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Das Ermächtigungsgesetz - Als Deutschland die Demokratie verlor

Vor 80 Jahren besiegelte das Ermächtigungsgesetz das Ende der Weimarer Republik. Allein die SPD hatte versucht, sich dagegenzustemmen. Dritte Folge einer Serie

Autoreninfo

Blom, Philipp

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ALs Otto Wels sich am 23. März 1933 in der Berliner Kroll-Oper erhob, um eine Rede zu halten, wurde er zum letzten Helden der sterbenden Weimarer Republik. Nach dem Reichstagsbrand war die Kroll-Oper zum provisorischen Parlament umfunktioniert worden, und hier fand die Debatte über das Ermächtigungsgesetz statt. Vielleicht ist „Debatte“ das falsche Wort. Denn viele Kommunisten waren der Verhaftungswelle nach dem Reichstagsbrand zum Opfer gefallen, und so blieben die Bänke der KPD leer. Außer der SPD hatte keine der anwesenden Parteien die Absicht, gegen das Gesetz zu stimmen. Der ehemalige Tapezierergeselle und spätere Fraktionsvorsitzende Wels war der Einzige, der es angesichts der im Saal postierten bewaffneten SA-Männer wagte, gegen das Gesetz zu sprechen.

Das Protokoll der Sitzung verzeichnet jeden Zwischenruf und jeden Lacher (aus den Reihen der NSDAP) während der Rede, der wichtigsten in Wels’ Leben. Da er das Gesetz nicht verhindern konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als den ehemaligen SPD-Reichskanzler Gustav Bauer zu zitieren, der 1919 bei der Debatte um die Unterzeichnung des Vertrags von Versailles im Reichstag gerufen hatte: „Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos. Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel, aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, dass es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist mein Glaube, bis zum letzten Atemzug.“

Damals hatte das besiegte und gedemütigte Deutsche Reich seine Alleinschuld am Krieg unterschreiben müssen. Bauer aber spielte auch auf die Dolchstoßlegende an, die Behauptung der rechten Parteien, die damalige SPD-Regierung wäre der siegreichen deutschen Armee durch ein Friedensangebot an die Alliierten in den Rücken gefallen und habe das Vaterland verraten. Eine Legende, die wie keine andere das demokratische Klima der Weimarer Republik vergiftet hatte.

Jetzt musste die SPD zusehen, wie dem Parlament die letzten demokratischen Befugnisse aus der Hand genommen wurden. Der Protest war rein symbolisch, aber nicht weniger wichtig. Wehrlos, aber nicht ehrlos.

Das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933 war nicht das erste Ermächtigungsgesetz der Weimarer Republik, aber es sollte ihr letztes sein. Elf frühere Ermächtigungsgesetze hatten der Regierung zwischen 1914 und 1927 mehr oder weniger verfassungskonform zusätzliche Vollmachten und Handlungsfreiheit gegeben. 1933 hatte die ­NSDAP mit 288 Sitzen und in Abwesenheit der KPD, deren Abgeordnete verhaftet oder untergetaucht waren, ohnehin eine absolute Mehrheit im Reichstag und brauchte keine Notverordnungen, um regieren zu können. Das Gesetz war aber der entscheidende Schritt, um die Demokratie endgültig auszuhebeln. Es erlaubte der Regierung Hitler, direkt und ohne Konsultation des Parlaments Gesetze zu verabschieden und internationale Abkommen zu treffen. Der Reichstag wurde zur Propaganda­kulisse für Brandreden gegen die postulierten Feinde von Volk und Vaterland.

