serbischer Nationalisten die Pressefreiheit beschädigt, verliert schon dadurch jegliche Glaubwürdigkeit, dass der bosnische Serbenführer Milorad Dodik jüngst drohte, Schmidt festnehmen zu lassen. Schmidt als Günstling nationalistischer Serben? Da dürfte man in Banja Luka aus dem Staunen nicht herausgekommen sein.

Der Balkankorrespondent der FAZ schreibt, man könne die Sendung „auch als Teil eines Machtkampfes verstehen, bei dem es einer kleinen, aber energischen Lobbygruppe in Deutschland darum geht, Schmidt abzulösen und durch einen anderen Kandidaten zu ersetzen“. Wie im Fall Schönbohm ließ sich Böhmermann also wahrscheinlich instrumentalisieren – in diesem Fall von innerbosnischen Gegnern Schmidts, die die Klaviatur des deutschen Medienbetriebs zu spielen wussten, in der jeder, der als konservativ gilt, stets als legitimes Ziel öffentlichen Spottes betrachtet wird.

Bisher kam er immer davon

Die journalistischen Fehler blieben für Böhmermann folgenlos, wenn man von einigen verhalten kritischen Artikeln in den ihm ansonsten weiterhin zugeneigten Medien absieht. Schließlich traf der Schmutz nur Schmidt. Diejenigen, die Böhmermann mit den größtenteils falschen Unterstellungen beliefert hatten, konnten zufrieden sein: Schmidt bleibt bei Millionen Fernsehzuschauern als lächerliche bis boshafte Gestalt im Gedächtnis. Im Falle Schönbohm ist das erstmals anders.

Böhmermann hat mit seinen haltlosen Behauptungen nicht nur sein beabsichtigtes Opfer getroffen, sondern einen riesigen Kollateralschaden verursacht: Eine SPD-Ministerin steht vor einer Wahl, durch die sie Ministerpräsidentin in Hessen werden will, als Intrigantin da, die mit womöglich rechtswidrigen Methoden einen unliebsamen Spitzenbeamten abräumen will.

Die bisherige Erfolgsgeschichte Böhmermanns ist eine Geschichte der Hybris. Sie handelt von einem Medienmenschen, der glaubt, dass für ihn keine Regeln gelten, weil er die Speerspitze einer hyperaktivistischen Jugend ist, der ihre Eltern und Lehrer statt Grenzen vorzugeben vollständige Deutungshoheit eingeräumt haben. Da kann man auch schon mal Menschen, die Gold als Wertanlage nutzen, pauschal zu „Nazis mit Substanz“ erklären, wie es Böhmermann in seiner ersten Sendung nach der Sommerpause tat.

Quatschmacher und moralischer Aufklärer

Seine Karriere begann Böhmermann als harmlos-­unpolitischer Quatschmacher, der ein erstes Erfolgserlebnis hatte, als er im Radio den Fußballprofi Lukas Podolski imitierend veräppelte, woraufhin dieser mit einer Klage gegen ihn vorging und so erst recht für Aufsehen sorgte – und für Böhmermanns ersten Fernsehauftritt neben Harald Schmidt. Das scheint Böhmermann dann auch auf seinem weiteren Karriereweg als Methode verinnerlicht zu haben: Je mehr sich das Objekt des Spottes getroffen zeigt, desto besser. 

In der nach ihm benannten Affäre um seine „Schmähkritik“ gegen den türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan trieb er das Spiel auf die Spitze. Ergebnis: internationale Aufmerksamkeit, ein Gerichtsverfahren gegen Erdogan, das er teilweise gewann, eine eigens dadurch veranlasste Gesetzesänderung und schließlich Böhmermanns Aufstieg vom Spartensender Neo ins allwöchentliche Abendprogramm des ZDF. 

Nun, auf dem Gipfel seiner Möglichkeiten als Macher des ZDF Magazin Royale erhebt er den Anspruch der „Relevanz“, worunter er offenkundig vor allem die Zerstörung missliebiger Existenzen durch Tatsachenbehauptungen versteht, die aber weiterhin im Stile des Hanswursts oder auch als brachiale Beschimpfung vorgetragen werden. Böhmermann will alles: Quatschmacher bleiben, mit all den Freiheiten und der verschleierten Angriffsfläche für Kritik, die eine solche Position bietet, aber gleichzeitig Aufdecker und moralischer Ankläger sein.

Von Böhmermann lässt man lieber die Finger

Bislang brachten ihm die fortgesetzten Affären durch journalistische Fehlleistungen und Entgleisungen nur die Zuneigung der Senderleitung und eines Großteils des Medienbetriebs ein – beurkundet durch zahlreiche Auszeichnungen wie zuletzt im Frühjahr den Grimme-Preis. Auf Nachfrage will sich auch das Grimme-Institut nicht davon distanzieren. Böhmermann witzelt in seiner Sendung vom 8. September sogar darüber, dass sich der ZDF-Intendant von ihm distanziere, „wenn nicht mindestens einmal pro Woche eine verrückte Unterlassungsklage“ reinkomme. Die kam dann auch tatsächlich wenig später wegen einer möglicherweise illegalen Recherche gegen eine Psychotherapeutin.

Man kann sich angesichts solchen Erfolgs trotz wiederholter Fehlleistungen eigentlich nicht wundern, dass sich Böhmermann vielleicht für unverwundbar und medial allmächtig hält. Er ist schließlich der Mann, den das ZDF aufbietet für „Unterhaltung und Relevanz in einer neuen Dimension“, wie es auf der Website heißt. Eine neue Dimension, in der die Grenze zwischen Witz und Wahrheit oder sogar Wirklichkeit nicht mehr existiert. Hybris eben. Was auf Hybris am Ende folgt, war aber schon den alten Griechen bekannt.

Die fehlerhafte Schönbohm-Sendung und die daraus erwachsene Faeser-Affäre könnte für Böhmermann möglicherweise ein Wendepunkt sein, auch wenn das noch nicht unmittelbar deutlich wird. Denn spätestens nach der Faeser-Affäre sollte jedem potenziellen Böhmermann-Informanten klar geworden sein, dass dieser in der deutschen Öffentlichkeit das ist, was britische Seeleute eine „loose cannon“ nannten: eine aus der Verankerung gerissene, unkontrollierbare Kanone, deren Schuss auch Menschen treffen kann, die nicht getroffen werden sollten. Von der lässt man am besten die Finger. Denn bisweilen versenkt so eine Kanone sogar das eigene Schiff.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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