Berliner Verkehrspolitik - Die Friedrichstraße als Nicht-Ort

Die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch will die Friedrichstraße in eine Fußgängerzone umwandeln. Damit würde sie Berlins Mitte zu einem öden Nicht-Ort machen, ohne Rücksicht auf kulturelles Erbe und die Vertrautheit des Stadtraums.

Als Berlin noch urban war: Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße im Jahr 1908 / picture alliance / ullstein bild
Anzeige

Autoreninfo

Patrick Oelze ist Programmleiter Politik und Geschichte im Verlag Herder.

 

So erreichen Sie Patrick Oelze:

Anzeige

„Kennt ihr die Weidendammer Brücke? … Berlin ist schön, hier besonders, … und abends am meisten! Die Autos drängen die Friedrichstraße hinauf. Die Lampen und Scheinwerfer blitzen, und auf den Fußsteigen schieben sich die Menschen vorwärts. Die Züge pfeifen, die Autobusse rattern, die Autos hupen, die Menschen reden und lachen. Kinder, das ist ein Leben.“ In Erich Kästners „Pünktchen und Anton“ ist die Friedrichstraße eine pulsierende Verkehrsader, auf der sich die unterschiedlichsten Formen der Fortbewegung finden. Als der Kinderroman 1931 erschien, war die Friedrichstraße schon lange ein Mythos. Seit der Einweihung des neuen Fernbahnhofs 1882 kamen die Touristenströme in der Hauptstadt mehrheitlich hier an. Hotels, Restaurants, Cafés, Bars, Einkaufspassagen, Varietes, Kinosäle, Theater – die Friedrichstraße war insbesondere in ihrem nördlichen Teil eine regelrechte Vergnügungsindustrie. „Das ist eben das Vertrackte an diesem Berlin, daß hier selbst das Vergnügen zur Schwerarbeit ausarten mußte“, bemerkte Carl von Ossietzky mit Blick auf die Friedrichstraße 1922 nicht ohne Ironie, aber auch mit Bewunderung.

Von ihrem eigenen Mythos hat sich die heutige Friedrichstraße ein ganzes Stück entfernt. Nun soll ihre Teilsperrung sie neu beleben. Und sie soll dabei Teil eines „Stadtumbauprojekts“ werden, das die grüne Verkehrssenatorin für die „gesamte historische Mitte“ verfolgen möchte. Wie hat man sich diese verkehrsberuhigte Friedrichstraße vorzustellen – und was hat sie mit der historischen Friedrichstraße gemein?

Betrachtet man Bilder aus der Glanzzeit der Friedrichstraße zwischen 1890 und 1930, fällt oft auf, was schon das Kästner-Zitat zu Beginn auf den Punkt bringt: Gedränge, Gewühle, Durcheinander.

Eine Gesellschaft in Bewegung

Das Foto von 1908 (s.o.) hält mehr fest als nur einen Sachstand. Es visualisiert eine Gesellschaft in Bewegung. Es zeigt ein Berlin, das es so nirgendwo sonst gab und für das die Menschen von überall her in die Hauptstadt kamen. Nirgendwo sonst ließ sich so unmittelbar erfahren, was Großstadt bedeutet: ein dichtes Nebeneinander der verschiedensten und auch gegensätzlichen Dinge und Menschen, von Kultur, Amüsement und Kommerz.

Der Pressemitteilung vom 25. Januar dieses Jahres, in der die Verkehrssenatorin ankündigte, den Teilabschnitt der Friedrichstraße zwischen Französischer und Leipziger Straße dauerhaft zur Fußgängerzone umzuwidmen, sind sogenannte „Visualisierungen“ beigegeben. Sie geben Auskunft über die Idealvorstellung von Gesellschaft, die mit der Verkehrsberuhigung erreicht werden soll. Und an der ist nichts dynamisch und auch nichts typisch für Berlin.

So stellt sich Bettina Jarasch die Zukunft der Friedrichstraße vor / Senatsverwaltung Berlin


 
Wir werden versetzt in die x-beliebige Fußgängerzone einer mittelgroßen Stadt, nicht auf die Herzachse einer Metropole. Die gleichen Sonnenschirme, Ruhebänke und Pflanzinseln finden sich inzwischen von Sonthofen bis Gütersloh. Die geplante sortenreine Art der Verkehrsberuhigung, in der noch nicht einmal mehr der Fahrradverkehr zugelassen sein soll, macht aus der Friedrichstraße einen Ort des uninspirierten und reizarmen Stillstands. Glaubt man diesen Bildern, plant Bettina Jarasch das, was der französische Ethnologe Marc Augé einen „Nicht-Ort“ nennt, einen Ort, der überall und nirgends sein kann, der keine besondere Geschichte mehr erzählt – oder zulässt. Man befindet sich zeitlich und räumlich im Nirgendwo – eine Parklet-Öde. Wie soll das als Vorbild ausgerechnet für die historische Mitte Berlins taugen? Im gern zitierten Beispiel Paris hat man inzwischen erkannt, dass die Verkehrswende nicht zu einem Verlust der Unverwechselbarkeit der Stadt führen darf.

Der Vergleich mit Paris zeigt, was in Berlin fehlt

In einem „Manifest für die urbane Schönheit“ betont die grüne Bürgermeisterin Anne Hidalgo auch die Bedeutung des kulturellen Erbes und der Vertrautheit des Stadtraums, die es zu berücksichtigen gilt. Generell macht der Vergleich mit Paris deutlich, was in Berlin fehlt: eine Politik, die eine klare Vision von der Metropole der Zukunft hat und über die administrativen Mittel verfügt, um die dazu notwendigen Maßnahmen umzusetzen.

 

Mehr zum Thema Berlin:

 

Nach der Verabredung dieses Artikels in der Cicero-Redaktion in Charlottenburg fuhr ich wie immer mit dem Fahrrad zurück nach Pankow. Die Radwege in Moabit oder im Wedding, die mir dabei unterkommen, sind entweder gar nicht vorhanden, in miserablem Zustand oder werden fürs Kurzparken genutzt. Hier hat sich in den letzten Jahren nichts geändert.

Fahrradfahren ist hier gefährlich. Auf solchen Strecken müsste eine grüne Verkehrssenatorin, die es ernst meint mit der Verkehrswende, wirksam werden. Doch der geplante Fahrradschnellweg aus dem Berliner Nordosten nach Mitte wird inzwischen nicht mehr vor 2030 erwartet. Stattdessen verpulvert Bettina Jarasch Zeit und Ressourcen für reine Symbolpolitik, die den Rest der Stadt der notwendigen Modernisierung des Verkehrs nicht einen Schritt näherbringt und aus der Friedrichstraße endgültig die Weltstadt Berlin vertreibt.

Anzeige