Götz Kubitschek und die AfD - Öffentlich-rechtlicher „Bullshit“: Ein Faktencheck

Das ARD-Magazin „Monitor“ behauptet, der neurechte Denker Götz Kubitschek sei der Kopf hinter einer Strategie der „Selbstverharmlosung“ der AfD. Die Recherche ist oberflächlich und selektiv, der Kern des Beitrags kompletter Unsinn.

AfD-Politiker Höcke (l.) und Chrupalla / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Noch bevor die jüngste Ausgabe von Sandra Maischberger auf Sendung ging, rumpelte es im öffentlich-rechtlichen Rundfunkkarton. Jan Böhmermann warf der Moderatorin vor, „Nazis“ eine Bühne zu bieten – wahrscheinlich in der Absicht, nach deren „Machtergreifung“ auch umgekehrt als Dankeschön in deren Talkshows eingeladen zu werden. 

Grund der Aufregung: Maischberger hatte nicht nur Christian Dürr, den Fraktionsvorsitzenden der FDP im Bundestag, sondern auch seinen Amtskollegen von der AfD eingeladen, Tino Chrupalla. Mit beiden wollte Maischberger darüber sprechen, warum die AfD derzeit sagenhafte Zustimmungswerte von etwa 20 Prozent erreicht. Gemäß aktuellem Deutschlandtrend liegt sie inzwischen sogar auf Platz zwei. 

Der Verlauf der Diskussion ist schnell geschildert. Dürr trat durchweg aggressiv, besserwisserisch, aber mit großer rhetorischer Begabung in Erscheinung, während die Sache für Chrupalla wohl eine Nummer zu groß war. Immer wieder redete er sich um Kopf um Kragen. Eigentlich müssten alle AfD-Gegner dem Herrgott täglich dafür danken, dass er der AfD Chrupalla geschenkt hat. Und Maischberger? Die blieb ruhig, sachlich und fair – so, wie man es von einer Moderatorin zumal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eigentlich erwarten darf.

Eine Steilvorlage für die ÖRR-Kritiker

Das aber brachte nicht nur Böhmermann auf die Palme, sondern noch einen weiteren Mitarbeiter des ÖRR, den Moderator des Magazins „Monitor“, Georg Restle. Der beschwerte sich, allerdings erst nach der Sendung, dass Maischberger eine „große Bühne für den Rechtsextremismus, der sich in Selbstverharmlosung übt“, geboten hätte.  Auf die Frage einer Kommentatorin, ob man denn AfD-Politiker gar nicht einladen solle, weil Demokraten nicht in der Lage seien, sie zu widerlegen, antwortete Restle nur: „Sind sie. Aber schwerlich in einem solchen Format.“ Gemeint war mit anderen Formaten wohl auch Restles eigenes Produkt „Monitor“. Das hat nämlich den Vorteil, dass es nicht live gesendet wird und der Fernsehbeitrag ganz nach Gusto der Produzenten zusammen geschnitten werden kann.

Für alle, die ohnehin längst die Objektivität des ÖRR bezweifeln, hat Restle damit eine Steilvorlage und einen unfreiwilligen Beweis geliefert. Nicht nur, dass männliches Überlegenheitsgehabe in Verbindung mit Besserwisserei gegenüber Frauen in woken Kreisen eigentlich als „mansplaining“ und damit als eine der Todsünden gilt. Im Rundfunkstaatsvertrag heißt es zum Auftrag des ÖRR ausdrücklich: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“ Und dazu gehört es natürlich, auch eine AfD zu hören, wenn diese zumindest nach derzeitiger Lage die Chance hat, sich als zweitgrößte Parlamentsfraktion im politischen System der BRD festzufressen.

Dass Restle dabei Maischberger vorwarf, der Strategie der „Selbstverharmlosung“ zuzuarbeiten, ist kein Zufall. Mit dieser Vokabel zieht der Journalist bereits seit 2019 durch die Lande – und er ist sichtlich stolz auf einen scheinbaren Scoop seines Magazins „Monitor“. Der Fall „Selbstverharmlosung“ dürfte für Restle ein Beispiel dafür sein, wie das richtige „Format“ auch das richtige Ergebnis produzieren kann. Schauen wir uns das journalistische Vorbild Restle also einmal an. Dabei kann man allerdings vor allem sehen, wie sehr der Journalismus Schaden nimmt, wenn er nicht nach Objektivität strebt, sondern durch und durch parteiisch ist.

