200. Geburtstag von Gregor Mendel - Mönch und moderner Wissenschaftler

Gregor Mendel gilt als Begründer der modernen Genetik. Mit seinen Versuchen an Hybriden legte er die Fundamente für die Vererbungslehre. Vor allem aber war Mendel auch ein herausragend arbeitender Forscher. In einer Zeit, in der an den Universitäten unwissenschaftlicher Unsinn blüht, sollten wir uns auf das wissenschaftliche Ethos des Augustinermönches besinnen.

Erst um die Jahrhunderwende setzte das Interesse an den Forschungen Mendels ein: Illustration aus dem Buch „Breeding and the Mendelian Discovery“ (1912) von A.D. Darleishire / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Anzeige

Fast jeder kennt die Mendelschen Regeln. Doch kaum jemand kann sie beschreiben. Nur, dass sie irgendwas mit Vererbung zu tun haben und mit Erbsen, das wissen die meisten noch. Und natürlich, dass der Mann, nach dem sie benannt wurden, ein Mönch war: Gregor Johann Mendel. Vor 200 Jahren, am 20. Juli 1822, wurde er in Heinzendorf in Schlesien geboren.

Dass Eigenschaften von Lebewesen in irgendeiner Form vererbt werden, war auch schon den Menschen in vorhistorischen Zeiten klar. Sonst wären sie nicht auf die Idee gekommen, Pflanzen oder Tiere mit bestimmten Eigenschaften zu züchten: Obst mit mehr Fruchtfleisch, größeres Schlachtvieh, Hütehunde.

Ein Rätsel war allerdings, wie genau die Übertragung gewisser Eigenschaften von den Eltern auf die Kinder erfolgt. 1865 dann veröffentlichte der Augustinermönch, Lehrer für Naturwissenschaften und spätere Abt des Klosters Brünn, Gregor Mendel, einen Aufsatz im vierten Band der „Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brünn“. Sein Titel: „Versuche über Pflanzen-Hybriden“. Darin beschrieb Mendel seine Kreuzungsversuche an Erbsensorten im Garten seines Klosters und die von ihm aus den Versuchen abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten der Vererbung.

Ziel Mendels war es, ein allgemeingültiges Gesetz zur Bildung von Hybriden aufzustellen. Deren Phänotyp entspricht in Bezug auf eine Eigenschaft zwar eindeutig einer der beiden Elternpflanzen (etwa eine rote Blüte), ihr Genotyp aber weist verdeckt (also rezessiv) die Merkmale der anderen Elternpflanze auf (etwa eine weiße Blüte). Diese rezessiven Eigenschaften können zum Vorschein kommen, wenn man die Hybriden miteinander kreuzt.

Mendel ging es nicht um die Verkündung objektiver Wahrheiten

Mendel unterschied also zwischen den sichtbaren (phänotypischen) und den genetischen (genotypischen) Eigenschaften eines Organismus. Wenn beide voneinander abweichen können, dann folgt daraus, dass die Erbinformation doppelt angelegt sein muss und dass es zudem eine dominante und eine rezessive (nicht in Erscheinung tretende) Erbanlage gibt.

Neben dieser dominant-rezessiven Merkmalsausbildung gibt es auch noch eine intermediäre Vererbung. In diesem Fall zeigen die Hybriden der ersten Generation eine Merkmalsmittelstellung: Aus roten und weißen werden beispielsweise rosa Blüten. In der zweiten Generation spalten sich die Eigenschaften dann wieder auf, und es gibt rote, weiße und rosa Blüten.

 

Mehr aus der „Grauzone“:

 

Diese Einteilung in dominant-rezessiv und intermediär markiert in der Praxis allerdings Grenzfälle. Faktisch ist bei heterozygoten (mischerbigen) Individuen die rezessive Erbanlage zwar nicht ausgeprägt, aber dennoch nicht vollkommen unterdrückt. Das es sie gibt, ist an kleinen Unterschieden gegenüber homozygot dominanten Formen zumeist klar erkennbar. Blumenzüchter wissen das.

Mendel war ein sehr genauer, exakt arbeitender Forscher. Über Jahre hat er seine Experimente nicht nur akribisch durchgeführt, sondern auch vorbereitet, etwa um homozygote Individuen als Grundlage seiner Experimente zu erzeugen. Zugleich entwarf er ein Symbolsystem, das seine Ergebnisse nicht nur leicht fassbar macht, sondern auch dem wissenschaftlichen Geist seiner Zeit entsprach. Und auch das wissenschaftliche Grundanliegen Mendels war hochmodern. Ihm ging es nicht um die Verkündung objektiver Wahrheiten der Vererbung, sondern um einen Beitrag zur näherungsweisen Quantifizierung der Gesetze der Hybridbildung.

Inzwischen hat sich die Wissenschaftskultur in Europa gründlich geändert

Als der Mönch und Wissenschaftler 1884 starb, hatte seine Arbeit kaum Aufmerksamkeit in der Wissenschaftscommunity seiner Zeit erregt. Erst um die Jahrhundertwende setzte mit den Arbeiten von Botanikern wie Carl Correns, Hugo de Vries oder Erich Tschermak-Seysenegg das Interesse an den Forschungen Mendels ein. Dass er rein auf botanischer Ebene, zu einem Zeitpunkt, als man sich über die Funktion der einfärbbaren Strukturen im Zellkern (seit 1888 Chromosomen genannt) noch unklar war, die Grundlagen moderner Vererbungslehre formulierte, macht Mendels bleibende Verdienste aus.

Seitdem hat sich die Wissenschaftskultur und Mentalität nicht zuletzt in Europa gründlich geändert. Von Wissenschaftsbegeisterung keine Spur, allenfalls Hiobsbotschaften von Klimaforschern oder Virologen lauscht man mit schauderndem Entzücken. Von dem Optimismus und der Aufbruchstimmung um 1900 sind wir weit entfernt. Das illustriert auch und insbesondere der Umgang mit der Genetik. Den einen gilt sie als politisch verdächtig, da sie als Humangenetik angeblich die Grundlage für Eugenik und Rassismus bildet. Andere fordern eine Landwirtschaft ohne Genetik (oder besser noch ohne Gene) und zeigen damit, dass sie nicht ansatzweise verstehen, wovon sie reden. Symptomatisch die Mittelstandsdame, die am Bio-Stand des Wochenmarktes Tomaten verlangt, in denen „keine Gene drin sind“.

Selbstverständlich birgt die Genetik Risiken. Zugleich eröffnet sie nach wie vor gigantische Chancen: für eine Landwirtschaft mit weniger Belastungen für die Umwelt, für die Früherkennung von Erbkrankheiten, für die Bekämpfung von Krankheiten, die auf genetischen Mutationen beruhen wie etwa Krebs. Es ist symptomatisch für den Wissenschaftsstandort Deutschland, dass man den 200. Geburtstag Mendels quasi geräuschlos verstreichen ließ, während an unseren Universitäten ernsthaft darüber diskutiert wird, ob es mehr als zwei Geschlechter gibt.

Anzeige