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Die Gleichschaltung - Als Deutschland die Demokratie überwand

Das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ setzte im Dezember 1933 den Schlusspunkt unter die nationalsozialistische Revolution. Die Demokratie war überwunden

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Blom, Philipp

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Innerhalb von elf Monaten, vom 31. Januar bis Ende November 1933, hatte die neue nationalsozialistische Regierung des Deutschen Reiches die Weimarer Verfassung ausgehebelt und Staat und Gesellschaft in fast allen Aspekten gleichgeschaltet. Das „demokratische Chaos“ war beendet. Was hier von Hitlers Regierung ruhig und ganz offiziell beschlossen wurde, war eine Revolution.

Gewerkschaften und andere Parteien waren verboten worden, das Parlament aufgelöst, die Beamtenschaft zur Linientreue verpflichtet und alle Regierungsentscheidungen dem Führerprinzip untergeordnet. Auch die Gesellschaft hatte sich enorm verändert: Zuerst einmal gab es wieder Arbeit. 1932 waren sechs Millionen Deutsche arbeitslos, ein Viertel der werktätigen Bevölkerung. Im Herbst 1933 waren es dann nur noch 3,7 Millionen.

Dieser positive Wandel wurde der neuen Regierung zugutegehalten, dabei hatte sich der Aufschwung bereits im Vorjahr abgezeichnet. Vor der Machtergreifung im Januar war die Arbeitslosenzahl bereits um eine halbe Million gefallen. Hitler investierte allerdings noch in diese Dynamik – mit einer defizitären Politik, die schon darauf hinauslief, dass die hohen Schulden nur durch einen siegreichen Krieg wieder zu begleichen wären.

Auch das kulturelle und intellektuelle Leben des Landes hatte sich radikal verändert. Sport und Freizeit lagen zum Teil in den Händen von „Kraft durch Freude“ und ihrer Teilorganisationen. Die Kirchen wurden geschickt marginalisiert, kompromittiert und gespalten, eine mögliche Einmischung aus dem Vatikan wurde durch das Konkordat praktisch neutralisiert. Jugendverbände wurden aufgelöst oder in die „Hitler-Jugend“ überführt, Künstler, Filmschaffende und Schriftsteller in der Reichskulturkammer glattgebürstet.

Einige Deutsche, hauptsächlich finanziell privilegierte, hatten das Land bereits verlassen. Juden und Oppositionellen wurde das Leben und oft das pure Überleben in Deutschland zunehmend schwer gemacht. Sie verloren ihre Lebensgrundlage, manche wurden in Konzentrationslager eingesperrt.

Am 1. Dezember war die deutsche Premiere des Filmes „King Kong und die weiße Frau“. Der Führer liebte den Film aus den Vereinigten Staaten, obwohl der Gedanke, dass hier eine blonde Frau von einem schwarzen Primaten zärtlich berührt wurde, einige Parteigenossen erschaudern ließ. Während der privaten Vorführung konnte Hitler sich in dem Bewusstsein zurücklehnen, an diesem 1. Dezember sich endlich die absolute Macht gesichert zu haben. Als Krönung der beispiellos raschen Kampagne, mit der die Nationalsozialisten Deutschland in einen totalitären Staat verwandelt hatten, als letzte Bestätigung ihrer Allmacht, wurde an diesem Tag das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat verabschiedet.

In dem Gesetz wurde die ­NSDAP, die einzige im Parlament vertretene Partei, zur „Trägerin des deutschen Staatsgedankens“ erklärt und zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes gemacht. Damit waren hohe Parteifunktionäre automatisch auch Regierungsmitglieder. Partei und SA hatten allen Ämtern gegenüber ein Weisungsrecht. Die Partei war damit im Herzen des Staatsapparats angekommen. Wache Zeitgenossen wussten, was die Stunde geschlagen hatte. Allein zwischen Januar und Mai waren 1,7 Millionen Deutsche der Partei beigetreten und hatten deren Mitgliederzahl verdreifacht.

Noch im November war Adolf Hitler mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt worden. 92,2 Prozent der Deutschen hatten für ihn gestimmt. Das Regime hatte hart für seinen Sieg gearbeitet. „Die maßlose Propaganda für das ‚Ja‘“ beschrieb Victor Klemperer in seinem Tagebuch: „Auf jedem Geschäftswagen, Postwagen, Fahrrad der Postboten, an jedem Haus und Schaufenster, auf breiten Spruchbändern, die über die Straße gespannt sind – überall Sprüche von Hitler …“

Dessen Liste war denn auch die einzige überhaupt auf dem Wahlzettel. Eine Proteststimme oder einen leeren Wahlzettel abzugeben, war angesichts des Drucks, den die SA häufig in den Wahllokalen ausübte, ein großes persönliches Risiko. Immerhin 7 Prozent der Deutschen waren dieses Risiko eingegangen.

Victor Klemperer war einer von ihnen. Er hatte mit Nein gestimmt, obwohl er mit Repressalien rechnete. Am 31. Dezember schrieb er: „Dies ist das charakteristischste Faktum des abgelaufenen Jahres, dass ich mich von zwei nahen Freunden trennen musste, von Thieme, weil Nationalsozialist, von Gusti Wiegandt, weil sie Kommunistin wurde. Beide sind damit nicht einer politischen Partei beigetreten, sondern ihrer Menschenwürde verlustig gegangen.“

Am Ende des Eintrags folgt: „Das historische Erlebnis dieses Jahres ist unendlich viel bitterer und verzweiflungsvoller, als es der Krieg war. Man ist tiefer gesunken.“

In der Serie „1933 – Unterwegs in die Diktatur“ sind bisher erschienen:

Die Gleichschaltung: Als Deutschland die Demokratie überwand

Die Machtergreifung: Religion der Brutalität

Der Reichstagsbrand: Republik unter Feuer

Das Ermächtigungsgesetz: Als Deutschland die Demokratie verlor

Die Bücherverbrennung: Das Ende des Landes der Dichter und Denker

Die Volkszählung 1933: Die statistische Grundlage für den Holocaust

Das Reichskonkordat: Fauler Handel mit der Kirche

Der Volksempfänger: Das Propagandawerkzeug der Nazis

DIe Reichskulturkammer: Die Gunst war wichtiger als die Kunst

Der Völkerbund: Deutschlands Austritt ebnete den Weg in den Krieg

 

 

 

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