Der „Fall Selbstverharmlosung“

Am 19. September 2019 berichtet „Monitor“ auch über die Aktivitäten des neu-rechten Vordenkers Götz Kubitschek im Umfeld der AfD. Konkret geht es in der Sendung um die angebliche Strategie der „Selbstverharmlosung“ der rechten Szene. Die Story ist geistig so einfach gestrickt wie das Märchen „Rotkäppchen“. Und sie geht ungefähr so: Die AfD versuche, sich öffentlich harmloser darzustellen, als sie in Wahrheit sei. Die Strategie dahinter nennt sich angeblich „Selbstverharmlosung“. Und der Strippenzieher hinter dieser Angelegenheit trägt nach fester Überzeugung Restles den Namen „Götz Kubitschek“. 

Die AfD sei also eigentlich ein Wolf, der sich bloß als Schaf verkleide. Und es sind Georg Restle und sein Team, die diese angeblich gerissene Strategie entlarvt haben wollen. Oder wie Georg Restle im O-Ton sagt:

„Bürgerlich, konservativ, Partei der Mitte. So präsentiert sich die AfD-Spitze gerade vor jedem Mikrofon, das ihr hingehalten wird. (…) Camouflage nennt man so etwas oder schlicht Täuschungsmanöver, und dafür hat dieser Mann der AfD die Vorlage gegeben: Götz Kubitschek, einer der wohl einflussreichsten Vordenker der AfD und der gesamten rechten Szene in Deutschland. ‚Selbstverharmlosung‘ heißt seine Strategie tatsächlich, mit der man bürgerliche Wähler für die AfD gewinnen will, indem man seine wahren Ziele ganz gezielt verschleiert.“ 

Äußerliche Anhaltspunkte für die Interpretation, Kubitschek steuere als großer Stratege im Hintergrund die AfD, gibt es dabei gleich mehrere. So gaben sich bereits in der Vergangenheit tatsächlich führende AfD-Funktionäre in Schnellroda die Klinke in die Hand: der unvermeidliche Björn Höcke natürlich, außerdem Alice Weidel, Jörg Meuthen oder Alexander Gauland. Björn Höcke bekannte sogar einmal, aus Schnellroda regelmäßig „geistiges Manna“ mit nach Hause zu nehmen. Eines also lässt sich nicht bestreiten: Führende AfD-Funktionäre stehen tatsächlich in regelmäßigem Kontakt zu Schnellroda – und Götz Kubitschek dürfte das alles am Ende ziemlich gefallen. 

Aber eine Sache an der Geschichte stimmt trotzdem ganz und gar nicht. Und das ist ausgerechnet ihr Kern, also die angebliche AfD-Strategie der „Selbstverharmlosung“, die Götz Kubitschek erdacht haben soll. Ausgerechnet die These, dass sich der Wolf auf Anraten Kubitscheks bloß als Schaf verkleide und wir es Restle und Co. zu verdanken hätten, über diesen gerissenen Vorgang exklusiv aufgeklärt worden zu sein, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Was der ÖRR am 19. September 2019 seinen Zuschauern präsentierte, war in Wahrheit eine weltanschaulich gelenkte Propagandashow. Und es war sogar noch etwas mehr: eine Verbiegung der Wahrheit.

Kritik der Selbstverharmlosung

Wer sich mit Götz Kubitschek beschäftigt, kann zumindest eines wissen: von Parteien hält er eigentlich gar nichts. Für ihn sind das bloß Machtapparate, die die Menschen korrumpieren und ihr Denken im Interesse praktischer Erfolge verdrehen. Für ihn gilt das am Ende auch für die AfD. Auch deshalb ist er nach eigenen Angaben bis heute nicht ihr Mitglied. Auf der anderen Seite kommt auch Kubitschek nicht an der Tatsache vorbei, dass ihm keine Partei näher stehen dürfte als die AfD. Am Ende wählt er also trotz aller prinzipiellen Kritik zwar nicht Skylla, aber doch Charybdis.
 

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Gerade weil die AfD eine Partei und damit ein Machtapparat wie jeder andere ist, machte sich Kubitschek bereits seit geraumer Zeit Gedanken über die Frage, wie dessen „Degeneration“ auf Dauer eigentlich zu verhindern sei. Und in diesem Zusammenhang veröffentlichte er mehrere Texte, die sich mit der Strategie der „Selbstverharmlosung“ beschäftigten. Bei fairer und nüchterner Auslegung dieser Texte kommt aber gar nicht das dabei heraus, was Georg Restle und dessen Kollegen entlarvt haben wollen. Was Kubitschek dort schreibt, ist vielmehr sogar das Gegenteil dessen, was der ÖRR am 19. September 2019 zur Information der Öffentlichkeit über den Äther schickte. Eine Unwahrheit wurde am Ende als eine Wahrheit verkauft.

