Zum Tod von Benedikt XVI.  - Der einsame Rufer

Mit Benedikt XVI. ist eine der wichtigsten historischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gestorben. Als reformorientierter Theologe ist er gestartet, als konservativer Kirchenführer bleibt er in Erinnerung und als letztlich unverstandene, tragische Figur tritt er ab.

Papst Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger (1927-2022) hat 2013 in einem historischen Akt sein Amt aufgegeben. /dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Wir müssen uns Joseph Ratzinger als einen Clown vorstellen. Als den vielleicht tragischsten und zugleich klügsten Clown, den das 20. Jahrhundert zu bieten hat. Es ist keinesfalls ehrenrührig, so über den nun verstorbenen früheren Papst Benedikt XVI. zu schreiben. Es ist fast eine Art Selbstbeschreibung in Anlehnung an eine berühmte Geschichte des evangelischen Theologen und Philosophen Søren Kierkegaard, die Ratzinger in seinem erfolgreichsten und wichtigsten Buch, der „Einführung ins Christentum“, selbst nacherzählt. 

In dieser Geschichte gerät ein Wanderzirkus in Brand. Der Zirkusdirektor schickt den bereits verkleideten Clown ins benachbarte Dorf, um Hilfe zu holen. Doch die Dorfbewohner lachen sich schlapp und halten die Hilferufe nur für eine originelle Clownerie, um Zuschauer ins Zirkuszelt zu locken. Schließlich fangen auch die Stoppelfelder Feuer, die Flammen fressen sich bis zum Dorf durch und entzünden auch die Wohnhäuser. Doch da ist es zu spät. Der Clown ist der Theologe in der modernen Welt, der einsame Rufer. 

Der ewig Unverstandene

Joseph Ratzinger hat sein Leben lang vor dem Feuer gewarnt, vor dem Feuer, das die Kirche in Brand gesetzt habe, das den christlichen Glauben versenge, das das Christentum vor allem in Mitteleuropa zu verzehren drohe. Doch seine Warnungen verhallten, so könnte man das Bild weiterspinnen. Man hielt ihn wahlweise für einen Rattenfänger, für einen frommen Diktator oder machtbewussten Ideologen. Andere himmelten ihn an, sahen ihn in seinem Kostüm als den ersehnten heiligen Feuerwehrmann, der den Brand der Moderne löschen und die alte katholische Herrlichkeit restituieren würde. Beides aber greift natürlich viel zu kurz. Vor allem bleibt Benedikt XVI. der ewig Unverstandene, der, dessen Rufe nicht gehört wurden.

Die Klügeren unter seinen Verächtern genauso wie die Besonnenen unter seinen Verehrern wissen wohl, dass Ratzinger diese Tragik schon 1968 in eben diesem prophetischen Buch zu reflektieren wusste. Es reiche nicht, bloß die Kostüme abzulegen, sich abzuschminken, dann wäre die Sache eben nicht schon in Ordnung, schreibt er. Vielmehr müsse sich der Theologe oder auch der Bischof und letztlich – so lässt sich von heute aus sagen – auch der Papst klar machen, dass jeder Mensch unserer Zeit immer auch auf der anderen Seite steht, auf der Seite der lachenden Dorfbewohner, auf der Seite der Zweifelnden, die von dem Feuer nichts wissen wollen. 

Als Prophet bedeutender als er als Papst je war

Der Clown in der Geschichte, der um das Feuer weiß, sei eben gar nicht der „völlig Wissende“, der sich nur die rote Nase abschminken müsste, nur einen „geistigen Kostümwechsel“ brauche, um gehört zu werden. Es gehe nicht nur um die rechte „Dolmetschung“ des Glaubens in der Moderne, heute würden wir vielleicht Marketing sagen, sondern um die Anerkennung der „Ungeborgenheit“ des eigenen Glaubens, „die bedrängende Macht des Unglaubens inmitten des eigenen Glaubens“, so formuliert es Ratzinger ausgerechnet 1968. 
 

Mehr zum Thema Kirche von Volker Resing:  


Der junge Theologe Ratzinger wollte die Kirche und den Glauben in die Moderne führen, ohne den Schatz  zu billig zu verkaufen. Dabei ist er auf eine einmalige Weise gescheitert, vielleicht ist er sogar vor seiner selbst gestellten Aufgabe geflohen, damals, als ihn 1968 die Studentenproteste in Tübingen so sehr ängstigten, dass er, der junge Theologenstar, ins beschauliche Regensburg auswich. Statt sich zu stellen, floh er, mit gravierenden Folgen für die Kirche – und die Welt. Sein Vermächtnis, sein Erbe, sein Auftrag aber bleiben groß. Trotz aller berechtigter Kritik, trotz Fehlverhalten und Fehlentscheidungen. Als Prophet bleibt er bedeutender als er als Papst je war. 

