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Dirk Bruniecki

Bibliotheksporträt - Die Bücher der Kaiser-Enkelin

Gabriela von Habsburg, die Enkelin des letzten österreichischen Kaisers, hat in Büchern auch die Geschichte ihrer Familie gerettet. Dies vermochte sie nur dank ihres Lebensweges von der Philosophie-Studentin bis zur Diplomatin

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Ingo Langner ist Filmemacher, Autor und Publizist

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Mit dem Kernbestand ihrer Bibliothek ist es Gabriela von Habsburg ergangen wie mit jener anderen, weit größeren historischen Fatalität: Das Wichtigste kam ihr abhanden. Gleichwohl ist in ihrem – keineswegs residenzähnlichen – Haus am Starnberger See nicht nur die untergegangene österreich-ungarische Monarchie in Wort und Bild allgegenwärtig. Auch die 1945 von der Roten Armee als Beutegut aus dem thüringischen Residenzschloss Elisabethenburg nach Moskau verschleppte, aus rund 15 000 Büchern bestehende Bibliothek von Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen ist wieder heimgekehrt zu ihr – wenn auch nur in wenigen Einzelstücken.

Ihre Lieblingsahnen sind Kaiser Karl V. und Herzog Georg II.


Allgegenwärtig ist hier das Haus Österreich, weil die Hausherrin die viertgeborene Tochter ihrer Eltern Otto und Regina von Habsburg ist. Ohne die Folgen des Ersten Weltkriegs ginge sie heute als eine Enkelin Kaiser Karls I. von Österreich wohl in der Wiener Hofburg ein und aus. Eine familiäre Heimkehr lässt sich die zumindest vorübergehende Präsenz der berühmten herzoglichen Büchersammlung deswegen nennen, weil Gabriela von Habsburgs Mutter außerdem eine Prinzessin von Sachsen-Meiningen war.

Schon beim ersten Rundgang durchs Haus bekennt die Erzherzogin, dass ihre beiden Lieblingsahnen Kaiser Karl V. und Herzog Georg II. sind. „Bei dem spanischen Vorfahren imponiert mir vor allem seine fest gegründete Katholizität. Und der Herzog von Sachsen-Meiningen ist für mich natürlich deswegen so großartig, weil er ein echter Künstler war und mit seiner naturalistischen ‚Meiningerei‘ Theaterweltgeschichte geschrieben hat.“
Vom „Theaterherzog“ könnte sie ihre künstlerischen Gene geerbt haben.

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Obwohl Gabriela von Habsburg von März 2010 bis März 2013 vor allem durch ihr Amt als streitbare und vife Botschafterin Georgiens in Deutschland für mehr als eine Schlagzeile gut war – ihre unverbrämten Analysen der russischen Außenpolitik haben eine englische Zeitung zu der viel sagenden Headline „The Princess and the Bear“ inspiriert –, ist sie eigentlich professionelle Bildhauerin und keine Berufsdiplomatin.

Von der Kunstprofessorin zur georgischen Botschafterin


Nach vier Semestern Philosophie scheint Gabriela von Habsburg sich ihrer wahren Berufung sicher gewesen zu sein. Sie entschloss sich 1978, von der Universität München an die Akademie der Bildenden Künste zu wechseln, um bei dem Dänen Robert Jacobsen und dem italienischstämmigen Schotten Eduardo Paolozzi die Grundlagen des Bildhauerhandwerks zu studieren. Wer die von ihr meist aus Edelstahl geformten und oft genug enorm großen Denkmale, Skulpturen und Brunnen kennt, fragt sich, woher diese grazile Frau nur die Kraft nimmt, solche Riesenformate zu stemmen.

Ihr auf subtile Art in alle vier Himmelsrichtungen weisendes „Denkmal zur Grenzöffnung“ im ungarischen Sopron ist immerhin neun Meter hoch. Wer sonst als die Tochter hätte es bildhauern sollen, nachdem der Vater Otto von Habsburg als Schirmherr des „Paneuropäischen Picknicks“ am 19. August 1989 bei der symbolischen Durchtrennung der Stacheldrahtgrenze zwischen Ungarn und Österreich seinen historisch bedeutenden Anteil hatte?

Aufträge für Denkmale waren es, die Gabriela von Habsburg in den Osten Europas führten. Auch den georgischen Botschafterinnenposten hat sie, so seltsam es klingen mag, ihrer ersten eigenen Professur an der Kunstakademie in Tiflis, aber natürlich vor allem ihrem Rosen-Denkmal im Mziuri-Park in der georgischen Metropole zu verdanken. Aus Wasser und Stein erschaffen, symbolisiert es die erfolgreich dem russischen Bären abgerungene Unabhängigkeit Georgiens.