Selektiv zitiert 

Nehmen wir also die Spur der „Selbstverharmlosung“ auf. Erstmals verwendet Kubitschek den Terminus, soweit ich sehe, in einem kleinen Text Anfang 2017. Darin beschäftigt er sich mit dem Versuch der AfD im Rahmen des Berliner Landtagswahlkampfes, die angeblich vom „politisch-medialen Komplex der Alteliten“ aufgerichtete „emotionale Barriere“ zwischen AfD und Wahlvolk durch Selbstverharmlosung einzureißen. Das Schreckensbild, das die Medien von der AfD zeichneten, solle also dadurch verunklart werden, dass man sich selbst als harmlos darstelle. Und es ist genau dieser Text, auf den sich auch „Monitor“ stützen wird, um seine Enthüllungsfama zu fabrizieren. 

Schauen wir uns daher an, wie „Monitor“ die Sache intoniert und was das Magazin aus dem Text zitiert – oder vielmehr gerade nicht zitiert: 

„Vom rechtsradikalen ins bürgerliche Milieu. Dafür will die AfD offenbar über ihre eigentlichen Ziele hinwegtäuschen. Die Strategie dahinter: ‚Selbstverharmlosung‘. Und die hat er sich ausgedacht – Götz Kubitschek. Er schreibt: ‚Selbstverharmlosung (…) ist der Versuch, die Vorwürfe des Gegners durch die Zur-Schau-Stellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren.‘“ 

Dieser eine Satz soll ausreichen, um Kubitschek zu überführen. Aber das gelingt nur durch selektive Zitation. Zitiert man vollständig und nicht selektiv, sieht die Sache plötzlich völlig anders aus: 

„(…) Selbstverharmlosung (sic!) ist der Versuch, die Vorwürfe des Gegners durch die Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren und zu betonen, daß nichts von dem, was man fordere, hinter die zivilgesellschaftlichen Standards zurückfalle. Kurz: Derjenige, der eine alternative Politik für unser Land formulieren sollte, kommt bei konsequenter Anwendung dieser Methode beinahe in Erklärungsnot darüber, warum sich das, was er vorhat, nicht ganz einfach in den alten Parteien, Medien und Strukturen umsetzen lasse.“ 

Das alles laufe daher letztlich darauf hinaus, 

„eines nahen Tages tatsächlich aus der Harmlosigkeit nicht mehr herauszufinden. Es sind dann zu viele Stellungen aufgegeben worden. Es wird dann die Selbstverharmlosung von einer Methode zur zweiten Haut geworden sein.“  

Zitiert man vollständig und nicht entstellend, ist eines sonnenklar: Kubitschek plädiert nicht für die „Selbstverharmlosung“, sondern hält sie umgekehrt für eine Gefahr für die Bewegung und lehnt sie ausdrücklich ab. Und diese Lesart von „Selbstverharmlosung“ wird er auch in späteren Texten nicht aufgeben.

Ein Bollwerk des Widerstands

Im Juni 2019 zum Beispiel und somit wenige Wochen vor Ausstrahlung des „Monitor“-Beitrages publiziert Kubitschek einen Text, in dem das Wort „Selbstverharmlosung“ ein einziges Mal zur Sprache kommt. In dem Text kritisiert Kubitschek Tendenzen innerhalb der AfD, keine ausreichend klare Abgrenzung gegenüber dem rechten Flügel der Union, also der WerteUnion, vorzunehmen. Selbst der inzwischen aus dem Dienst entfernte ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, kommt bei ihm nicht gut weg.