Otto Wels, ein eher schmächtiger Mann mit hoher Stirn und intensiven Augen, sprach nicht besonders mitreißend an diesem Tag. Er war kein großer Redner, und seine Rhetorik und seine Stimme, die in historischen Aufnahmen noch immer zu hören ist, wirken bemüht und manchmal bühnenhaft überzogen – die Worte eines redlichen Mannes, nicht eines großen Demagogen. Wels verteidigt seine Partei etwas bemüht und folgt ganz der offiziellen Linie. Er hat hörbar Angst. Nur einmal hebt sich seine Stimme, aus gegebenem Anlass, zu echter emotionaler Intensität: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!“, sagt er. Die Bedrohung ist für ihn sehr konkret. Anfangs herrscht fast völlige Stille im Saal, dann kommt zögerlich sozialdemokratischer Applaus, dann, langsam, überwiegt das Lachen der Nationalsozialisten. Am Ende der Rede bricht ein Tumult aus.

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Dann kommt Adolf Hitler. Hitler, der große Redner, siegesgewiss und erregt. Er beginnt leise und langsam, greift die SPD an und steigert sich dann in eine hysterische Wut hinein, die von seinen Abgeordneten und den SA-Männern enthusiastisch beklatscht wird. Er klagt an, brüllt, skandiert und wird von aufbrausendem Applaus und gellenden Bravorufen begleitet. Es ist eine große Darbietung. Am Ende stehen nur noch Ausrufe und kaum verschleierte Drohungen.

„Sie, meine Herren, sind nicht mehr benötigt!“, ruft der Reichskanzler den sozialdemokratischen Abgeordneten zu. Und: „Sie meinen, dass Ihr Stern wieder aufgehen könnte! Meine Herren, der Stern Deutschland wird aufgehen und Ihrer wird sinken.“ Zum Abschluss seiner wütenden Tirade erteilt Hitler Wels und dessen Parteifreunden, die gegen das Ermächtigungsgesetz stimmen wollen, eine letzte Abfuhr: „Ich will auch gar nicht, dass Sie dafür stimmen! Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie!“

Hitlers Triumph war vollkommen. Mit dem mit großer Mehrheit angenommenen Gesetz hatte er sich nicht nur die ganze Macht im Staat gesichert, sondern auch den Anschein der Legalität gewahrt. Das war wichtig, denn er brauchte die deutsche Beamtenschaft, um regieren zu können. Und viele konservative Beamte hätten einem Regime ohne gesetzliche Grundlange wohl nur widerwillig gedient.

Für Otto Wels bedeutete seine mutige Stellungnahme das Ende seiner parlamentarischen Karriere. Im Mai 1933 flüchtete er ins französisch besetzte Saarland, um der Verhaftung zu entgehen, im August wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Vom Podium aus hatte er sich dagegen gewandt, politische Gegner als vogelfrei zu behandeln. Jetzt war er es selbst. Er arbeitete weiterhin aus dem Exil für seine Partei, zuerst in Prag, dann, nach 1938, in Paris. Dort starb er im Jahr darauf, im Alter von 66 Jahren. Deutschland hat er nicht wiedergesehen.

Die zögerliche Rede, die Wels am 23. März 1933 in der Kroll-Oper gehalten hatte, wurde zum Schwanengesang der deutschen Demokratie. Der Schauplatz der letzten parlamentarischen Konfrontation wurde während des Krieges durch Bomben und Straßenkämpfe schwer beschädigt. In der Nachkriegszeit wurden im Garten neben der Ruine Tanztees und populäre Konzerte veranstaltet. 1957 riss man das Gebäude ganz ab. Heute ist an seiner Stelle eine Rasenfläche vor dem Bundeskanzleramt.

In der Serie „1933 – Unterwegs in die Diktatur“ sind bisher erschienen:

Die Machtergreifung: Religion der Brutalität

Der Reichstagsbrand: Republik unter Feuer

Das Ermächtigungsgesetz: Als Deutschland die Demokratie verlor

Die Bücherverbrennung: Das Ende des Landes der Dichter und Denker

Die Volkszählung 1933: Die statistische Grundlage für den Holocaust

Das Reichskonkordat: Fauler Handel mit der Kirche

Der Volksempfänger: Das Propagandawerkzeug der Nazis

DIe Reichskulturkammer: Die Gunst war wichtiger als die Kunst

Der Völkerbund: Deutschlands Austritt ebnete den Weg in den Krieg

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