Seine wahre Größe liegt auch im Rücktritt

Er war und blieb Zeit seines Lebens der Theologieprofessor, erst in Freising, dann in Bonn, Münster und Tübingen, schließlich in Regensburg. In den kirchlichen Ämtern, die dann folgten, konnte er seine professorale und akademische Denkweise nie abstreifen. Dann wurde er Erzbischof von München. 1982 wurde er Präfekt der römischen Glaubenskongregation und die wichtigste intellektuelle Stütze in dem langen Pontifikat von Papst Johannes Paul II. 2005 wurde er im Konklave zum Papst gewählt. 2013 trat er als Oberhaupt der katholischen Weltkirche zurück. Seine wahre Größe lässt sich auch in diesem Schritt erkennen. Er wusste um seine Stärken und seine Schwächen. 

In der historischen Rückschau erscheint Papst Benedikt XVI. vor allem als der konservative Kirchenführer, der die Kirche eben doch nicht verändern wollte, sondern Brandmauern gegen die feindliche Moderne hochgezogen hat. Dazu gehört seine Verurteilung bestimmter Strömungen der Befreiungstheologie in Lateinamerika, wie auch etwa seine bisweilen engstirnige Personalpolitik in Deutschland bei der Besetzung von Lehrstühlen oder Bischofssitzen.

Kirche als Trutzburg des Glaubens

Mit dem „Katechismus der Katholischen Kirche“ wollte er in einem Buch ausformulieren, was katholisch ist und was nicht – ohne zu merken, dass die meisten weder Sprache noch Inhalt wirklich verstehen oder verstehen wollen. Papst Benedikt mahnte die Kirche in seiner berühmten Freiburger Rede zur „Entweltlichung“. Doch die Deutschen hörten nur Rückzug aus der Welt, Abschottung und Antimodernismus. Papst Franziskus nutzt ähnliche Worte – und wird doch mehr verstanden. 

Für Joseph Ratzinger wurde die Kirche zur Trutzburg des Glaubens. Durchaus früher als andere hat er die heraufziehende Missbrauchskrise erkannt, aber zu lange auf die Selbstheilungskräfte der Institution vertraut. Zuletzt hat er immer wieder auf die falschen Freunde gesetzt und nicht die richtigen Feinde bekämpft. Das führte unter anderem zu dem unwürdigen wie unsäglichen kommunikativen Desaster rund um das Münchner Missbrauchsgutachten. Tatsächlich entschuldigt seine Unfähigkeit in Management, Administration, Menschenkenntnis und politischer Kommunikation keineswegs die groben Fehler seines Pontifikats und seiner noch längeren Post-Amtszeit, aber sie bieten einen Teil eines historischen Erklärungsversuchs. 

„Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt“

Papst Benedikt XVI. war in Deutschland – trotz aller frommen Worte – das Feindbild des liberalen Katholizismus und zuletzt des katholischen, auch bischöflichen Mainstreams. Und zugleich war er lange auch ein Bestsellerautor. Seine Jesus-Bücher etwa haben viele Leser gefunden, die sich trotz Kirchenkrisen und Austrittsgedanken auf die Suche nach dem Menschen- und Gottessohn begeben wollten. Ratzinger war streitbar und als solcher eine sichtbare Figur in der säkularen Gesellschaft. Seine frühe Debatte mit dem Philosophen Jürgen Habermas über Glaube und Vernunft markiert diese Präsenz. 

Bei ihrem so genannten Ad Limina Besuch in Rom, als alle deutschen Bischöfe vor wenigen Wochen zum Papst gereist sind, haben sie ihren Mitbruder, den ehemaligen deutschen Papst, nicht besucht. Zu tief ist mittlerweile die Kluft zwischen ihm und der heutigen katholischen Realität geworden. Dabei würde eben immer wieder der Blick auf Joseph Ratzinger und seine Anfänge lohnen.

Damals beim 2. Vatikanischen Konzil, als die Kirche den Aufbruch in die Moderne wagte, schrieb er schon die Reden für Kardinal Josef Frings. Damals konnte er sich Veränderungen vorstellen, die er später ablehnte. Aber diese Bandbreite des Denkens und Reflektierens und Glaubens, die bleibt, und die fehlt doch vielen seiner diversen Nachfolger so sehr. „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt“, auch ein Satz von Ratzinger, den sich zu merken lohnt. 

Anzeige