Und dann kommt der entscheidende Punkt. Natürlich, so Kubitschek, sehe sich die AfD einem Bollwerk des Widerstands ausgesetzt, bestehend aus den etablierten Parteien, den Medien, der Zivilgesellschaft usw. usf.: 

„Daß dies zermürbend wirkt, steht außer Frage. Daß man auf diese Dauerinfragestellung mit Selbstverharmlosung reagieren kann, ist verständlich. Daß daraus aber die Hoffnung auf Verständnis und die Bitte nach Schonung resultieren, ist das Resultat schwacher Tage und das typische Verhalten schwacher oder berechnender Charaktere. Eines ist es aber auf keinen Fall: politisch. Denn in der Politik gibt es keine Schonung jenseits ausgekungelter Machtverhältnisse.“

Das Anbiedern, das Kreideschlucken, das Nach-Anerkennung-Gieren, das Verstellen, die „Selbstverharmlosung“ also wird von Kubitschek ausdrücklich als das Geschäft „schwacher oder berechnender Charaktere“ bezeichnet und von ihm als unpolitisch verworfen. Der Grund hierfür ist offensichtlich: Das Anschmiegen an den Zeitgeist läuft für ihn letztlich auf eine habituelle Selbstverbiegung, auf einen politischen und Selbstverrat hinaus. Stattdessen schwebt ihm das „Einüben echt alternativer Verhaltenslehren und die klare Profilierung der AfD“ vor, also deren Radikalisierung. 

Es gibt insgesamt nur vier kleine Texte von Kubitschek, in denen das Wort „Selbstverharmlosung“ überhaupt auftaucht, aber in allen Fällen in kritischer und ablehnender Absicht. Das war alles, was der Redaktion des „Monitor“ zu diesem Zeitpunkt vorlag. Sie machte daraus eine angeblich theoretisch unterfütterte, gerissene Strategie Kubitscheks und der AfD zur Verstellung gegenüber der Öffentlichkeit, um die Bundesrepublik auf perfide Weise unterwandern zu können. In den Texten stand indes stets das genaue Gegenteil.

Öffentlich-rechtlicher Bullshit

Man könnte, was Restle und Kollegen fabriziert haben, daher am Ende für eine Lüge halten. Aber das würde nicht den Kern der Sache treffen. In einem legendären Text hat der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt einmal darauf hingewiesen, dass die Lüge stets die Anerkennung der Wahrheit voraussetzt. Sie ist die bewusste und absichtsvolle Fabrikation des Falschen. Und das geht eben nicht, ohne anzuerkennen, was in Wahrheit die Wahrheit ist.

Dass Restle und Kollegen absichtsvoll die Unwahrheit gesagt haben, ist zwar theoretisch immerhin möglich, aber dennoch nicht wahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass sie die Opfer der „Herrschaft des Verdachts“ wurden. Sie analysiert nicht mehr vorurteilsfrei die Wirklichkeit, um daraus etwaige Schlüsse zu ziehen, sondern sie überzieht umgekehrt die Wirklichkeit mit einer bereits im Vorfeld feststehenden Interpretation, um sich anschließend die dazu passenden Fakten zusammenzusuchen und die unpassenden wegzulassen. Dass genau dieser Mechanismus im Falle „Monitor“ am Werke war, ist durch die selektive Zitation mehr als offensichtlich. 

Harry G. Frankfurt hat für ein solches Verfahren einen eigenen Namen kreiert, er nennt es einfach „Bullshit“: 

„Niemand kann lügen, sofern er nicht glaubt, die Wahrheit zu kennen. Zur Produktion von Bullshit ist eine solche Überzeugung nicht erforderlich. Wer lügt, reagiert auf die Wahrheit und zollt ihr zumindest in diesem Umfang Respekt. (…) Der Bullshitter ist außen vor: Er steht weder auf der Seite des Wahren noch auf der des Falschen. (…) Es ist ihm gleichgültig, ob seine Behauptungen die Realität korrekt beschreiben. Er wählt sie einfach so aus oder legt sie sich so zurecht, daß sie seiner Zielsetzung entsprechen.“

Restle hat damals „FakeNews“ produziert. Das kommt dabei heraus, wenn man auf den Auftrag des ÖRR und damit die Grundsätze „Objektivität“ und „Unparteilichkeit“ pfeift und stattdessen einer politischen Agenda folgt. Dann kommt es auch schon mal dazu, die Tatsachen zu verdrehen. Eigentlich hätten Georg Restle und Kollegen bei sorgsamer Lektüre und tatsächlichem Verstehenwollen dabei sogar noch eine größere Bedrohung an die Wand malen können als geplant. Denn in Wahrheit schlummert in Kubitscheks Kritik der „Selbstverharmlosung“ implizit sogar das Bekenntnis zu offenem politischem Radikalismus der AfD. Aber wenn man einen Hammer im Kopf hat, erscheinen einem allzu leicht alle Probleme in Form eines Nagels.

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