Von ihren georgischen Freunden erfuhr sie, dass die Kreml-Herren ab und an gewisse Teile ihrer Weltkriegsbeute auf die Hauptstädte der Sowjetrepubliken verteilt hatten. Für Tiflis sprangen dabei mehr als 100 000 Bücher heraus. Darunter auch rund 15 000, die mit dem Exlibris-Stempel Georgs II. versehen waren. Das war eine gute Nachricht. Doch Auge in Auge mit den alten Schätzen musste Gabriela von Habsburg den weniger erfreulichen Umstand zur Kenntnis nehmen, dass sich die Bücher in einem prekären Zustand befinden und nur eine aufwendige Restaurierung die kostbare Sammlung noch retten kann.

Wozu Gabriela von Habsburg, der eine in Tiflis ansässige Stiftungs-Bibliothek vorschwebt, durchaus bereit wäre, wenngleich ihr dafür derzeit die finanziellen Mittel fehlen. Auch entstanden in Georgien nach dem kürzlich erfolgten Regierungswechsel neue bürokratische Hürden. Dennoch lässt sich Siegeszuversicht aus jener Geste ablesen, mit der sie ihrem Starnberger Gast einen Band aus der einst zur „Georgs-Bibliothek“ gehörenden achtteiligen „Allgemeinen Welthistorie“ präsentiert, die, 1749 zu Halle übersetzt, „in England von einer Gesellschaft Gelehrter angefertigt“ worden ist. Aus dem sie zielsicher einen Eintrag herauspickt, der Märchenhaft-Mythisches vom Königreich Kolchis zu berichten weiß, dem heutigen Georgien.

Dazu zählt natürlich auch die Geschichte von Medea und Jason und dem Goldenen Vlies, dem legendären Widderfell. Wer sich daran erinnert, dass der 1430 von Philipp dem Guten, Herzog von Burgund, gestiftete „Ritterorden vom Goldenen Vlies“ seit 1477 die höchste Auszeichnung des Hauses Habsburg ist, der muss ein Schelm sein, wenn er die Liebe Gabriela von Habsburgs zu Georgien für eine Laune des Schicksals hält.

Sie kannte die Köpfe der wichtigsten Philosophen schon als Mädchen


Im Starnberger Anbau befindet sich eine eigens dem Hause Sachsen-Meiningen gewidmete neue Bibliothek. Die aus Tiflis heimgekehrten Stücke stehen aber auch deswegen in der alten Bibliothek, weil sich dort die sogenannten zwölf Philosophenköpfe befinden. Herzog Georg II. hatte sie gesammelt. Sie konnten noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs dem Zugriff der Sowjetarmee entzogen werden.

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Gabriela von Habsburg kannte die Köpfe von Sokrates, Aristoteles, Platon, Caesar, Homer, Lessing, Voltaire, Humboldt, Galilei, Dante, Kant und Molière schon als junges Mädchen, allerdings nur von schwarz-weißen Fotografien. Als der Familienrat schließlich ihrem Wunsch nachkam, ihr „die Philosophen“ zu überlassen, ahnte sie nicht, dass die gipsernen Schädel nicht handlich, klein und zahm, sondern deutlich mehr als überlebensgroß in ihr Heim einrücken würden. Doch da sie nun einmal da waren, wurden die raumeinnehmenden gewichtigen Herren terrakottafarben aufgehübscht und in die Hausbibliothek verpflanzt. Dort stehen sie noch immer.

Das Rüstzeug fürs Leben


Nicht nur im Interieur ist Sachsen-Meiningen unübersehbar. Auch das Domizil selbst gehört gewissermaßen zur mütterlichen Linie der Hausherrin. Nicht nur deshalb, weil es vor deren Heirat Lebensmittelpunkt ihrer Mutter Regina war. Sondern weil Grundstück und Haus aus den Verkaufserlösen eines Gobelins, eines Colliers und einer Perlenkette stammen. Diese drei Kostbarkeiten waren das Einzige, was Gabriela von Habsburgs Großmutter Klara-Marie von Sachsen-Meiningen bei ihrer nächtlichen Flucht vor der Roten Armee mit in den Westen retten konnte.

Bei so viel Verlustanzeigen stellt sich die Frage, ob es ein Buch gibt, das Gabriela von Habsburg über alle Zeitläufte hinweg besonders am Herzen liegt. Sie denkt sehr lange nach. Doch schließlich kommt eine Antwort, die aus dem Munde einer Frau, deren Vorfahren die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation getragen haben, etwas Selbstverständliches hat: „Am meisten geprägt hat mich ‚Der endlose Chor‘. Diese heute fast vergessenen Heiligenlegenden von Wilhelm Hünermann hat meine Mutter Regina uns Kindern allabendlich vor dem Einschlafen im Bett vorgelesen. Von diesen einfach und kindgerecht erzählten Geschichten habe ich gelernt, dass sich in den Heiligen der ganze Reichtum des Menschlichen und das Füllhorn der göttlichen Gnade widerspiegeln. Wer das schon als Kind lernt, hat Rüstzeug fürs Leben genug.“

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